Magische Drei Orestia Kapidani   Michael Karlovski   Rudolf Schäfer   Das persische Wort Magie steht für Zauberkunst. Selbst Zauber, will sie besonders uns, die Besucher, verzaubern. Zauberkunst ist Geheimkunst. Die will unbedingt geheim bleiben. Wir werden sie nicht entschlüsseln . . . und das sollen wir auch nicht und ich werde es nicht können.         Michael Karlovskis Plastiken sind insofern magisch, weil sie von Sagen, Göttern, Helden und Geistern handeln, von legendären mythischen Personen und Ereignissen. Es mangelt auch nicht an besonders schönen Frauen. Das grenzt ans Mystische, das ebenfalls durch und durch geheimnisvoll ist, also magisch.         In der Photographie kann die Magie nur in der Abkehr von der bloÃen Abbildung zu erwarten sein, also keinesfalls von der Reportage oder Sachphotographie. Das Medium wird nichts anderes sein können als das Transportmittel für das Unsichtbare, das magisch ist und erst recht unerklärbar. Das Unsichtbare muss nun von uns, und besonders von Ihnen, entdeckt werden, genauer gesagt, gesehen werden.  Wir nähern uns den Plastiken Karlovskis am ehesten, wenn wir nach Spuren suchen. Ein blauer Stier, auf dessen Hörnern äuÃerst elegant und entspannt die schöne Europa sitzt, macht uns Hoffnung. Die Entführung gefällt ihr. Weià sie denn, wer es ist, der sie, die eben noch am Ufer ihrer Heimat spielende, nach Kreta schleppt? Ist es Zeus? Einst war der Stier weiÃ, nun ist er blau. Warum? Die Hörner golden. Warum? Zeichen, die in unsere Zeit weisen? Ihr Kind wird Minos sein. Das uneheliche Enkelkind Minotauros musste versteckt werden. Warum? Ariadne war noch nicht geboren. Geheimnisse über Geheimnisse.Sagen des klassischen Altertums, antiquarisch, 7 Euro.         Wir wissen es gerade noch. Unsere Zukunft muss Bildung sein, Bindung an vergangenes Wissen, das sinnlich war, und das Athena auf dem Kopf sehr unverhohlen trägt. Mal wieder eine Tochter von Zeus. Sie stiftete den Ãlbaum. Griechisches Olivenöl, extra jungfräulich!         Auch Judith ist schön, nackt und gefährlich, wie alle klugen Frauen. Sie zeigt stolz den abgeschlagenen Kopf des Holofernes, eines assyrischen Feldherrn. Das positive Verbrechen im Bett eines Mächtigen. Magie der Schönheit. In einem Sack schleppt sie das Haupt in ihre Stadt und hängt es über die Mauer. Die führerlosen Assyrer fliehen kopflos.         Etwas anders geht es bei Perseus zu, dem behelmten sonst nackten griechischen Helden, der uns von der Gorgo Medusa befreit hat, dem weiblichen Ungeheuer mit Schlangenhaaren. Wer sie je anschaute, wurde zuStein. Auch er ein Sohn von Zeus, geschützt von seiner Stiefschwester Athena und Stiefbruder Hermes. Die drei Gorgonen alterslos und unsterblich, auÃer Medusa. Und doch auch sie unsterblich: gemalt von Leonardo da Vinci, Caravaggio, Rubens, als Plastik dargestellt von Benvenuto Cellini und Michael Karlovski. Magie eines Themas.         Köpfe mit Masken, Köpfe mit Schichten, die das Gesicht schützen und verstecken. Wird es weitere Schichten geben, ist ein Kern zu erwarten? In uns stecken die Mythen, die Geheimnisse, die Trümmer der Magie. Hier sehen wir es ein wenig, etwas, das wir nicht vermuten und von dem wir wenig wissen.  Orestia Kapidani und Rudolf Schäfer sind sich nicht zufällig begegnet. Zauberkraft verbindet sie. Ihre Werke bestätigen die zwingende Nähe.     Orstias frühe braunschwarze Photos von zwei Frauen und einem Kind sind Geheimfotos zur Erforschung unsichtbarer Wesenheiten. Es sind Photos, die nichts vordergründig Dingliches abbilden, sondern eher das magische Medium, in dem das stattfindet, was wir Sein nennen. Die Abwesenheit des Realen ist unheimlich und macht uns einer Stimmung zugänglich, die auf das Leben selbst als kaum fassbares Wunder hinzielt. Dabei geht es durchaus nicht spröde zu, es gibt auch heimliche âNacktfotosâ, die nichts zu tun haben mit heutiger Enthüllungskunst.         Ihre kleinen quadratischen Photos auf seitlich vergoldeten Holztäfelchen eröffnen Welten zwischen Natur, Mensch und Weiblichkeit, die eben auch nicht einfach abbildend sind, sondern die freundliche Aufforderung, die Schönheit und Besonderheit unseres Lebens in ihrem gleichzeitigen Vorhandensein zu bemerken. Wunderbare Dinge. Artefakte.         Sie hat auch Steine, Lapidibus, Gur, photographiert. Es sind runde abgeschliffene Teile, Materie, älter als der früheste Mensch. Ihre Form ist in Jahrtausenden währender Bewegung entstanden. Motum. Sie sind vorgeschichtlich, magisch, stumm und steinern. Auch der Mond ist ein kalter Stein, viele solche Steine irren im Weltall herum, auf geheimen geometrischen Bahnen, bewuÃtseinlos und einsam. Wir, noch nicht ganz erkaltet, werden von einer Sonne beleuchtet, die uns Wärme mit Lichtgeschwindigkeit schickt. Orestias kleine Steine ähneln sehr diesen kosmischen Realitäten. Ist das nicht geheimnisvoll genug? Mikrokosmos wird Makrokosmos. Die Welt ist wohl doch nicht aus einem geborstenen Ei entstanden, sondern vielleicht eher noch aus dem Chaos. Heraklit: Das wesentliche Charakteristikum der Welt ist ihre ständige Bewegung. Panta rhei. Kleine Photos, nobel als Tiefdruck realisiert, die schaudern machen.  Kürzlich wurde ein Jugendlicher im Radio nach seinem Traumauto gefragt. Benthley 600 PS. Rudolf Schäfer zeigt uns 1 PS als erschreckende Kraft, Potenz, Gefährlichkeit. Motum, Bewegung. Wir erinnern uns: Napoleon auf weiÃem Benthley 1 PS an der Spitze seiner Centurien auf dem Weg nach Moskau. Sprung in die Kamera, der Photograph trickreich gerettet, das Bild unwahrscheinlich, nun bereits selbst geheimnisvoll.         Soldat vom Potsdamer Platz. Gerade noch Kopf. Mythos Krieg.         Steine: nun nicht mehr Mauer. Die Trümmer ragen auf magische Weise in den erstaunlich blauen Himmel. Zauberhaft.         Ich habe eigentlich nichts gegen Mythen, im Gegenteil, ich finde sie häufig viel weiser als 1 und 1 ist 2. Denn das ist überhaupt das Problem, dass wir Wissen über Weisheit gestellt haben. . . . Weisheit ist halt mehr als zu wissen, dass 1 und 1 zwei ist, und dazu zählt vielleicht auch, dass man noch etwas erfühlen kann von dem, was man nicht mehr beschreiben kann, wo man nicht mehr addieren kann . . .         Schäfers Photos erfüllen diese Sicht. Sein früher Ruhm beruht darauf. Er hat damit seine Ansprüche sehr hoch gestellt. Dass die Photos auÃerdem scharf sind, schadet nichts. Für Halle war es eine fast vergessene Tugend dieses nicht unbedingt künstlerieschen Mediums. Seine Studenten hatten es nicht leicht, aber man konnte etwas lernen. Das wollen wir nun auch.         Rudolf Schäfer ist einer der ganz groÃen Photographen unserer Zeit und doch in Halle fast unbekannt. Es gab nie eine groÃe Ausstellung. Ihm hat scheinbar die Lehre gereicht, und seine Schülerinnen und Schüler sind das eigentliche hallesche Werk. Umso mehr muss man der Galerie Zaglmaier danken, dass sie nun einen Anfang gemacht hat, den geheimen Schatz ans Licht zu bringen.  Zum Schluss noch ein Zitat von Jean Cocteau, das seinen Photos vom Ewigen Schlaf vorangestellt ist. Am besten verhält sich, wer die ihm zugestandene Zeit nützt und sich nicht damit abgibt, über sich selbst zu Gericht zu sitzen. Menschliche Dauer wird nur dem geschenkt, der sich den Augenblick zurechtknetet und ihm Bildgestalt verleiht und sich im übrigen nicht um den Urteilsspruch kümmert.  Helmut Brade Galerie Zaglmaier Halle, 14. April 2018 |