Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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24. September 2023
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
wenn die Mama Geburtstag hat und das Taschengeld gerade knapp ist, schenken die Kinder ihr einen Gutschein. Da schreiben sie dann drauf: „Gutschein für zwei Wochen Müll ausleeren“, oder „eine Woche lang den Tisch decken“, „den Hund ausführen“ oder „Staub saugen“ – vielleicht auch alles miteinander. So ähnliche Versprechen sind die Wahlversprechen und die Wahlprogramme. Die eine Partei verspricht dem Wähler die Steuern zu senken, die andere verspricht neue Arbeitsplätze, die nächste den Ausbau der Kindergärten und der Schulen. Versprochen wird die Senkung der Flüchtlingszahlen, die Behebung des Lehrermangels und der Wohnungsnot. Bisweilen versprechen die Parteien auch alles zusammen. Dazu kommen natürlich Ankündigungen zur Bekämpfung der Kriminalität. Und: Es wird viel von „Wende“ geredet, „Pakte“ werden angekündigt. So zuletzt auf dem Wahlparteitag der CSU am Samstag auf der Messe in München-Riem.

Wahlen sind ja so etwas wie die Geburtstage der Demokratie. Aber es ist nicht jeden Tag Geburtstag. Bei den Geburtstagen der Mutter kommt es schon vor, dass der junge Gratulant den Mund ein wenig zu voll nimmt und schon ahnt, dass er Dinge verspricht, die er dann nicht hält – weil der gute Wille am Geburtstagsmorgen größer ist als die Tatkraft in den Wochen, die dem Festtag folgen. So ist es bei den Wahlversprechen auch. Die Parteien versprechen das Blaue vom Himmel, obwohl sie ahnen, dass dieser Himmel nach der Wahl so grau sein wird wie vorher – und sie hoffen daher ein wenig auf die Vergesslichkeit der Wähler. Und dann gilt natürlich auch der alte lateinische Satz: „Ultra posse nemo obligatur“, was so viel heißt wie „Niemand kann verpflichtet werden, mehr zu leisten als er kann.“ Das gilt zumal für die Oppositionsparteien, die darauf verweisen können, dass sie ohne Regierungsmacht ihre Ideen halt nicht durchsetzen können.  

Was ist Werbung, was ist Lüge?
Ist es Lüge, wenn Dinge versprochen werden, die dann nicht gehalten werden? Man sollte sich mit solchen Vorwürfen zurückhalten. Es handelt sich um Werbung – manchmal gute, manchmal schlechte, bisweilen glaubwürdige und bisweilen unglaubwürdige, aber wohl immer um bezeichnende Werbung. Eine seriöse demokratische Partei sollte vorsichtig sein damit, einer anderen Lüge vorzuwerfen. Die CDU/CSU hat da vor zwanzig Jahren einen fatalen Fehler gemacht, als sie nach ihrer knappen Wahlniederlage mit dem Kanzlerkandidaten Stoiber der rot-grünen Regierung Schröder vorwarf, diese habe die Bundestagswahl vom 22. September 2002 durch Lüge und vorsätzlichen Wahlbetrug gewonnen; die CDU/CSU setzte dazu zusammen mit der FDP im Bundestag einen Untersuchungsausschuss ein, der unverblümt „Lügenausschuss“ genannt wurde. Schröders Regierung habe die Öffentlichkeit bewusst über die finanzielle Schieflage des Bundeshaushalts und der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung im Unklaren gelassen, hieß es. Der Ausschuss war ein Propaganda-Ausschuss. Seine Arbeit endete vor zwanzig Jahren im Nichts. Außer Spesen nichts gewesen? Nein. Diese Art des Missbrauchs eines Untersuchungsausschusses zu Agitationszwecken war eine giftige Saat.

Die AfD, die es vor zwanzig Jahren noch nicht gab, beschimpft und verhöhnt heute die Politik der von ihr so genannten „Altparteien“ und „Systemparteien“ als dumm, als lügnerisch und betrügerisch. Das auf alle anderen Parteien und auf alle Kritiker gemünzte Wort „Lügner“ gehört zu den Lieblingswörtern der AfD, die sich gern aufs Podium der absoluten Wahrheit stellt und auf die angeblich „dreckige Politik“ aller anderen zeigt. Sich selbst geben die AfD-Leute als Saubermänner aus und sie tun so, als seien sie unablässig damit beschäftigt, dem Volk reinen Wein einzuschenken. Vor denen, die das behaupten, muss man sich am meisten hüten.
SZPlus Prantls Blick
Wahlkampf – Wahrheit, Lüge, Inszenierung
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In den Zeiten von Dreierkoalitionen ist es für jede dieser Parteien besonders schwierig, ihre Wahlversprechen zu realisieren. Andererseits aber können sie ja vor der Wahl nicht sagen: „Leute, wir wissen nicht, was nach der Wahl von unseren Vorstellungen noch übrigbleibt.“ Im Gegenteil: Es werden im Wahlkampf die Differenzen noch stärker hervorgehoben und es wird versprochen, was man selbst für richtig hält, auch wenn man dann in der Regierungskoalition nicht damit durchkommt. Dies ist ein ungelöstes Dilemma. 

Noch ein kleiner Hinweis – als Werbung ohne Lüge - am Schluss: Meine Kolumne in der SZ, die bisher am Samstag publiziert wurde, erscheint jetzt, seit vergangener Woche, in der Freitagsausgabe der SZ. Und zu guter Letzt: Am kommenden Sonntag ist das Erntedankfest. Vielleicht gibt es auch in so anstrengenden Zeiten, wie wir sie gerade erleben, einiges, für das wir danken können.

Herzlich, Ihr  
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Parteistiftung der AfD
Steuermillionen für Erbschleicher?  
Es ist dies das Schlimmste, was dem grandiosen Gelehrten Desiderius Erasmus von Rotterdam seit der Inquisition passiert ist: Die Parteistiftung der AfD schmückt sich ausgerechnet mit dem Namen dieses großen Europäers und Humanisten. Es handelt sich um Erbschleicherei und um eine Verunglimpfung des Angedenkens Verstorbener. Erasmus ist im Jahr 1536 gestorben. Er war ein Wegbereiter der Aufklärung, sein glanzvolles Werk hat die Jahrhunderte überdauert. Man würde der AfD-Stiftung am liebsten den Namen „Desiderius Erasmus“ wegnehmen und ihr den Namen von Carl Schmitt geben, also den Namen des berühmt berüchtigten NS-Apologeten. Aber das ist auch per Gesetz nicht möglich. Möglich ist es aber, ein Gesetz über die staatliche Finanzierung von parteinahen Stiftungen so zu formulieren, dass diese Stiftung kein staatliches Geld bekommt, mit dem es dann grund- und menschenrechtsfeindliche Arbeit bezahlt. 

Auf Klage der AfD entschied das Bundesverfassungsgericht im März 2023, dass die Finanzierung der parteinahen Stiftungen durch ein spezielles Bundesgesetz geregelt werden muss. Wie muss das Gesetz aussehen? Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat dazu ein Gutachten in Auftrag gegeben. Es wurde unter dem Titel „Verfassungsrechtliche Maßgaben für den Ausschluss parteinaher Stiftungen von der staatlichen Förderung“ von den Berliner Rechtsprofessoren Christoph Möllers und Christian Waldhoff verfasst. Das Gutachten stellt klar, dass der Ausschluss der AfD-Stiftung nicht schon mit diesem Gesetz erfolgen kann; das Gesetz könne nur die Kriterien für die Förderung beziehungsweise Nichtförderung festlegen.

Wie diese Kriterien aussehen können und müssen, das legt eine sehr lesenswerte Untersuchung von Arne Semsrott und Matthias Jakubowski dar, die soeben erschienen ist und zu dem Ergebnis kommt, dass die Desiderius-Erasmus-Stiftung „zur Radikalisierung der Gesellschaft beiträgt“. Sie biete nicht nur radikalen, rechten Positionen eine Bühne, auch ihre Ausrichtung und ihr Personal seien „extrem rechts“. Das zukünftige Stiftungsfinanzierungsgesetz sollte deshalb von parteinahen Stiftungen den Nachweis verlangen, dass sie mit ihrer Arbeit die Grund- und Menschenrechte fördern – als „zentrale Voraussetzung für demokratische politische Bildung“.

Die Autoren: Arne Semsrott ist Politikwissenschaftler und Projektleiter von FragDenStaat, einem Portal für Informationsfreiheit. Matthias Jakubowski ist Jurist und Referent im Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestags.

Arne Semsrott/Matthias Jakubowski, Desiderius-Erasmus-Stiftung – immer weiter nach rechts außen. OBS-Arbeitspapier 61. Frankfurt am Main, September 2023. Es kann wie folgt  bestellt werden: 
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Kinderwahlrecht
Wenn Babys wählen dürfen
Der Bonner Philosophieprofessor Markus Gabriel wirbt mit Verve und Fantasie für ein Kinderwahlrecht – in einem Interview in der Wochenendausgabe der SZ. Dabei hält er sich mit den rechtlichen Problemen, die sich da stellen, nicht auf. Er ist ja Philosoph und deshalb nicht für Praxis, sondern für die Theorie zuständig, für das „Gedankenexperiment“, wie er selbst sagt. „Ein Neugeborenes kann natürlich kein Kreuzchen setzen, also müssten wir das Wahlrecht bis zu einem bestimmten Alter an die Erziehungsberechtigten delegieren“; beim „bestimmten Alter“ denkt der Professor – es handelt sich ja um ein Gedankenexperiment – an vier (!) Jahre. Und wer entscheidet, wenn sich die Erziehungsberechtigten darüber streiten, wem sie die Stimme des Kindes geben? Wer entscheidet, wenn die Mutter die Partei X und der Vater die Partei Y wählen will? Soll künftig darüber das Familiengericht entscheiden? Gehört das zur Ausübung des Sorgerechts? Solche Fragen beantwortet der Philosoph nicht. Trotzdem (oder gerade deswegen) ist sein Gedankenexperiment spannend.
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