Liebe/r Leser/in, Deutschland geschlossen, Woche drei (gefühlt: zehn). Ich sehe Hauptstraßen, so leer wie sonst nur an Heiligabend, doch es ist Ostern, um die 20 Grad warm, Corona-Krise, also Masken statt Mützen. Wir erleben täglich, wie alles geschlossen hat, was aus Sicht von Regierenden nicht systemrelevant oder ihnen verzichtbar erscheint – zum Beispiel Einkaufs- oder Fitness-Center, Kinos, Friseure, Buchläden (in 14 Bundesländern zu), Restaurants und Theater. Und Kirchen, selbst an Ostern! Ich frage mich, was Kirchen im Hinblick auf Systemrelevanz von Baumärkten unterscheiden soll, die u. a. hier in Berlin weiterhin geöffnet haben. Ich frage mich, warum viele Priester und Pfarrer so stumm sind ob der abgesagten Messen? Wo sind die Stimmen der Seelsorger und Hirten in dieser Zeit, in der doch so viele Menschen Orientierung und Hilfe brauchen? Soll Jesu Auferstehung dieses Jahr ausfallen? Wir alle haben die ersten zwei Lockdown-Wochen mehr oder weniger friedlich, stoisch, demütig ertragen. Angesichts der steigenden Zahl von Corona-Patienten haben sich wohl die meisten von uns daran gehalten, die Zeit zu Hause zu verbringen, vielleicht eine Gesichtsmaske zu tragen, und nur wohnortnah Sport gemacht und eingekauft. Doch Frust und Unmut wachsen: Viele ältere Leserinnen und Leser wenden sich an mich, schildern mir ihre derzeitige Situation und äußern vor allem eine Angst: dass eines Tages das Leben draußen wieder weitergeht, sie aber – die unter der Isolation doch am meisten leiden – weiter in der Wohnung bleiben sollen. Wenn es nach einigen Politikern wie z. B. Boris Palmer (Grüne) ginge, sogar zwangsweise. Palmers Parteifreund, der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, ist da komplett anderer Meinung und will vor das Verfassungsgericht ziehen, sollte es während der Corona-Krise zu einer Benachteiligung der sogenannten Risikogruppen kommen – einer Separierung Älterer und chronisch Kranker: „Das wäre ein drastischer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, den man gar nicht begründen könnte.“ Ich glaube, dies wäre mit dem Freiheitsentzug, wie wir ihn bisher kennen, auch schwer zu erklären. Ich möchte nicht zynisch klingen, jedoch: Wer als Verbrecher ins Gefängnis muss, dem beschneidet der Staat seine Freiheitsrechte, um die Bevölkerung vor ihm zu schützen. Wer als Corona-Risikogruppe in häusliche Quarantäne müsste, dessen Rechte wären beschnitten, um ihn vor der restlichen Bevölkerung und um das Gesundheitssystem zu schützen. Es wäre also eine Verdrehung all unserer bisher geltenden Regeln. Man isoliert die Gefährdeten, nicht die Gefährder. Am Ende ist es ein Interessenkonflikt, den ich mit mir auch ganz persönlich ausfechte: Als Vater eines Schülers, dessen Abschluss in dieser Corona-Krise nun infrage steht, bin ich sehr dafür, dass die Schulen nach den Osterferien wieder öffnen. Als Sohn pensionierter Eltern muss ich die Ambivalenz ertragen: Natürlich will ich, dass sie bestmöglich geschützt werden, andererseits halte ich einen Lebensabend in amtlich verordneter Isolation für eine Zumutung. Was Hoffnung macht, ist eine absehbare Lockerung der Beschränkungen, wie sie Österreich in dieser Woche verkündet hat. Auch Ostern ist ein Fest der Hoffnung. Es ist warm. Die Sonne scheint. Und ich bin sicher, wir werden wieder aufstehen. Rausgehen. Und Zukunft sehen. |