  | | |  | | 5. Februar 2023 | | Prantls Blick | | Die politische Wochenschau | | | |
|
| |  | Prof. Dr. Heribert Prantl | | | |
|
| |
|
| | | vor 75 Jahren ist Karl Valentin gestorben; es war am 9. Februar 1948, einem Rosenmontag, ausgerechnet. Valentin besaÃ, so schrieb der Kritiker Alfred Polgar, âden Galgenhumor eines zum schlimmen Leben Verurteiltenâ und er hatte âdie Bosheit seiner Ohnmachtâ. Aber, so fuhr Polgar fort, auf Valentins Hungerleidergesicht lag âdas Glücksgefühl, frech und rebellisch denken zu dürfenâ. Ich mag die Subversivität des Karl Valentin, ich mag seine grantelnde Aufsässigkeit, die einen vertrackten Namen hat: Als Fahrradfahrer von einem Polizisten aufgehalten und nach seinen Personalien gefragt, antwortete er: âWrdlbrmpfdâ â Wie? Wadlstrumpf? - âWr- dl- brmpfd!â Wie man das schreibe? âSo wie man es spricht.â Der Polizist: âSo ein saublöder Name. Schaunâs jetzt, dass Sie weiterkommen.â
Valentin gilt als groÃer bayerischer Komiker, aber das beschreibt ihn nicht richtig. Er war ein groÃer komischer Philosoph, er war der Philosoph des kleinbürgerlichen Alltags. Er war der, der von sich selbst sagte, dass er keine Furcht habe, âes sei denn, ich bekäme Angst.â Und dann empfahl er einen Ausweg: âStricke zum Aufhängen liefert Seilermeister Huber. Viele Dankschreiben und Anerkennungen liegen auf.â Valentin war der, der wusste, dass âfrüher die Zukunft auch schon mal besser warâ. Und er war der, der hoffte, âdass es nicht so schlimm wird, wir es jetzt schon istâ.
103 Tage Haft für die Pressefreiheit
Es muss mir an dieser Stelle die Ãberleitung von Karl Valentin zu Rudolf Augstein gelingen, von dem heute mein SZ-Plus-Text handeln soll. Vor sechzig Jahren wurde nämlich der Gründer und Verleger des Nachrichtenmagazins Der Spiegel nach 103 Tagen Untersuchungshaft aus dem Gefängnis in Karlsruhe, dem Sitz des Bundesgerichtshofs, entlassen. Mit Karl Valentin hat Rudolf Augstein nichts gemein, weder landsmannschaftlich noch habituell. Aber: Er war so etwas wie der groÃe Wrdlbrmpfd des deutschen Journalismus. Und mit der Entlassung aus der U-Haft, in die die Staatsgewalt ihn und seine Redakteurskollegen im Herbst 1962 gesperrt hatte, fiel der sogenannte Spiegel-Skandal, der in Wahrheit ein StrauÃ-Skandal war, wie ein Soufflee in sich zusammen. Es war ein giftiges Soufflee: Der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauà (CSU) hatte es angerührt und angerichtet; um seinen politischen Intimfeind und dessen ihm verhasstes Magazin zu vernichten, hatte er dem Spiegel den Vorwurf des âLandesverratsâ angehängt: Die Redaktion und der Verlag wurden von der Polizei auf den Kopf gestellt, die Leitenden Redakteure verhaftet â Augstein war nach 103 Tagen der letzte, der wieder auf freien Fuà kam. Der dritte Strafsenat des Bundesgerichtshofs stellte das Strafverfahren ein, Strauà musste als Minister zurücktreten, und das Bundesverfassungsgericht schrieb seine berühmten Sätze über die Pressefreiheit. Der Spiegel aber gewann Renommee und Auflage.
Karl Valentin hat einst an irgendeine Behörde, die ihn traktierte, einen ohnmächtig-wütenden Brief geschrieben wie folgt: âWir lassen uns das nicht gefallen. Sie sind auf uns nicht angewiesen, aber wir auf Sie, das müssen Sie sich merken.â Mit dem Spiegel/StrauÃ-Skandal wurde das Verhältnis Bürger/Presse/Staat dann zurechtgerückt: âEine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; sie ist für die moderne Demokratie unentbehrlichâ. So schrieb das Bundesverfassungsgericht im Spiegel-Urteil. Heute, in den Ukraine-Kriegszeiten, müssen sich Spiegel und Co überlegen, was das von ihnen verlangt. Publizisten auf dem Kriegspfad sollten sie jedenfalls nicht sein. Das wäre kein Landesverrat, aber ein Medienverrat; dem groÃen Wrdlbrmpfd würde das nicht gefallen. | |
|
|  |  | Prantls Blick |
| Fluch und Segen der "Spiegel"-StrauÃ-Affäre | | |
|
|
| |
| Ich wünsche Ihnen eine gute Februar-Woche und gebe Ihnen einen Valentin-Satz in diese Woche hinein: âDer Mensch ist gut, nur die Leute sind schlecht.â
Ihr
| |
|
| Heribert Prantl | | Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung |
| |
---|
| |
|
| | | | Gegenwart begreifen. Zukunft verstehen. | |
|
|  |
---|
Sichern Sie sich Wissensvorsprung für 2023. | | | |
|
|
| | | | | | Glump, Graffl, Heimatschwund | | Neuerdings kann man den âAbriss des Jahresâ wählen. Der Bayerische Landesverein für Heimatpflege präsentiert dazu eine Reihe von schönen alten Gebäuden, aus welcher der bitterste Verlust ausgewählt werden soll. Unter den Teilnehmern werden Exemplare eines feinen, eines ganz zauberhaften Buches verlost. Es ist das Buch, das ich Ihnen hier empfehle. Es heiÃt âDas Burggütlâ und erzählt, für Kinder und Erwachsene, die Geschichte eines alten, eines sehr alten Hauses - mit schmucken Bildern von Stefania Peter und einem pfiffigen Text von Birgit Angerer. Angerer lässt das alte Haus reden: âEs gibt Häuser in meiner Nähe, die heiÃen Hahnweberhaus oder Altenberlbeckerhaus. Und dann gibt es noch einige Häuser, die heiÃen âBloÃ-a-altâs Glumpâ. Wenn man âBloÃ-a-altâs Glumpâ heiÃt, wird man nicht alt. So habe ich viele gute Freunde verloren. Freunde mit gutem Charakter, in denen nette Menschen zusammengelebt haben. Aber irgendwann hatten meine Freunde plötzlich einen Dachschaden, nasse FüÃe oder Wunden am ganzen Leib und wurden eines Tages einfach beiseite geräumt.â Das alte Haus, das hier von sich erzählt, steht im oberpfälzischen Städtchen Pfreimd, es ist einige hundert Jahre alt, es ist ein Denkmal, in dem man wohnen kann. Das Burggütl und das Buch darüber: Das sind schöne Beispiele dafür, wie phantasievoll Denkmalschutz und Heimatpflege heute sein können.
Birgit Angerer (Text), Stefania Peter (Illustrationen): Das Burggütl. Ein Haus erzählt. Das schön bebilderte Buch hat 58 Seiten, es ist 2022 im Volk Verlag München erschienen und kostet 25 Euro | | | | |
|
|  | | | | Ware Wohnung | | Was hilft das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, wenn man keine hat und keine findet â jedenfalls keine, die man sich leisten kann? Die Bayerische Verfassung kennt den Anspruch auf angemessenen Wohnraum. Das Grundgesetz kennt ihn nicht. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 dagegen kennt das Recht auf Wohnen sehr wohl. Und das Bundesverfassungsgericht sagt: âDie Privatwohnung ist als letztes Refugium ein Mittel zur Wahrung der Menschenwürde.â Das Grundgesetz hat in diesem Punkt Nachholbedarf. Die Politik hat ihn auch, gewaltigen Nachholbedarf; von diesem Nachholbedarf handelt das Thema der Woche in der Wochenendausgabe der SZ: Stephan Radomsky, Johann Osel, Constanze von Bullion und Angelika Slavik beschreiben verschiedene Facetten der Wohnungsmisere - und den Streit darüber in der Bundesregierung.
Die Misere ist alt, viel älter als die Ampelregierung. Sie begann damit, dass ab 1995 zunächst vom Bund, dann von vielen Kommunen und den Bundesländern gewaltige Wohnungsbestände verkauft wurden - getrieben von Geldnot, dem neoliberalen Zeitgeist und später auch der unseligen Schuldenbremse, die ins Grundgesetz geschrieben wurde. Fast sechzig Prozent der privatisierten Wohnungen wurden von internationalen Anlegern erworben; anders in den europäischen Nachbarländern: Dort erfolgten die Verkäufe überwiegend an die Mieter der Wohnungen. Die Privatisierung des Wohnungsmarkts war und ist ein Desaster. | | | |
|
| | | ANZEIGE |   | |
| | | Meinung | | Kommentare, Kolumnen, Gastbeiträge und Leserdiskussionen im Ãberblick | |
|
| | | | |  | |  | |  | Entdecken Sie unsere Apps: |  | |  |
| Folgen Sie uns hier: |  | |  |
|
---|
|  |  | Impressum: Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner StraÃe 8, 81677 München Tel.: +49 89 2183-0, Fax: +49 89 2183 9777 Registergericht: AG München HRB 73315 Ust-Ident-Nr.: DE 811158310 Geschäftsführer: Dr. Karl Ulrich, Dr. Christian Wegner Copyright © Süddeutsche Zeitung GmbH / Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH. Hinweise zum Copyright Sie erhalten den Newsletter an die E-Mail-Adresse newsletter@newslettercollector.com. Wenn Sie den âPrantls Blickâ-Newsletter nicht mehr erhalten möchten, können Sie sich hier abmelden. | Datenschutz | Kontakt |  |
|
|
|