Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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28. Januar 2024
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
Wer war der Richter, der im Gerichtssaal die Krawatte des Anwalts zerschnitt und zu den Akten nahm? Welcher Politiker ist ein Schüler von Jesus Christus und von Karl Marx? Wer war der Prof. Dr. BRD? Und welche Feministin verbündete sich mit den Männern, weil die Männer ihr dabei helfen sollten, die, wie sie maulte, „Scheiße des Patriarchats“ wegzuräumen? Solche Fragen habe ich vor Jahren in einem mittlerweile vergriffenen Buch beantwortet; es war im Süddeutschen Verlag erschienen und trug den Titel „Außer man tut es“.  Es handelte von Utopisten und anderen Realisten, von Mächtigen und von Mutigen, von großen Zwergen und von kleinen Riesen, von starken Frauen und von ihren Widersachern.

Wenn ich das Buch heute schreiben würde, würde ich ein langes Kapitel darin den vielen Hunderttausend Menschen widmen, die seit dem vergangenen Wochenende in so vielen Städten in ganz Deutschland gegen den grassierenden Rechtsextremismus, gegen den Neonazismus und gegen die AfD demonstrieren. Der treffende Kommentar dazu ist schon alt und stammt aus prekärer Zeit, er stammt von Erich Kästner. „Es gibt nichts Gutes / außer: man tut es“. Der Schriftsteller hat dieses Epigramm 1936 in „Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke“ veröffentlicht.

Die Entrostung der Waffen der wehrhaften Demokratie

„Außer man tut es“: Ich würde in diesem Buch auch schreiben über die bisher eine Million und sechshundertfünfzigtausend Menschen, die eine Petition gegen den AfD-Politiker und Neonazi Björn Höcke unterschrieben haben. Diese Petition fordert die Bundesregierung auf, beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Grundrechtsverwirkung nach Artikel 18 unserer Verfassung gegen diesen Neonazi zu stellen, der in Thüringen, wie er sagt, an die „Hebel der Macht“ will. Das muss ausgehebelt werden. Ich habe keinen Zweifel daran, dass so ein Antrag auf Grundrechtsverwirkung Erfolg haben wird. Zu prüfen ist ja hier nicht die kämpferische Verfassungsfeindlichkeit einer ganzen Partei, sondern die kämpferische Verfassungsfeindlichkeit eines einzelnen besonders extremen Mitglieds. Beim Erfolg eines solchen Antrags dürfte sich Höcke nicht mehr wählen lassen; er könnte keine öffentlichen Ämter mehr übernehmen. Es ist zwar kaum zu erwarten, dass über einen solchen Antrag in Karlsruhe binnen weniger Monate entschieden wird; gleichwohl ist so ein Antrag, den die Bundesregierung, der Bundestag oder eine Landesregierung stellen müsste, ein wichtiges Signal. Das wäre der Beginn der Aktion Entrostung - nämlich der Entrostung der Waffen der wehrhaften Demokratie. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!

Die erfolgreiche Unterschriftenaktion „Höcke stoppen“ hat der 56-jährige Düsseldorfer Physiker Indra Ghosh auf dem Online-Portal „Campact“ auf die Beine gestellt. Indra Ghosh ist ein Exempel dafür, was ein Einzelner vermag. Seit dieser Unterschriftenaktion, seit diesen großen Demonstrationen wird intensiver denn je darüber diskutiert, wie sich die Demokratie gegen die Anti-Demokraten wehren kann und wehren muss. Was haben die Menschen gemeinsam, die gegen die AfD auf die Straße gehen? Nicht unbedingt gemeinsame politische Ansichten im Detail – aber die Bereitschaft, die Demokratie zu schützen. Sie wollen verhindern, dass die Gegner der Grundrechte sich an den Grundrechten gütlich tun. Es wäre gut, wenn diese Volksbewegung die Kraft hätte, die Politik zu bewegen. Die Weimarer Republik ist daran gescheitert, dass sie eine Demokratie mit zu wenig Demokraten war. Das kann man, wie die Demonstrationen und die Unterschriftenaktionen zeigen, von der Bundesrepublik des Jahres 2024 nicht sagen. Das macht mich ein wenig stolz – und sehr zuversichtlich.
SZPlus Prantls Blick
Die Menschenwürde braucht Personenschutz
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Ich wünsche Ihnen diese Zuversicht auch.
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Eine Wurst aus Wasser
Ich habe dieses Buch über den Rhein gelesen, weil ich die Donau so gern mag. Das klingt paradox, ist es aber nicht. Rhein und Donau halten Europa zusammen, Rhein und Donau sind die Achsen Europas: Die Donau ist die West-Ost-Achse, der Rhein die Nord-Süd-Achse. Claudio Magris hat 1996 in seiner Biografie über die Donau geschrieben, dass sich seit dem Nibelungenlied Rhein und Donau voller Misstrauen gegenüberstehen. Ich habe seinerzeit das Buch von Magris über die Donau verschlungen (und das in meiner SZ-Kolumne vom 4. März 2022 über den Krieg in der Ukraine geschrieben). Deshalb war ich nun neugierig auf die „literarische Biografie“ des Rheins, die mir eine Freundin aus Köln zu Weihnachten geschenkt hat. Es ist ein Buch, das einen mitreißt. Nicht auf jeder Seite, aber auf vielen. Manchmal treibt man auch nur gemessen dahin und man hat dann beim Lesen Zeit zum Sinnieren. Dann fallen einem Liedzeilen ein, an die man schon ewig nicht mehr gedacht hat: „Es rauschen die Bäume, es murmelt der Fluß“. Und es kommt die Erinnerung an Wanderungen in der Kindheit, auf denen man dieses Lied von der blauen Blume gesungen hat; es heißt „Wir wollen zu Land ausfahren“. 

Mathijs Deen, der niederländische Autor dieses Buches über den Rhein, hat ganz viele Wanderungen unternommen, durch die Gegenwart und vor allem durch Geschichte und Urgeschichte, sich dabei unter anderem von einem Paläogeografen begleiten und beraten lassen – und dabei die Erkenntnis gewonnen: „Den Rhein hat es immer gegeben.“ Die Paläographie ist ein Teilgebiet der Geologie, die erkundet, wie die Erde in frühen Zeiten ausgesehen hat. Auch auf diese Weise ist Mathijs Deen dem Rhein auf den Grund gegangen und hat darüber ein spannendes, gescheites und vergnügliches Buch geschrieben. Was ist ein Fluss? Ist er identisch mit seinem Bett? Ist er eine Wurst aus Wasser? Endet er an seinen Ufern?  Der Autor hatte, wie er gesteht, den Rhein ursprünglich als eine uralte, aber doch sterbliche Person beschreiben wollen – von der Geburt bis zum Tod. Das ist ihm auf überzeugende Weise missglückt. Stattdessen begegnet man laichenden Lachsen, Julius Caesar und Kaiser Karl dem Großen. Und man kostet mit dem Autor den Geschmack des Rheins dort, wo er seinen Lauf beginnt: „Ich knie mich in den Schnee und trinke aus dem Rhein; er schmeckt nach Stein.“

Mathijs Deen: Fluss ohne Grenzen. Der Rhein – eine literarische Biographie. Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke. Erschienen 2023 bei Knesebeck. Das Buch hat 304 Seiten und kostet 25 Euro.
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Grundrechtsverwirkung
Gertrude Lübbe-Wolff ist eine scharfe juristische Denkerin. Die Professorin für Öffentliches Recht war von 2002 bis 2014 Richterin am Bundesverfassungsgericht, als Nachfolgerin von Jutta Limbach. In der Süddeutschen Zeitung vom Samstag plädiert sie dafür, Björn Höcke, dem rechtsextremistischen Fraktionschef der AFD im Landtag von Thüringen, als Verfassungsfeind gemäß Artikel 18 Grundgesetz bestimmte Grundrechte zu entziehen – ihn unter anderem von der Wählbarkeit auszuschließen. Lübbe-Wolff tut das sachlich, präzise und überzeugend: „Gewiss, die Instrumente der wehrhaften Demokratie zu nutzen, ist nie ganz ohne Risiko. Das spricht nicht gegen sie, denn auch der Verzicht auf sie ist nicht risikolos“. Lübbe-Wolff ist davon überzeugt, dass ein Antrag auf Grundrechtsverwirkung gegen einzelne hervorstechende AfD-Extremisten viel erfolgversprechender sei als ein Verbotsantrag gegen die ganze Partei. Ihr Text ist lesens- und bedenkenwert!
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