Liebe Frau Do, viele Deutsche sind nicht nur coronamüde, sie glauben auch, dass die Pandemie die Gesellschaft vor allem zum Schlechteren verändert hat. Das zeigt etwa eine in der „FAZ“ vorgestellte Allensbach-Umfrage. Diese Einschätzung hat sicher mit den konkreten Spuren der Pandemie im Leben so vieler Menschen zu tun, mit gesundheitlichen Folgen, mit Trauer um Angehörige, mit dem Verlust von Existenzen, auch mit dem Verlust von sozialer Lebendigkeit, von Unbeschwertheit und Lust auf Zukunft. Zu Beginn der Pandemie gab es noch Optimisten, die glaubten, das alles schweiße zusammen und entlasse eine solidarischere, von vielen Alltagsverzettelungen gereinigte Gesellschaft in die neue Normalität. Dass die Folgeeinschätzung inzwischen so viel negativer ausfällt, liegt wohl auch an den erbitterten Debatten um die Corona-Politik, die inzwischen fast jeder auch im privaten Umfeld führt. Gestern ist die Debatte über die Impfpflicht im Zentrum der demokratischen Auseinandersetzung angekommen: im Parlament. Wenn die Diskussion dort ein wenig Erbitterung aus den Kontroversen in der Gesellschaft ziehen könnte, wäre das ein Erfolg. Wie der Auftakt gestern einzuordnen ist, dazu später mehr. Heute wichtig: Corona: Die vom Robert Koch-Institut gemeldete bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz hat exakt zwei Jahre nach dem ersten bestätigten Corona-Fall in Deutschland erstmals die Schwelle von 1000 überschritten. Auch die Zahl der Neuinfektionen erreichte erneut einen Rekordwert und überschritt zugleich die Schwelle von 200.000. Mehr lesen Sie in unserem Newsblog. Zinswende: Die US-Notenbank hat eine baldige Erhöhung des Leitzinses signalisiert. Angesichts der hohen Inflationsrate und der guten Lage am Arbeitsmarkt werde es „bald angemessen sein“, den Leitzins zu erhöhen, teilte die Fed gestern Abend mit. Wie es nun weitergehen soll, lesen Sie hier. Gegen das Vergessen: Anlässlich des 77. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz hält Inge Auerbacher (87) heute im Bundestag eine Gedenkrede. Im Alter von sieben Jahren war sie mit ihren Angehörigen nach Theresienstadt deportiert worden. Heute lebt sie in New York. Unsere Autorin Gitta Kleinberger-Schürmeyer hat mit ihr gesprochen. Beide Frauen haben eine besondere Verbindung. „Den Mördern kann ich niemals verzeihen“ heißt der Text. Meinung am Morgen: Impfdebatte: Nach zwei Jahren Corona komme mit der gestern im Bundestag begonnenen Debatte zur Impfpflicht endlich das Parlament wieder mehr zur Geltung, schreibt Chefredakteur Moritz Döbler in seinem Kommentar. Der Auftakt sei nicht nur eine besondere, sondern eine besonders gute Debatte gewesen mit klugen Argumenten und leidenschaftlichen Reden für und wider die Impfpflicht. Doch komme es auch bei diesem umstrittenen Instrument der Corona-Politik am Ende auf die Umsetzung an – und da seien noch viele Fragen offen. Kirche: In wenigen Tagen treffen sich katholische Geistliche und Laien aus Deutschland zur dritten Synodalversammlung, um über Reformen für ihre Kirche zu sprechen. Auch vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Debatte über den Umgang der Kirche mit dem eigenen Versagen im Missbrauchsskandal wichtig, schreibt Lothar Schröder in seiner Analyse. Eine Folge der jüngsten Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens im Erzbistum München müsse sein, dass Rücktrittsangebote von Bischöfen in Rom auch angenommen würden. Mundart: Hitzige Debatten entschärfen kann auch diese Strategie: die Verwendung der rheinischen Mundart. Allerdings bleibt diese Taktik Könnern vorbehalten. Mit den Vorteilen und Tücken einer Sprache, die man nicht in der Schule, sondern im und für das Leben lernt, beschäftigt sich Horst Thoren in seiner Kolumne. So gesehen: Das Pustelschwein ist schon jetzt zum Zootier des Jahres 2022 ausgerufen worden. Wer sich darunter allerdings ein bemitleidenswertes Pubertier mit Pickelfell ausmalt, sei beruhigt. Das Wildschwein ist hübsch borstig und erinnert mit seiner langen, höckrigen Schnauze eher an Alf. Der ist zwar eine außerirdische Lebensform mit den Kernkompetenzen Faulenzen, Fressen und Fernsehen. Hatte aber als Exorzist der Leistungsgesellschaft trotzdem viel Schwein im Leben. Dieses Glück kann man dem Pustelvieh nur wünschen. Zum Zootier des Jahres wurden die armen Schweine nämlich, weil sie vom Aussterben bedroht sind. Da kann Aufmerksamkeit nur nützen. Kommen Sie gut in den Tag! Herzlich, Ihre Dorothee Krings Mail an die Chefredaktion senden P.S.: Wenn Ihnen dieser Newsletter gefällt, empfehlen Sie die "Stimme des Westens" weiter! |