China: Wachstum nach Vorschrift birgt Risiken
China: Wachstum nach Vorschrift birgt Risiken von Sven WeisenhausBlickt man auf die US-Indizes, wie gestern mein Kollege Torsten Ewert, dann steh en die Börsenampeln aktuell auf grün. Auch hierzulande haben sich Aktienindizes wie der DAX und der Euro STOXX 50 ordentlich erholt und damit große Teile ihrer Brexit-Verluste wieder aufgeholt. Insgesamt kann man daher sagen, dass die Aktienmärkte das Referendum der Briten vollständig verdaut haben und man dieses Thema charttechnisch abhaken kann. Brexit-Auswirkungen unbekannt Derweil streiten Ökonomen noch über die Auswirkungen einer verkleinerten EU auf die Wirtschaft. Mehr als ein um 0,5 Prozent schwächeres BIP-Wachstum der verbleibenden EU-Länder in einem Jahr sieht derzeit allerdings kaum jemand. Ob es überhaupt dazu kommt, wird man aber wohl niemals feststellen können. Denn es kann ja auch niemand genau sagen, wie stark die Wirtschaft ohne das Brexit-Votum gewachsen wäre. Entsprechend verwundert es kaum, dass sich die Aktienmärkte an diesen Spekulationen inzwischen nicht mehr beteiligen und jüngst deutliche Stärke zeigten. Berichtssaison rückt in den Fokus Während das fröhliche Rätselraten über zukünftige Auswirkungen des Brexits jedoch noch eine Weile weitergehen wird, kann man bereits in diesen Tagen sehr genau nachlesen, wie sich die Wirtschaft in der Vergangenheit entwickelt hat. Denn zahlreiche Unternehmen lassen in ihre Bücher blicken. Und die Zahlen, die dabei zu Tage treten, rücken das Brexit-Thema weiter in den Hintergrund. Wie Sie schon am Montag vergangener Woche hier an dieser Stelle lesen konnten, ist die alles entscheidende Frage dabei, ob die Zahlen der Unternehmen die zuletzt starke Performance der Aktienindizes bestätigen können. Sollte die Berichtssaison die Erwartungen der Anleger enttäuschen, könnte es zu einem Rückfall kommen, weil die Unternehmen dann gegebenenfalls aus Anlegersicht aktuell zu hoch bewertet wären. Bewertungskennzahlen auf ambitioniertem Niveau Mein Kollege Torsten Ewert hatte ja gestern schon kurz auf die ambitionierte Bewertung der Aktienmärkte in den USA hingewiesen. Hier nun ein paar konkrete Zahlen dazu: Für die bereits angelaufene US-Berichtssaison zum zweiten Quartal erwarteten die Experten der DZ-Bank einen durchschnittlichen Gewinnrückgang um 6,2 Prozent. Damit liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des S&P 500 auf Basis der 2016er-Gewinnschätzungen der BNP Paribas bei knapp 18 und damit deutlich über dem mittel- bis langfristigen Durchschnitt von 14. Noch kritischer ist das Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) zu sehen. Das hat nämlich laut BNP mittlerweile einen Wert von 1,9 erreicht und liegt damit auf dem Niveau seines Allzeithochs aus dem Jahr 2000. Während die Konzerne ihre Gewinne durch Sondereffekte beeinflussen könnten, ist dies bei den Umsätzen nicht möglich. Entsprechend ist das KUV gegenüber dem oftmals künstlich niedrig gerechneten KGV eine verlässlichere Kennzahl. Angesichts dieser Zahlen und des kurzfristig überkauften Zustand der US-Indizes sowie des intakten Abwärtstrends im DAX (siehe Analyse von Freitag) besteht also ein deutliches Rückschlagpotenzial an den Aktienmärkten – „Alternativlosigkeit“ von Aktien hin oder her. Fällt die Berichtssaison allerdings insgesamt positiv aus und stellen die Unternehmen zudem weiteres Wachstum in Aussicht, dann können die Kurse noch weiter zulegen. China: Wachstum nach Vorschrift Doch als Anleger sollte man immer auch die Risiken im Blick haben. Und so muss ich heute auch wieder China thematisieren: Glaubt man den offiziellen Daten aus dem Reich der Mitte, dann ist Chinas Wirtschaft im zweiten Quartal im Vorjahresvergleich um 6,7 Prozent gewachsen. Diese 6,7 Prozent sind derselbe Wachstumswert wie im ersten Dreimonatszeitraum des Jahres 2016. Damit scheint es, als habe sich die aufstrebende Wirtschaftsnation gefangen. Doch genau daran muss man zweifeln. Die Zahlen sind einfach zu glatt und lieferten nahezu eine Punktlandung auf dem Weg zum vom Staat vorgegebenen Wachstumsziel. Hier klingt also alles nach „Wachstum nach Vorschrift“. Es ist aber unwahrscheinlich, dass man eine solch große und dynamische Wirtschaft derart exakt steuern kann. „Zombie-Firmen“ werden mit Krediten über Wasser gehalten Auch ein Blick auf die Details verrät, dass dieses Wachstum nicht gesund ist. Denn das Ergebnis wurde fast ausschließlich durch eine massive Ausweitung von Krediten erreicht, die allein im Juni im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 104 Milliarden Yuan bzw. umgerechnet 14 Milliarden Euro stiegen. Schon lange hält Peking kriselnde Unternehmen nur noch mit billigen Krediten über Wasser. Experten sprechen längst von „Zombie-Firmen“. Die Folge sind immense Überkapazitäten und ein immer weiter steigendes Kreditvolumen. Die Lage im Industriesektor, der erheblich mit dem Abbau der Überkapazitäten zu kämpfen hat, ist dadurch sehr angespannt. Mit staatlichen Konjunkturhilfen zum Wachstumsziel Zudem haben staatliche Konjunkturhilfen erheblich zu dem BIP-Anstieg von 6,7 Prozent beigetragen. Die Regierungsausgaben legten im Juni um 19,9 Prozent zu, nach einem Plus von 17,6 Prozent im Mai. Um das Wachstum auf dem gewünschten Niveau zu halten, steckte das Land viel Geld in Infrastrukturprojekte und senkte zudem die Steuern. Außenhandel enthüllt Risse in der Fassade Und auch im Außenhandel erkennt man, dass die staatlich verordnete Fassade Risse hat. So verkaufte Chinas Wirtschaft im Juni erneut spürbar weniger Waren ins Ausland. Die Exporte, die schon seit 2015 fast durchgängig rückläufig sind, sanken auf Jahressicht um 4,8 Prozent. Ein ähnliches Bild zeigen die Importe, die seit November 2014 kontinuierlich zurückgehen und im Juni um 8,4 Prozent einbrachen. Chinas Wirtschaft im Wandel Chinas Wirtschaft steckt in einem Wandlungsprozess. Sie ist immer weniger die „Werkbank der Welt“. Stattdessen wächst der Dienstleistungsbereich bereits seit vier Jahren rund 1,5 Prozentpunkte schneller als die Industrie. Dieser Strukturwandel bedarf durchaus einer staatlichen Lenkung. Die chinesische Regierung setzt dabei auf ein bewährtes Rezept: So deutet die stark anziehende Investitionstätigkeit der Staatsunternehmen darauf hin, dass diese zur Wachstumsstabilisierung auserkoren wurden. Dennoch ist die jüngste Entwicklung in China laut Experten vergleichbar mit Situationen, die sich in der Geschichte regelmäßig vor Finanzkrisen gezeigt haben. Besonders beunruhigend ist die hohe Zahl fauler Kredite in den Bilanzen von Chinas Banken. Das Volumen dieser Papiere ist in den vergangenen zwölf Monaten um mehr als 40 Prozent auf rund 210 Milliarden Dollar gestiegen. Italien lässt grüßen (siehe „Die Schuldenprobleme von morgen sind heute“)! Nicht ohne Grund sieht der Chart des Shanghai Composite nach wie vor desaströs aus: Genau wie der DAX oder der Euro STOXX 50 hat auch der chinesische Aktienindex sein April-Hoch noch nicht überwunden. Würden die Anleger an eine wirtschaftliche Stabilisierung in China glauben, sähe der Chart sicherlich anders aus. Fazit Mit anderen Worten: Die neuen Allzeithochs in den US-Indizes S&P500 und Dow Jones sind derzeit tatsächlich der einzige Grund zum Jubeln. Von anderen Märkten erhalten wir dagegen andere Signale. Welche sich letztlich durchsetzen, muss einfach noch etwas abgewartet werden. Es gilt aber auch: Aktien sind im Vergleich mit anderen Anlageklassen, wie Anleihen und Immobilien, nach wie vor am günstigsten. Das gilt sogar für US-Aktien, selbst wenn diese aktuell etwas überteuert sind. Für mich ist derzeit eher der DAX mit seinem KGV von rund 12 ein absoluter Kauf. Und wie wir hier seit Wochen schreiben, könnte es sein, dass wir mittel- bis langfristig das letzte Mal Kurse unter 10.000 Punkten im DAX gesehen haben. Ich würde also weniger das Allzeithoch im S&P 500 oder Dow Jones kaufen als vielmehr einen Ausbruch des DAX aus seinem Abwärtstrendkanal – wenn er kommt. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage Ihr Sven Weisenhaus
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