wahrscheinlich haben Sie beim Wort „Notbremse“ bis vor kurzem auch immer an diese roten und mit einer Plombe versehenen Henkel in Zugwaggons gedacht, unter denen zu lesen ist: „Betätigung führt zum Halt, Missbrauch strafbar!“ Einmal kräftig daran ziehen, und das Fahrzeug kommt zum Stehen. Mit der bundeseinheitlichen Corona-Notbremse ist die Sache leider etwas komplizierter, und ob damit überhaupt irgendetwas gestoppt werden kann, das erscheint doch einigermaßen fragwürdig. Allein die Bedienungsanleitung für die Bundes-Notbremse ist kryptischer als ein schlecht aus dem Chinesischen übersetztes Manual für selbstfahrende Rasenmäher: Ab einer Inzidenz von 100 gelten demnach beispielsweise nächtliche Ausgangssperren von 22 Uhr bis fünf Uhr morgens. Joggen und Spaziergänge sollen jedoch bis Mitternacht erlaubt sein. Woran die Ordnungshüter erkennen sollen, ob ein Passant um elf Uhr nachts als Spaziergänger nur frische Luft schnappen will oder doch zu einer rauschenden Sex-Orgie unterwegs ist, bleibt das Geheimnis des Gesetzgebers. Ich würde mal sagen: Menschen, die um diese Zeit in einer Latex-Korsage über die Straßen wandeln, machen sich verdächtiger als solche, die mit Wanderstiefeln oder Nordic-Walking-Stöcken durch den Park stapfen. Aber wer weiß das schon? Ein rätselhaftes Regelwerk Falls Sie jetzt Ihre Leidenschaft für nächtliches Jogging entdecken sollten, aber noch nicht über die entsprechende Ausrüstung verfügen, beachten Sie folgendes: Laufschuhe bestellen Sie bitte im stationären Fachhandel und holen diese dann unabhängig von der Inzidenz dort ab. Steigt der Inzidenzwert nicht über 150, bleibt immerhin das Einkaufen mit Test und Terminbuchung weiterhin möglich. Für mich klingt das alles ein bisschen so, als habe Franz Kafka sich dieses Regelwerk höchst persönlich ausgedacht. Denn es kommen ja auch noch je nach Bundesland ein paar originelle Sonderregeln dazu. In Schleswig-Holstein etwa darf die Außengastronomie in Regionen mit einer Inzidenz von „stabil“ weniger als 100 unter der Bedingung öffnen, dass maximal fünf Personen aus zwei Haushalten an einem Tisch versammelt sind, wobei Kinder unter 14 Jahren nicht mitgezählt werden. Alles klar? Vielleicht sollten alle Leute, die sich solche Vorgaben ausdenken, einfach mal einen längeren Spaziergang machen – gern auch im Latex-Outfit und in Begleitung von maximal einer weiteren Person, die nicht aus dem eigenen Haushalt stammt und älter ist als 18 Jahre. Aber bitte ohne mich. Ihr Alexander Marguier, Chefredakteur |