Liebe Frau Do, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hat früh auf die Gefahren für Leib und Leben hingewiesen, die durch die Abstandsregeln und Einschränkungen in Corona-Zeiten entstehen, und unter anderem vor zunehmenden Depressionen gewarnt. Wer das Argument nicht nachvollziehen konnte, sollte unbedingt das Interview lesen, das unser Co-Sportchef Gianni Costa mit Teresa Enke geführt hat. Die Witwe des einstigen Nationaltorwarts Robert Enke, der sich vor zehneinhalb Jahren umbrachte, spricht über die unsichtbare Krankheit Depression, aber auch über Fußball und das Leben. Letztlich geht es darum, die Risiken der Ansteckung und der Vorsichtsmaßnahmen zu saldieren – eine eigentlich unlösbare Aufgabe, die Politiker bewältigen müssen. Dass ab übernächsten Montag an den Grundschulen in NRW wieder regulär unterrichtet werden soll, also ohne Abstandspflicht, sorgt in vielen Familien für Empörung, weil sie sich einem Infektionsrisiko ausgesetzt sehen. Aber viele sind auch froh, dass es endlich wieder losgeht, selbst wenn schon zwei Wochen später die Sommerferien starten. Kirsten Bialdiga hat die widerstreitenden Stimmen zusammengetragen. Streit gab es auch beim Konjunkturpaket, am Ende konnten sich die Autohersteller mit ihren Vorstellungen nicht durchsetzen. Für unsere Wirtschaftschefin Antje Höning und unseren Berliner Korrespondenten Jan Drebes belegt das den schwindenden Einfluss des Lobbyismus, der sich auch schon für die Energiewirtschaft und die Bankenbranche zeigte. Gut so, sagt sie. Ich sehe es etwas zwiespältiger. Partikularinteressen bestimmter Branchen dürfen nicht überproportionalen Einfluss auf Regierungshandeln erhalten, logisch. Kaufprämien für Verbrennungsmotoren, während der Klimawandel gebremst werden soll – das fand auch ich eine schräge Idee. Aber die Welt ausschließlich aus dem Regierungsapparat heraus zu beurteilen, führt andererseits sicher nicht zu den besten Lösungen. Politiker sollten „nah bei de Leut“ sein, wie Kurt Beck es formulierte, aber auch wissen, welche Themen die Unternehmen plagen, und dafür sind Lobbyisten da. Ebenfalls nicht die besten Lösungen sind die aktuellen Frisuren, während des Lockdowns sind sie verwildert. Unsere internen Videokonferenzen geben nicht nur interessante Einblicke in die Homeoffice-Arbeitsplätze an Küchentischen, auf Sofas und in Gärten, es sind nicht nur Bücherregale und Poster, Hunde und Kinder zu besichtigen, sondern zeitweise zeigten sich lange zottelige Haare und bei den Männern auch überraschende Bärte. Ein Kollege aus dem Vertrieb nahm zunehmend das Erscheinungsbild eines Taliban an, inzwischen erkennt man ihn wieder. Mein Kollege Martin Bewerunge hat sich in einem Essay mit dieser Hauptsache eingehend beschäftigt. Mir geht bei der Lektüre auf, dass ich die Bedeutung der Frisur für das Wohlbefinden unterschätzt hatte. Für mich war der Friseurbesuch früher eine spontane Angelegenheit, jetzt muss ich ihn planen. Der Alltag hat sich nicht nur in diesem Punkt verändert. Dorothee Krings bewertet in ihrer Analyse aus unserer Reihe „Corona-Einsichten“, wie sich der Stellenwert der Erwerbstätigkeit in der neuen Homeoffice-Welt wandelt. Trotzdem sind manche unserer Erfahrungen mit der Pandemie nicht besonders originell, wie Wolfram Goertz in seinem Essay über den lateinischen Autor Lukretz zeigt. In dessen Gedicht „De rerum natura“ aus dem 1. Jahrhundert vor Christus geht es um die Natur und die Schönheit des Lebens, aber auch um die Entstehung von Seuchen. Der Dichter schildert, wie verderbliche Partikel „umherschwirren“ und „die Luft verseuchen“, wo sie dann hängen „wie Wolken“. Ich hoffe, dass Sie den Aerosolwolken ausweichen können, und wünsche Ihnen ein rundum gelungenes Wochenende. Bis Montag! Herzliche Grüße! Ihr Moritz Döbler Mail an die Chefredaktion senden P.S.: Wenn Ihnen dieser Newsletter gefällt, empfehlen Sie die "Stimme des Westens" weiter! |