dass die Rückeroberung Afghanistans durch die Taliban und der Fall Kabuls eine absolute Katastrophe sind, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Zumindest aus der Perspektive jener Staaten, die 20 Jahre lang vergeblich versucht haben – ja, was eigentlich? Ein „westliches Wertesystem“ am Hindukusch zu implementieren? Dem Islamismus Einhalt zu gebieten? Rückzugsräume für Terroristen zu versiegeln? Schulen zu bauen? Den Menschen Freiheit zu bringen? „Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt“, hatte der inzwischen verstorbene Verteidigungsminister Peter Struck am 11. März 2004 bekanntlich deklamiert. Dieses Projekt ist jetzt krachend gescheitet. Gewonnen haben die Taliban – sowie ihre Schutzmächte Pakistan und China. Ein Desaster mit Ansage. Wir haben mit dem in Kabul ausharrenden Journalisten Jan Jessen gesprochen und wollten von ihm wissen, wie die Lage vor Ort ist. „Auffällig ist die überraschend schnelle, praktisch kampflose Übernahme vieler Gebiete, insbesondere Kabuls“, sagt Jessen. Die Bewohner seien eher verwundert als verängstigt – viele fragten sich, wie die Machtübernahme so schnell passieren konnte. Und auch das: „Den Menschen auf dem Land ist es praktisch gleichgültig, wer an der Macht ist oder wer welches Territorium übernimmt. Viele sind sogar froh, dass es so schnell passiert ist und sie zum Alltag zurückkehren können.“ Willkommen in der Realität. „Im Weltreich der Illusionen“ ist denn auch der Kommentar unseres Autor Thomas Jäger zum verlorenen Krieg in Afghanistan übertitelt. „In diesen Tagen gelangt an sein konsequentes Ende, was 20 Jahre lang ausgeführt wurde: planlos und ohne Chance auf ein realistisches Ergebnis einen Einsatz in einem Land zu führen, dessen Traditionen, Strukturen und Kulturen man nicht versteht“, schreibt Jäger. Der 20-jährige Einsatz in Afghanistan habe vielen Menschen enorme Leistungsbereitschaft und schwere Opfer abverlangt. „Nur die Bundesregierung strengte sich in dieser Zeit niemals wirklich an. Möglich war das, weil die deutsche Öffentlichkeit stets mit anderem beschäftigt war und sich für den Konflikt nicht interessierte.“ Und weil auch die Verantwortlichen mit anderem beschäftigt waren und sich ebenfalls nicht dafür interessierten. Ihr Alexander Marguier, Chefredakteur |