Editorial
Sehr geehrte Damen und Herren, die Versicherungsnehmer werden sensibler und kritischer. Und das gilt ausdrücklich nicht nur für das voll autonome Fahrzeug der Zukunft, sondern vor allem auch in Bezug auf die Daten, die das eigene Auto während jeder einzelnen Fahrt generiert. Neun von zehn Autofahrer, die forsa im Auftrag der DEKRA befragt hat, wollen genau wissen, was damit passiert und selbst entscheiden, wer diese Daten überhaupt bekommen soll. 72 Prozent der Befragten lehnen es ab, dass Werkstätten, Versicherungen oder Behörden aus dem Material Rückschlüsse auf ihren Fahrstil ziehen können. Auch die Angst vor Hackerangriffen auf das Fahrzeug und möglicherweise daraus resultierenden Unfällen spielt fast für jeden Zweiten eine nicht unbedeutende Rolle. Geduldet würde von 63 Prozent lediglich die Abfrage der "Fahrzeug-Kondition" und die Info darüber, wann welche Wartung bzw. Reparatur empfohlen wird. Diese Umfrage-Ergebnisse dürften indes auch ein arger Dämpfer sein für die hohen Erwartungen, die Versicherungen seit Jahren in das Thema PAYD, also sogenannte Telematiktarife nach dem Pay as you drive Prinzip stecken. Mit solchen Produkten wollen Versicherer besonders risikoarmes Fahren mit Prämiennachlässen bis zu 40 Prozent belohnen. Die Intention dafür ist klar: Um einen maximalen Nachlass zu erhalten, muss auch der maximale Score – nehmen wir ihn mit 100 Punkten an – erreicht werden. Das sogenannte "Risikowagnis" des Fahrers, dessen Fahrdisziplin per Telematik an den Kfz-Versicherer zur weiteren Auswertung übertragen wird, muss also fast gegen Null laufen, um optimal abzuschneiden. Dann ist das Ganze letztlich für beide Seiten lohnend: Die Assekuranz muss kaum mit einem regulierungspflichtigen Schadensfall rechnen, der brave Autofahrer bekommt dafür fairerweise einen deutlichen Nachlass bei seiner Versicherungsprämie. Die Sache hat nur einen Haken, wie die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte, die DAT und auch der GDV selbst herausgefunden haben: Nach wie vor lehnt fast jeder zweite deutsche Autofahrer einen Telematiktarif kategorisch ab. Etwa 26 Prozent aller Kfz-Besitzer sind skeptisch gegenüber Telematik-/PAYD-Tarifen und deren vermeintlichen Vorteilen. Jeder Vierte könnte sich solche Tarife für sein Auto zwar vorstellen, aber nur etwa vier Prozent (andere Quellen sprechen von maximal sieben Prozent) wären auch tatsächlich bereit, in einen Kfz-Telematiktarif zu wechseln. Telematik galt bis vor nicht allzu langer Zeit als das große Zukunftsthema der Versicherungsbranche. Der Trend, den Forscher auch in Kundenportalen und diversen Diskussionsforen ausfindig gemacht haben, hat jedoch eine andere, eher negative Tendenz. Das wiederum hat seinen Grund vor allem im deutlich aufgeklärteren Verbraucher, wie letztlich auch die forsa-DEKRA-Umfrage unterstreicht: Wer hat – außer im Falle eines PAYD-Tarifs der eigene Versicherer – sonst noch welchen Zugriff auf die eigenen Daten? Was passiert damit? Wo und wie lange bleiben die ausgewerteten Informationen gespeichert? Werden sie sicher aufbewahrt und anonymisiert? Und um eine Frage der Hamburger Verkehrsrechtsanwältin Dr. Daniela Mielchen aufzugreifen, die diese vor einigen Jahren auf dem Wirtschaftsfporum der Süddeutschen Zeitung gestellt hat: Wird das eigene Auto nach einem Unfall bzw. in einem Strafprozess möglicherweise zur Zeugin der Anklage gegen mich selbst? Auch die vom früheren GDV-Hauptgeschäftsführer Dr. Jörg Freiherr Frank von Fürstenwerth sowie von mehreren Experten beim Allianz Autotag 2019 erörterten Risiken des Hacker-Zugriffs auf die immer mehr vernetzten Autos haben längst breiten Raum in gesellschaftlichen und politischen Diskussionen eingenommen. Bevor also der Autofahrer keine eigene Entscheidungshoheit darüber erhält, wem er selbst seine Fahrzeugdaten verfügbar macht und wen er sperren kann, bevor nicht völlige Transparenz und klare, unmissverständliche rechtliche Rahmenbedingungen sowie ein überzeugender Schutz gegen Hackerangriffe auf die Fahrzeugfunktionen von außen geschaffen sind, wird eine mehrheitlich ablehnende Haltung gegen die Weitergabe von Daten, damit auch gegenüber Telematik-/PAYD-Tarifen weiter recht hartnäckig bei den Autofahrern verbleiben. Corona hat diese Situation eher verschärft, nachdem die durchschnittliche Jahresfahrleistung inzwischen merklich gesunken ist und wohl auch nach Überwindung der Pandemie das Fahrverhalten nicht mehr das gleiche wie zuvor sein wird. Eine beschleunigte Klärung vieler wichtiger Fragen war in der vergangenen Woche nicht einmal von der europaweit größten Verkehrsrechts-Fachveranstaltung in Goslar zu erwarten, schließlich entfielen die traditionellen Arbeitskreise des 59. Deutschen Verlehrsgerichtstages, in denen genau solche aktuelle Themen hätten behandelt werden können, in Gänze. Bleibt also auch hier abzuwarten, welche Lösungen künftig von der Automobilindustrie, der Versicherungswirtschaft, von Verbänden, Rechtsexperten und letztlich vom Gesetzgeber angeboten werden können – und ob sie glaubhaft für die autofahrenden Verbraucher sind. Das alles wird noch ein sehr weiter und langer Weg sein, der zu gehen ist! Bleiben Sie dennoch mutig und entschlossen in Ihrem eigenen Handeln und bei Ihren Entscheidungen! Es grüßt Sie auf das Herzlichste Ihr Karsten Thätner CvD AUTOHAUS-Schadensmanager
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