 |  | LITERATUR | |
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| Liebe Leserin, lieber Leser, |
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Als der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace im Jahr 2008 starb, hatte Donald Trump bereits einige hohe Häuser und Beinahepleiten hingelegt und sich mit der Fernsehshow „The Apprentice“ zudem in der Unterhaltungsindustrie einen Namen gemacht. Doch Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, davon träumte er damals noch lange nicht. Noch einmal zwölf Jahre zuvor, 1996, schrieb David Foster Wallace „Unendlicher Spaß“ – diesen unglaublich langen und komplexen Roman, den unser Kritiker zum Erscheinen der deutschen Übersetzung 2009 zum wichtigsten Roman der Neunzigerjahre ausrief, manche gar zum Jahrhundertwerk.  | Sandra Kegel | Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. | |
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| Was große Werke unter anderem auszeichnet, ist ihre vielfältige, mitunter überraschende Anschlussfähigkeit zu anderen Zeiten. Interessant an „Infinite Jest“ aus heutiger Sicht ist neben vielem anderen sicherlich auch ein Detail, das zum Zeitpunkt seiner Entstehung noch niemand ahnen konnte: dass der Roman das Gesetz der Parodie auf den Kopf stellen würde. Denn während Parodien in der Regel erst nach dem Ereignis geschrieben werden, über das sie sich lustig machen wollen, verhält es sich bei Wallace genau umgekehrt: In „Unendlicher Spaß“ verspottet er auf höchst groteske Weise ein Ereignis, lange bevor es eintritt.
Bereits 1996 lässt er einen Trump ähnlichen Charakter auftreten, der – solariumgebräunt und mit kupferrotem Toupet – aus dem Showbusiness kommt und es auf das Amt des amerikanischen Präsidenten abgesehen hat. Auf einer populistischen Welle wird er dann tatsächlich als Staatsoberhaupt ins Weiße Haus gespült. Die Ähnlichkeiten, die David Foster Wallace im Roman zu unserer Gegenwart herstellt, sind so verblüffend, dass selbst diejenigen, die in den Neunzigern, bekanntlich dem Zeitalter der Ironie, noch darüber lachen konnten, sich bei neuerlicher Lektüre heute daran verschlucken würden.
Vielleicht sind Amerikas Schriftsteller auch deshalb so zurückhaltend, wenn es um die neue Trump-Ära geht, die nichts weniger anstrebt als den Rechtsstaat auszuhöhlen, weil sie glauben, es sei schon alles gesagt. So jedenfalls kommentierte ein Leserbriefschreiber den Bericht unserer USA-Korrespondentin Frauke Steffens über das ohrenbetäubende Schweigen der amerikanischen Intellektuellen, und er verwies in diesem Zusammenhang auf den Roman „Unendlicher Spaß“, der schon damals den liberalen Westen in einer tiefen Krise sah.
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Unsere Leseempfehlungen:
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Der Roman-Präsident namens Johnny Gentle ist bei Wallace ein Schlagersänger aus Las Vegas mit Zwangsstörungen, weshalb alle in seiner Nähe Mundschutzmasken tragen müssen. Dass dieser Gentle sämtliche Sündenböcke für alles Schlechte, das Amerika widerfährt, jenseits der Grenzen der Gemeinschaft findet, kommt einem heute nicht weniger bekannt vor als sein Versprechen, die Steuern zu senken, die Regierung zu säubern und in den Vereinigten Staaten „Umsiedlungen“ im großen Stil vorzunehmen.
Der Romancier Wallace lässt seinen Präsidenten Gentle auch 1996 schon darüber nachdenken, wie er die NATO auflösen kann, weil die Europäische Union zu wenig in die Verteidigung investiere. Und mit Schrecken liest man, dass eine seiner ersten gar nicht sanften Amtshandlungen den Ländern Kanada und Mexiko gilt, die er in einen neuen Staatenbund eingemeindet und damit ihrer Souveränität beraubt.
Wohl nur, dass Gentle die Staatseinnahmen dadurch steigert, dass er Firmen das Recht verkauft, jeweils ein Kalenderjahr nach ihren Produkten zu benennen und so zum Beispiel das „Jahr der Inkontinenz“ ausgerufen wird, was zu einer neuen Zeitrechnung führt, ist als Idee aus der spekulativen Wirklichkeit von David Foster Wallace noch nicht in unsere Realität vorgedrungen. Donald Trump ist zum Glück kein Romanleser und wird sich daher nicht davon inspirieren lassen. Bleibt zu hoffen, dass seine Entourage von Elon Musk bis J. D. Vance sich ebenfalls nicht für postmoderne Literatur interessiert.
Mit besten Grüßen
Ihre Sandra Kegel
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