Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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12. März 2023
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
manchmal werde ich gefragt, ob ich denn heute und aus heutiger Sicht bestimmte Dinge ganz anders kommentieren würde, als ich es vor Jahren getan habe. Ein solcher Leitartikel ist mir dieser Tage in den Sinn gekommen, als ich meine Samstagskolumne in der SZ über die geplante Reform des Abtreibungsrechts geschrieben habe. Dieser Leitartikel, er stammt aus meinen ganz frühen Journalistenjahren, betraf das Strafurteil im Memminger Abtreibungsprozess. Sie erinnern sich vielleicht: Gegen den Frauenarzt Horst Theissen wurde von September 1988 bis Mai 1989 vor dem Landgericht Memmingen auf ziemlich perfide Weise verhandelt. Das Verfahren fiel in eine Zeit der aufgeheizten politischen Debatte um die Rechtmäßigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen.  Der Prozess wurde, auch in der Süddeutschen Zeitung, als „moderner Hexenprozess“ bezeichnet.

Theissen wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt, mein Leitartikel darüber hieß „Unfairer Prozeß – einseitige Kritik“. Ich erinnere mich auch deshalb so genau daran, weil ich für diesen Leitartikel meinen ersten Journalistenpreis bekam. Es war eine wunderbare Auszeichnung, es war der Preis der Pressestiftung Tagesspiegel in Berlin, „für hervorragende und parteiunabhängige Kommentierung“. Wenn ich das Stück heute lese, dann denke ich mir: Schön geschrieben, aber ich würde es nicht noch einmal so schreiben. Das Stück ist eine pointierte Herumeierei, verständnisvoll nach allen Seiten:  Es hat Verständnis für den verurteilten Arzt, es hat Verständnis für das Gericht, es hat Verständnis für die Politik. Vielleicht war diese Verständnisinnigkeit ein Grund für die Auszeichnung. Das Agieren der Staatsanwaltschaft bezeichnete ich zwar als frivol und skandalös, aber man merkt dem Stück gleichwohl an, dass ich zwei Jahre vorher selber noch Staatsanwalt gewesen war. Im Leitartikel heißt es unter anderem: „Die öffentlichen Urteile über das Memminger Gerichtsverfahren haben sich um das, was im Strafgesetzbuch eigentlich steht, wenig gekümmert. Die Verurteilung ist kein ‚Rückfall in ein frauen- und familienpolitisches Steinzeitalter‘, sondern Anwendung geltenden Rechts. Das Verfahren war sicherlich ein Skandalverfahren, das Urteil ist aber kein Skandalurteil … Wer gegen das Urteil agitiert, übt eigentlich keine Urteilsschelte, sondern Kritik am geltenden Recht.“ Das hätte ich damals selber viel eindringlicher tun sollen.

Kein Skandalurteil? Das war falsch und ist falsch: Nicht nur deshalb, weil die Staatsanwälte und das Gericht sich skandalös aufgeführt hatten, weil 156 Frauen als Zeuginnen vorgeladen worden waren und etwa die Hälfte davon in entwürdigender Weise vor Gericht hatten aussagen müssen. Aber: Ein Skandalurteil war das Urteil insbesondere deshalb, weil die Rechtslage so skandalös war.  Ich habe diese Skandalösität damals nicht in den Vordergrund gerückt, wohin sie gehört hätte – vielleicht deshalb, weil ich meine eigene Position im Streit um den Schutz des ungeborenen Lebens noch nicht gefunden hatte. Ich hatte das geltende Recht einfach als gegeben hingenommen und fast fatalistisch darauf hingewiesen, dass doch das Bundesverfassungsgericht die Fristenlösung, also die Reform des Abtreibungsrechts, verworfen habe. Erst später bin ich für eine vollständige Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs eingetreten – und tue das bis heute, zuletzt in meiner SZ-Kolumne vom Samstag. Wie ich zu dieser Position und wie ich zu einer Nebenrolle im Fernsehfilm „Abgetrieben“ gekommen bin, das erzähle ich in meinem heutigen SZ-Plus-Text.
SZPlus Prantls Blick
Prantls Blick: Aufstieg und Fall des Paragrafen 218
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Was wünsche ich Ihnen für die kommende Woche? Einen großen Strauß Tulpen auf dem Tisch; und ein paar Palmkätzchenzweige dazwischen.

Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Die Ökonomisierung des Zufalls
Meine Mutter pflegte zu sagen, dass das Glück ein Rindvieh sei und Seinesgleichen suche. Sie wollte uns damit sagen, dass es nicht ratsam sei, sich einfach auf Glück und Zufall zu verlassen.  Es gibt seit Jahren eine Flut von Ratgeberliteratur, die behauptet, dass das Glück mitnichten ein Rindvieh, sondern eine Cashcow sei – man müsse nur lernen, den Zufall für sich einzuspannen. In Karrierefibeln und Karrierebibeln kann man nachlesen, wie man dem Glück auf die Sprünge hilft und warum ein Glückspilz Glück und ein Pechvogel Pech hat. Das ist nicht immer besonders seriös, da gibt es viel Geschwurbel und Gequargel. Und weil man dem Geschwurbel und Gequargel nicht gleich ansehen soll, dass es Geschwurbel und Gequargel ist, wickelt man es ein in einen wissenschaftlich klingenden Begriff: Serendipität. Das ist ein Wort, das im Englischen als „Serendipity“ gebräuchlich ist.  Es ist einer der Hauptbegriffe einer Art Glückwissenschaft und es geht ihr darum, wie man aus dem Zufall etwas Gutes, Produktives, Erfolgreiches machen kann.

 Wer sich dafür interessiert, sollte das Buch von Christian Busch lesen, das vor ein paar Wochen auf Deutsch erschienen ist. Es heißt „Erfolgsfaktor Zufall“. Busch lehrt unter anderem an der London School of Economics und er plädiert dafür, die Serendipität im Alltag nutzbar zu machen und Zufälle zu provozieren. Auf die Frage „Was machst Du denn beruflich?“ könne man ja häufiger mal antworten: „Ich bin Unternehmer, interessiere mich gerade für die Philosophie der Wissenschaft und spiele gern Klavier“. Daraus entstünden dann spannende Gespräche über das Klavierspielen, Wissenschaft oder Philosophie, die mit dem Geschäftlichen erst einmal gar nichts zu tun haben. Das Gespräch schaffe aber eine ganz neue Basis und Vertrautheit für das, was man eigentlich vorhatte.

Ich würde, wenn mir einer so kommt, den eher für einen aufgeblasenen Fatzke halten und das Gespräch mit ihm ganz und gar nicht suchen. Aber Busch hat da vielleicht in der Welt der Schools of Economics andere Erfahrungen gemacht. Sein Buch liest sich jedenfalls kurzweilig und erlaubt einen Blick in eine eher anekdotisch basierte Wirtschaftswissenschaft. Warum mir das Ganze trotzdem widerstrebt hat? Weil es mir nicht gefällt, wie alles um den eigenen Vorteil kreist. Nach der Ökonomisierung der Daseinsvorsorge und der Medizin erwartet uns jetzt offenbar die Ökonomisierung des Zufalls.

Christian Busch: Erfolgsfaktor Zufall. Wie wir Ungewissheit und unerwartete Ereignisse für uns nutzen können.
Das Buch ist Ende Februar im Verlag Murmann erschienen, es hat 320 Seiten und kostet 29 Euro.
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Illusions perdue
Den Roman „Verlorene Illusionen“ hat Honoré de Balzac als zeitgenössische Gesellschaftskritik geschrieben. Es geht darin unter anderem um die Mechanismen und Strukturen im Verlagsgeschäft und im Journalismus. Balzac lässt den jungen Denker Michel Chrestien den bösen Satz sagen, dass dort "Seele, Geist und Denken" verschachert werden. Das ist 175 Jahr her – aber der Satz hat gerade wieder Aktualität, seitdem sich der Verlag Bertelsmann aus Gütersloh den traditionsreichen Hamburger Verlag Gruner + Jahr einverleibt hat.

Bertelsmann geht mit wunderbaren Zeitschriftentiteln von Gruner + Jahr um, als handele sich um Kugeln auf einem Billardtisch. Über das große Geschacher schreibt in der SZ-Wochendausgabe der Publizist Manfred Bissinger ein traurig-bissiges Insider-Stück: „Lauter Missverständnisse. Oder warum die Ehe zwischen Bertelsmann und Gruner + Jahr scheitern musste.“ Bissinger, heute 82 Jahre alt, ist ein leidenschaftlicher, ein unbestechlicher Journalist und ein Sachverständiger in Bertelsmann-Angelegenheiten.  Er war einst Chefredakteur beim Stern unter Henri Nannen; nach Differenzen mit Reinhard Mohn, dem Vorstandsvorsitzenden der Bertelsmann AG, wurde er seinerzeit entlassen; danach leitete er die Zeitschriften Konkret, Natur und Merian.  In Gütersloh glaubte und glaubt man, „mit Geld sei alles und jeder zu kaufen“, sagt er über den Gütersloher Verlag Bertelsmann. Womit wir wieder bei Balzac und den verlorenen Illusionen wären. Balzacs Roman ist Bestandteil seines monumentalen Zyklus „Die menschliche Komödie“, in dem es zu den Szenen aus dem Provinzleben gehört. Die Bertelsmann-Saga passt da hinein.
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