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Wochenende Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Samstag, 10.10.2020 | Bewölktes und windiges Wochenende mit geringer Regenwahrscheinlichkeit bei maximal 13°C. | ||
+ „Vertraut den Gastronomen“ – Berliner Sternewirt appelliert an den Senat + Krawalle am Abend nach der Räumung von „Liebig 34“ + CDU-Fraktion empört über Unterstützerbrief für Müller aus der Wissenschaft + |
von Lorenz Maroldt |
Guten Morgen, den ganzen Sommer über feierte tout Berlin (oder was sich dafür hält) Nacht für Nacht eine große Corona-Party – Open Air natürlich, die Clubs waren ja zu. Jetzt, da es draußen kalt wird und die Leute sich nachts nicht mal für Freibier in den Nieselregen stellen würden, kündigt Regiermeister Müller an, die Parks besser zu kontrollieren (damit schaffte er es gestern Abend sogar in die Tagesthemen) – und zugleich verhängt Berlin vom heutigen Tag an eine Sperrzeit zwischen 23 und 6 Uhr (kein Alk-Verkauf, Bars und Restaurants dicht). Dit is Berlin. Dazu auch unser heutiges Checkpoint-Quiz: Was machen die Leute in der genannten Zeit wohl stattdessen? a) Sie verbarrikadierensich Punkt 23 Uhr mit einem Becher Gesundheitstee vor Ihrem nagelneuen Antiviren-Filter und blättern bis zur Späti-Öffnung am frühen Morgen verzückt im Koalitionsvertrag. b) Sie schicken Punkt 23 Uhr eine „Nachti!“-Nachricht an ihre Follower, rezitieren ein Gedicht von Merkel („In Deutschlands schwerster Stund’ / wasch ich mir den Mund“) und gehen glücklich desinfiziert ins Bett (natürlich alleine). c) Sie setzen sich Punkt 23 Uhr schweigend vor ihren mit Bier gefüllten Kühlschrank, schauen sich bei Youtube Müller-Videos an (ohne Ton) und zählen streng selbstisoliert im Sekundentakt bis 25.200 (Mathe mit dem Checkpoint: macht 7 h) Na? Ok, das war leicht: Die Lösung lautet natürlich d). Und warum das so ist, erklärt uns hier jetzt Billy Wagner, Inhaber und Sommelier des Sternerestaurants „Nobelhart & Schmutzig“ per Insta-Story (gekürzte Abschrift): „Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, lieber Herr Müller, sehr geehrte Senatsmitglieder, ich würde grundsätzlich in Frage stellen, dass ein Alkoholverbot und eine Sperrstunde ihren Sinn und Zweck wirklich erfüllen. Natürlich senkt Alkohol die Hemmschwelle und macht uns alle etwas kuscheliger. Aber: Wenn wir uns die letzten Monate anschauen, dann wird doch sehr deutlich, dass Verbote letztendlich ihr Gegenteil bewirken: Menschen setzen sich darüber hinweg, suchen den Exzess, tun es erst recht. Und zwar im Privaten, wo keine Gastgeber*in die Einhaltung von Regeln und Maßnahmen überwacht. Denn das ist genau, was wir Gastronomen*innen seit der Wiedereröffnung Mitte Mai getan haben: Wir haben Regeln aufgestellt, Maßnahmen konzipiert und uns sehr eingehend mit dem Thema Hygiene und Infektionsschutz auseinandergesetzt. Wir haben dafür gesorgt, dass Menschen sich sicher eins hinter die Binde kippen können, wenn sie das möchten. Denn daran, dass Menschen das möchten und es auch tun, wird kein Verbot etwas ändern. Als Gastronom*innen haben wir ein unmittelbares Interesse daran, dass unsere Gäste, unsere Familien und wir selbst effektiv vor Ansteckungen mit dem Corona-Virus geschützt werden. Bitte vertrauen Sie meinem Berufsstand. Die große Mehrheit von uns nimmt unseren besonderen beruflichen und gesellschaftlichen Auftrag – gerade in dieser schweren Zeit – äußerst ernst. Menschen werden sich immer treffen. Menschen werden immer Alkohol trinken. Auch nach 23 Uhr. Wenn das nicht öffentlich geht, dann tun sie es privat. Wir können ein kontrolliertes Umfeld und Rahmenbedingungen dafür bieten, dass Menschen trotzdem Spaß haben und den Exzess nicht dort suchen, wo keine Wirtin noch einmal freundlich an Maske oder Abstand erinnert. Vielen Dank.“ | |||||
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Das „Beherbergungsverbot“ ist als wuchernde Corona-Wortkreatur so ansteckend, dass es selbst Schwierigkeiten hat, in diesem Corona-Herbst noch irgendwo unterzukommen – der Duden gewährt ihm jedenfalls kein Obdach („Leider gibt es für Ihre Suchanfrage im Wörterbuch keine Treffer“). Als Ferienkiller verbreitet es sich allerdings pandemisch quer durch die Republik, vor allem für Berliner (Neuinfektionsrate 56,4). Der Checkpoint hat Manuela Schwesig gefragt, wie die Aussichten darauf sind, unser Berliner Geld in den überteuerten Küstenhotels doch noch mit beiden Händen aus dem Fenster in die Ostsee werfen oder im Kamin verfeuern zu dürfen – hier die Antwort der Ministerpräsidentin: „Leider ist Berlin jetzt Risikogebiet und fällt damit unter die Regelung für Risikogebiete, die MV seit Monaten hat. Die Regelung von MV für Touristen ist nicht neu. Allerdings wurden gestern in der Kabinettssitzung Ausnahmen für Berufspendler beschlossen. Es tut mir wirklich außerordentlich leid für viele BerlinerInnen, die sich auf Herbstferien in MV gefreut haben. Aber dass Berlin Risikogebiet wird, hat MV nicht zu verantworten.“ | |||||
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Kaum hat Berlin den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz übernommen (1.10.), schon schießen die Corona-Zahlen nach oben. Wenn das mal Zufall ist! Aber dafür interessieren sich diese Verschwörungstheoretiker natürlich mal wieder nicht, sie haben besseres zu tun (z.B. ein Zeltlager im Tiergarten am Kanzleramt bauen, während die Behörden Verantwortungs-Pingpong spielen). Und kaum schießen die Zahlen nach oben, sagt Berlin die nächste Ministerpräsidentenkonferenz im Roten Rathaus ab (Ersatz: eine Videokonferenz). Manuela Schwesig hätten wir ohnehin nicht einreisen lassen (siehe oben) – und nein, wir sind nicht nachtragend, wir können nur schwer vergessen. | |||||
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Und eine letzte Corona-Meldung für heute: Das offizielle Hauptstadtportal des Senats, berlin.de, ist immer für eine unfreiwillige Erheiterung gut: Unter der Überschrift „Neukölln: Die Hotspots in Berlins Szene-Bezirk“ gibt’s nicht etwa, wie der Titel suggeriert, lokale Corona-News, sondern (u.a.) Party-Tipps: „Berlin-Neukölln hat sich zum hippen Szene-Viertel gemausert. Wo Touristen ihr Neukölln finden.“ Aktuelle Covid-19-Inzidenz im Bezirk: 143,1 – das reicht deutschlandweit für Platz 1 (in Berlin sowieso). Anziehend ist das nicht, aber ansteckend. | |||||
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Im unermüdlichen Einsatz für ein lebens- und liebenswertes Berlin haben am Abend Freund*innen des queerfeministischen Projekts Liebig 34 rund um den Hackeschen Markt Läden und Autos zerdeppert (nachdem sie zu Beginn der Woche den solidarischen Berlinerinnen und Berlinern bereits per Kabelbrand die Tortur von S-Bahnfahrten ersparten). Am Morgen war das Symbol-Haus der linksautonomen Szene in Friedrichshain mit großem Aufwand geräumt worden – Checkpoint-Frühdienstbewerber Alf Frommer (z.Zt. noch Creative Director der Agentur „ressourcenmangel“) kommentierte das so: „Zu einer Wohnungsbesichtigung in Berlin kamen heute 1500 Polizisten – das ist selbst für Berliner Verhältnisse recht viel.“ Der Einsatz war offenbar anstrengend – die GdP hatte für die Kollegen einen Currywurststand an der Wache Friesenstraße aufgebaut, das Motto: „Du räumst die Liebig 34, wir sorgen für Energie“. Checkpoint-Analyse: Die Sache ist noch lange nicht gegessen. | |||||
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