Eigentlich hatte Christine Lambrecht mit der großen Politik schon abgeschlossen. Lange vor der Bundestagswahl 2021, die Umfragewerte der SPD waren denkbar mies, entschied die damalige Justizministerin, in ihrem südhessischen Wahlkreis nicht mehr für ein Mandat in Berlin zu kandidieren. Es dürfte auch damit zu tun gehabt haben, dass Lambrecht wenig Lust verspürte, als einfache Oppositionsabgeordnete ein politisches Schattendasein zu fristen. Dafür hatte es die ehrgeizige und durchsetzungsfähige Juristin, die in der SPD- Bundestagsfraktion wie in ihrem Landesverband nicht nur Freunde hat, doch schon zu weit gebracht. Nachdem Olaf Scholz vor einem Jahr die Bundestagswahl sensationell für die SPD gewonnen hatte, tauchte Lambrecht plötzlich wieder auf. In einem Interview ließ sie unverhohlen Ambitionen auf ein Ministeramt erkennen, wohl wissend, dass der künftige Kanzler nur über wenige Frauen mit Regierungserfahrung verfügte. Und tatsächlich holte Scholz sie in sein Kabinett und brach dafür sogar mit den ungeschriebenen Regeln des Regionalproporzes: Neben Lambrecht berief Scholz in der Landesvorsitzenden Nancy Faeser noch eine zweite Frau aus Hessen. Das dürfte auch dem Murren im dortigen Landesverband geschuldet gewesen sein, weil ausgerechnet Lambrecht Ministerin geworden war, die doch eigentlich schon ihr Karriereende verkündet und deshalb im Wahlkampf auch nicht an vorderster Front gestanden hatte. Freilich lief nicht alles nach Lambrechts Vorstellungen. Faeser, die wie Lambrecht und Scholz bereits als Anwältin jenseits der Politik ihr Geld verdient hatte, bekam das Innenministerium, auf das Lambrecht spekuliert hatte, sie selbst erhielt das Verteidigungsressort – ein Ministerium, in dem in den Jahren zuvor schon manche Karrierekurve steil nach unten abgeknickt war. Bei Lambrecht sah es anfangs so aus, als könne das sogar besonders schnell gehen. Schon in den ersten Tagen gab es Berichte, die Ministerin und die Bundeswehr fänden nur schwer zueinander, Lambrechts Führungsverhalten geriet in die Kritik, vereinzelt wurde ihr auch Desinteresse nachgesagt und mangelnde Erreichbarkeit für die Verteidigungsminister aus den westlichen Partnerstaaten. Als bekannt wurde, dass Lambrecht ihren Sohn auf Dienstflügen mitgenommen hatte, um anschließend mit ihm in den Urlaub zu reisen, rechneten manche Beobachter schon mit dem ersten Rücktritt in der noch jungen Ampel-Koalition, zumal die Ministerin ihr eigenwilliges Amtsverständnis auch mit unglücklichen Auftritten untermauerte, zum Beispiel als sie die deutschen Soldaten im malischen Wüstensand in hochhackigen Schuhen besuchte. Doch Lambrecht stand das durch. Die Ministerin gilt als hart im Nehmen und von Selbstzweifeln nicht allzu sehr gepeinigt. Außerdem hatte sie den Rückhalt des Kanzlers. Den brauchte sie auch, als sie unter dem Spott ihrer Kritiker 5000 Helme als ersten Beitrag zur Unterstützung der Ukraine auf den Weg brachte, weil auf die Schnelle in den Bundeswehr- Depots nichts anderes zu beschaffen war. Mittlerweile wird die deutsche Ministerin unter ihren Nato-Kollegen anerkannt, auch wenn die deutsche Ukraine-Politik nicht auf einhellige Begeisterung stößt. Lambrecht, seit nunmehr 40 Jahren SPD-Mitglied, verfügt über eine hohe politische Anpassungsfähigkeit. 1998 zog sie erstmals in den Bundestag ein, In der Bundestagsfraktion stieg sie 2011 zunächst zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden auf und wurde später ins einflussreiche Amt der ersten parlamentarischen Geschäftsführerin berufen. Olaf Scholz, damals noch Finanzminister, holte Lambrecht 2018 als parlamentarische Staatssekretärin. Nach dem Wechsel von Katarina Barley in die Europapolitik wurde Lambrecht Justizministerin. Wie weit der Weg Lambrechts von einer strammen Linken in der SPD hin zur, nun ja, Realpolitikerin gewesen sein muss, zeigte sich am Montag. Da sprach die Verteidigungsministerin vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik nicht nur von einer neuen militärischen Führungsrolle Deutschlands. Sie kündigte auch eine Lockerung der Rüstungsexportkontrollen an. Das dürfte nicht nur für Widerspruch in den eigenen Reihen sorgen – auch der Streit mit dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck ist absehbar. Mit Außenministerin Annalena Baerbock ist Lambrecht bereits uneins über die Zukunft des Einsatzes in Mali, was zwischen beiden nicht die erste Diskussion ist: Auf der Regierungsbank im Bundestag sah man die zwei Ministerinnen schon vor einigen Monaten einmal in einem heftigen Wortwechsel. Ihre Konkurrenten sollten Lambrecht nicht unterschätzen. In einer Verteidigungsform sind die Fähigkeiten der 57-jährigen Lambrecht besonders ausgeprägt: in der Selbstverteidigung. Nico Fried |