Corona bestimmt unseren Alltag und das Börsengeschehen, das wiederum von einigen wenigen großen Playern dominiert wird. Daher richten sich die Augen der Anleger zurzeit auf die Quartalsergebnisse der FAANG-Aktien, denn diese sind die Schwergewichte in den stark beachteten Börsen-Indizes S&P 500 und MSCI World und geben damit die grundsätzliche Richtung vor. Während tagtäglich neue schreckliche Nachrichten aus der Wirtschaft und den Unternehmen auf uns einprasseln, notieren einige Aktien bereits wieder nahe an ihren Höchstständen oder können sogar neue Allzeithochs markieren. Dabei handelt es sich überwiegend um Unternehmen, die dem Lockdown, der rapide hochschnellenden Arbeitslosigkeit und der Wirtschaftsrezession am besten trotzen können werden oder sogar von einigen dieser Entwicklungen profitieren. Wir widmen uns heute mit Amazon und Netflix zwei dieser außergewöhnlichen Unternehmen, die im Bereich Streaming direkte Konkurrenten sind, hinsichtlich ihres Erfolgsrezepts allerdings viele Parallelen aufweisen: beide erzielen seit vielen Jahren prozentual zweistellige Wachstumsraten bei steigenden operativen Cashflows und beide opfern ihre operativen Gewinne zugunsten des starken Wachstums, indem sie ihren Cashflow lieber wieder sofort investieren. Amazon Amazon kennt jeder, bei Amazon kauft die Welt. In den USA liegt Amazons Marktanteil am Onlinehandel bei gut 50 Prozent und am gesamten Einzelhandel bei 9 Prozent. Zum Vergleich: der weltgrößte Einzelhändler Walmart bringt es hier auf 11 Prozent. Dabei ist Amazon erst 26 Jahre alt und hat sich vom kleinen Online-Buchversender zum führenden Online-Handelsunternehmen entwickelt. Der Erfolg von Amazon hängt an mehreren Faktoren. Die Kundenzufriedenheit steht im Vordergrund, an ihr richtet sich alles aus. Immer kürzere Lieferzeiten, hohe Zuverlässigkeit, reibungslose Rückabwicklung und natürlich auch günstige Preise. Amazon ist heute vor allem eine Handelsplattform, über die Händler ihre Produkte verkaufen. Produkte, die inzwischen immer häufiger in Amazon Warenhäusern gelagert und verwaltet werden und die zunehmend von der eigenen Amazon-Zustellflotte zu den Kunden gebracht werden. Amazon war die ständigen Verspätungen und die hohe Unzufriedenheit seiner Kunden mit den Paketdiensten leid und macht es daher zunehmend einfach selbst. Heute hat Amazon bereits die fünftgrößte Frachtfluglinie der Welt und bei Elektropionier Rivian hat man gerade 100.000 Elektro-Transporter geordert für Amazons neue Fahrzeugflotte. Die Gewinnmaschine von Amazon ist jedoch AWS, die Cloudsparte. Aus der einstigen internen IT-Abteilung wurde der Weltmarktführer bei Clouddiensten und AWS wächst weiterhin mit knapp 33 Prozent. Wie die gerade vorgelegten Quartalszahlen zeigen, macht Amazon mit AWS nun 10,2 Milliarden Dollar Umsatz und erzielt in der Sparte einen Betriebsgewinn von 3,1 Milliarden Dollar. Neben AWS und Onlinehandel verdient Amazon inzwischen aber auch mit Advertising Geld, also Werbeanzeigen auf seiner Website, und in seiner Finanzsparte, wo es Händler mit Krediten und Analysetools versorgt. Großes Augenmerk liegt aber vor allem auf der weiter wachsenden Zahl der Prime-Kunden, die inzwischen bei mehr als 150 Millionen weltweit liegt. Prime-Kunden sind deshalb für Amazon so wichtig, weil sie viel mehr Geld bei Amazon ausgeben als normale Onlineshopper; Amazon bietet daher für seine Prime-Kunden Extraleistungen an, wie kostenloses Streaming, Musik, kostenlosen Versand und das auch noch innerhalb eines Tages. Und, gut für Amazon, in der Corona-Krise haben sich viele Kunden neu für Prime entschieden. Insgesamt konnte Amazon seine Umsätze im 1. Quartal um 26 Prozent auf 75,5 Milliarden Dollar steigern; der Gewinn fiel jedoch mit 2,5 Milliarden Dollar um 29 Prozent niedriger aus. Dies ist vor allem den hohen Ausgaben für die Bewältigung der Corona-Krise zu verdanken, die seit März enorm zunehmen. Amazon hat nicht nur ein stark gestiegenes Ordervolumen zu bewältigen, für das man alleine 100.000 zusätzliche Mitarbeiter eingestellt hat und noch 75.000 weitere einstellen will, sondern das Unternehmen muss auch seine Arbeitsabläufe ändern und stellt den Schutz seiner Mitarbeiter in den Vordergrund. Und das wird im 2. Quartal den Gewinn massiv belasten, wie Amazon-Chef Jeff Bezos verkündete. „Amazon denkt nicht klein“, so Bezos. „Unter normalen Umständen erwarten wir in diesem kommenden 2. Quartal einen Betriebsgewinn von mindestens vier Milliarden Dollar - aber das sind keine normalen Umstände“. Amazon plant daher, das gesamte operative Ergebnis im Kampf gegen das Corona-Virus einzusetzen. Dazu gehören Hunderte Millionen Dollar für Tests an Mitarbeitern, Investitionen in eine Verbesserung des Zustellnetzwerks, um Pakete pünktlich zu liefern und „weniger effiziente Prozesspfade”, die Social Distancing in den Lagerhäusern ermöglichen. Darüber hinaus sind höhere Löhne für Arbeitnehmer, persönliche Schutzausrüstungen und verbesserte Reinigungsprotokolle vorgesehen. Als Folge hiervon liegt Amazons Gewinnprognose für das 2. Quartal mit einer Spanne zwischen -1,5 und +1,5 Milliarden Dollar weit auseinander und damit könnte sogar der erste Quartalsverlust seit fünf Jahren anstehen. Diese Aussichten sorgen für Ernüchterung, denn Amazon galt bisher als großer Profiteur der Krise. Und auf den zweiten Blick ist und bleibt das auch so. Wie kaum ein anderes Unternehmen stellt sich Amazon auf den Umgang mit der Corona-Krise ein. In unglaublichem Ausmaß werden die eigenen Mitarbeiter geschützt und Betriebsabläufe bewusst ineffizienter gestaltet, um den reibungslosen, wenn dann auch langsameren, Ablauf zu gewährleisten. Amazon demonstriert hier seine Stärke. Während viele andere Unternehmen Mitarbeiter entlassen müssen, stellt Amazon ein. Bei anderen brechen Lieferketten und Umsätze ein, während Amazon zuverlässiger wird. Amazon wird zu dem systemrelevanten Unternehmen, das die Versorgung der Menschen mit Waren und Dienstleistungen sicherstellt. Und dafür muss es lediglich den operativen Gewinn eines einzigen Quartals aufwenden! Wenn ein Unternehmen gut gerüstet ist und sich noch besser aufstellt für eine länger anhaltende Pandemie, dann ist es Amazon. Und deshalb ist sich Jeff Bezos auch sicher, auch bei seinen Aktionären auf Verständnis zu treffen: „Ich bin zuversichtlich, dass unsere langfristig orientierten Anteilseigner unseren Ansatz verstehen und annehmen werden und dass sie tatsächlich nicht weniger erwarten würden.“ Amazon geht die kurzfristigen Herausforderungen konsequent an und wird auch deshalb die Krise nicht nur gut bewältigen, sondern am Ende als einer der größten Profiteure aus ihr hervorgehen. Amazon gewinnt jetzt Vertrauen und neue Kunden und diese werden ihr geändertes Kaufverhalten nach Abebben der Corona-Pandemie nicht wieder vollständig ändern. Amazon ändert unsere Gewohnheiten und verdient prächtig daran. Und erfreut damit auf lange Sicht seine Aktionäre. Am Freitag verliert die Aktie bis Redaktionsschluss 5,8 % und fällt auf 2.330 Dollar. Amazon.com, Inc. (ISIN: US0231351067) | | WKN / Kürzel | Börsenwert | KGV 20e/21e/22e | Kurs | 906866 / AMZN | 1,23 Brd. EUR | 137 / 65 / 47 | 2330 USD | Netflix Auch Netflix opfert seine Betriebsgewinne und investiert seinen Cashflow lieber in maximales Wachstum. Aber nicht, weil man sich an Corona anpassen müsste, sondern weil der von Corona verursachte Lockdown und das daraus resultierende StayAtHome für Goldgräberstimmung bei Streaming-Anbietern sorgt. Netflix ist in diesem Segment der Platzhirsch, der First-Mover. Gestartet vor 23 Jahren als DVD-Versand stieg man 2007 ins Streaming-Geschäft ein und bot seinen Kunden VOD an, Video-on-Demand. Schnell wurde Netflix auch zum Produzenten eigener Inhalte und produzierte bisher rund 150 eigene Serien und Filme, die sogenannten Netflix-Originals. Es gab und gibt immer wieder Bedenken, weil Netflix sein Wachstum mit einer immer größeren Schuldenlast finanziert. Und weil man nicht mehr alleine ist, sondern in letzter Zeit andere starke Anbieter in den „Streaming-War“ eingestiegen sind. Dazu gehören neben Amazon Prime auch Apple und Disney, die über Apple+ und Disney+ jeweils eigenen Content bieten und mit ihren Abonnementspreisen deutlich niedriger liegen als Netflix. Netflix geriet zunehmend unter Druck von Investoren, endlich Geld zu verdienen und erhöhte im letzten Jahr seine Preise deutlich. Die befürchtete Kundenabwanderung blieb aber bisher weitgehend aus; auch dank Corona setzen stattdessen immer mehr Menschen auf Netflix. Insgesamt sind es nun bereits weltweit 182 Millionen und alleine 69 Millionen davon in den USA. Dabei erweist sich die Möglichkeit, dass sich mehrere Nutzer einen Netflix-Account teilen, inzwischen als Wachstumshemmschuh und das starke Wachstum der letzten Wochen liegt nicht nur daran, dass die Menschen viel mehr zuhause sind, sondern auch an vielen kostenlosen Probeabonnements. Inwieweit diese sich nach Ablauf der kostenfreien Zeit in zahlende Abonnenten verwandeln, bleibt abzuwarten. Denn die Wirtschaftskrise erzeugt viele Arbeitslose und die Einkommen der Menschen werden sinken, so dass Abonnements für Streaming-Dienste durchaus auf der Streichliste stehen dürften, wenn es ums Geldsparen geht. Zumal sich viele Haushalte mehrere Abos bei unterschiedlichen Anbietern leisten. Dennoch ist dies genau die Strategie von Netflix: schnelles Kundenwachstum, als erster den Kunden an sich binden, bevor er es sich bei der Konkurrenz bequem macht. Menschen sind Gewohnheitstiere und wenn wir uns erstmal an etwas gewöhnt haben, bleiben wir auch dabei. Zur Not wird eher das neue, unbekanntere wieder geopfert. In nackten Zahlen stellte sich das 1. Quartal für Netflix so dar: es wurden 15,8 Millionen neue Kunden gewonnen und damit die Erwartungen von sieben Millionen meilenweit übertroffen. Das Besondere an diesen Zahlen ist allerdings, dass nur die letzte Woche des 1. Quartals vom Lockdown betroffen war und daher der eigentliche große Schub bei den Abonnements erst im jetzt laufenden 2. Quartal anstehen dürfte. Der Umsatz lag mit 5,77 Milliarden Dollar daher auch nur leicht über der Prognose des Managements, obwohl der Zuwachs auch bei zahlenden Abonnenten so enorm war. Im 2. Quartal dürfte der Umsatz dann entsprechend kräftig anziehen. Netflix profitiert vom „Cord-Cutting-Trend“, weil immer mehr Leute ihren klassischen Kabel-TV-Anschluss kündigen und voll auf Streaming-Angebote setzen. Die neue Konkurrenz setzt dem Unternehmen zu, aber Netflix kann sich seiner Haut bisher gut erwehren. Denn Netflix hat die Kunden und kann seine Nutzerzahlen noch weiter steigern. Netflix hat das Netz sowie interessanten Content, so dass man trotz der hohen Bewertung und der üppigen Börsenkapitalisierung von 185 Milliarden Dollar durchaus ins Visier eines der großen Wettbewerber geraten und zum Übernahmeziel werden könnte. Denn diese könnten sich durch eine Übernahme jahrelange eigene Entwicklungsaufwendungen und -kosten sparen. Und Zeit. Auch die Anzahl der potenziellen Streaming-Kunden ist begrenzt, auch wenn viele von ihnen mehrere Steamingdienste abonnieren, und wer erst als zweites oder drittes anklopft, hat nur noch geringe Erfolgschancen auf einen weiteren Abschluss. Auf der anderen Seite wird Netflix selbst auch immer wieder als potenzieller Käufer von ViacomCBS gehandelt, denn der klassische TV-Sender kriegt kaum noch ein Bein an den Boden und wird zu unter 10 Milliarden Dollar von der Börse bewertet. Dabei hat man eine riesige Filmbibliothek und mit Paramount Pictures ein eigens Blockbuster-Filmstudio im Repertoire. Es ist also einiges in Bewegung im Streaming-Markt. Die Aktie steigt am Freitag bis Redaktionsschluss trotz schwachem Gesamtmarkt um rund ein Prozent auf 423,59 Dollar. Netflix, Inc. (ISIN: US64110L1061) | | WKN / Kürzel | Börsenwert | KGV 20e/21e/22e | Kurs | 552484 / NFLX | 185 Mrd. USD | 65 / 49 / 35 | 423,59 USD | Mein Fazit: Mit Amazon und Netflix setzen Anleger auf zwei stark wachsende Unternehmen, die kurzfristig mit höheren Kosten aufgrund der Corona-Pandemie konfrontiert werden, aber mittel und langfristig von diesen Investitionen und dem zunehmenden Trend hin zu Online-Shopping und Streaming deutlich profitieren werden. Die Erwartungen der Anleger sind hoch, Enttäuschungen führen schnell zu Kurseinbrüchen, die sich in der Vergangenheit immer wieder als gute Einstiegschancen erwiesen haben. Es spricht vieles dafür, dass sich die Geschichte auch dieses Mal wiederholt und Anleger mit diesen beiden digitalen Powerhäusern auch künftig gut fahren werden. Autorenprofil Michael C. Kissig studierte nach Abschluss seiner Bankausbildung Volks- und Rechtswissenschaften und ist heute als Unternehmensberater und Investor tätig. Neben seinem Value-Investing-Blog „iNTELLiGENT iNVESTiEREN“ verfasst er regelmäßig eine Kolumne für das „Aktien Magazin“. | | Hinweispflicht nach §34b WpHG: Der/die Verfasser ist/sind in den genannten Wertpapieren/Basiswerten zum Zeitpunkt des Publikmachens des Artikels investiert: Amazon. Es können daher Interessenskonflikte vorliegen. Die in diesem Artikel enthaltenen Angaben stellen keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar.
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