Liebe/r Leser/in, ein befreundeter Psychiater definierte das Phänomen in einem Telefonat so: Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) sei eine verzögerte psychische Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis oder eine Situation katastrophenartigen Ausmaßes. In der Regel dauere es ein halbes Jahr, bis Symptome wie eine vegetative Übererregbarkeit oder unkontrollierte Flashbacks aufträten – häufig kämen Gefühlszustände emotionaler Taubheit oder der Hilflosigkeit hinzu. Bei Politikern geht das mit der PTBS offenkundig wesentlich schneller, wie die Reaktionen vor allem der Union und ihres Kanzlerkandidaten Armin Laschet auf das schier desaströse Abschneiden bei der Bundestagswahl nahelegt. Da fabulierte der CDU-Chef noch am Wahlabend allen Ernstes davon, dass die Union „einen klaren Auftrag erhalten“ habe. Gemeint war ganz offenkundig die Bildung einer Jamaika-Koalition unter seiner Führung. Am Dienstag überraschte der CDU-Vorsitzende dann mit der Theorie, niemand habe das Recht, sich zum „Hauptwahlsieger“ zu erklären. Ich zweifle ernsthaft: Was ist das überhaupt für ein Wort, Herr Hauptwahlverlierer Laschet?! Gemeint hatte er wohl: Es gäbe überhaupt keinen richtigen Wahlsieger, so eng wie SPD und Union beieinanderliegen. Das provoziert die Frage, ob man in Zukunft vielleicht auch mit nur einem Tor Vorsprung Fußballweltmeister werden kann oder ob es nicht mindestens zwei Tore Differenz sein müssten. Von einem Hauptolympiasieger habe ich übrigens auch noch nie was gehört … Belastungsstörungen aber nicht nur bei Laschet: Markus Söder und Julia Klöckner sprachen ernsthaft davon, dass man sich in der Regierung besser erneuern könne als in der Opposition. Wie bitte? Die Bundesregierung der viertstärksten Wirtschaftsnation der Welt ist doch kein Reha-Center für ausgebrannte Parteien! Der wählende Bürger wundert sich über solche Wortgirlanden, die verdecken sollen, was nicht zu verdecken ist: SPD, Grüne und FDP haben dazugewonnen, Union, Linke und AfD gehören zu den Verlierern der Wahl. Das schließt nicht aus, dass am Ende die Union doch noch die nächste Regierung bildet oder zumindest mitregiert. Aber es rät doch zu einer deutlich größeren Portion Bescheidenheit. Am schnellsten erholt vom Trauma des drohenden Machtverlusts hat sich der Macht-Experte Söder. Er räumte am Dienstag die schwere Niederlage der Union unumwunden ein und gratulierte Olaf Scholz zum Wahlerfolg. Generös fügte der Franke hinzu, beste Aussichten, nächster Kanzler zu werden, habe derzeit Olaf Scholz mit der Ampel. Diese Gönnerhaftigkeit („derzeit“!) sollte den politischen Gegner misstrauisch machen. Denn Söder weiß: Erst wenn die Ampel den Verhandlungstod gestorben ist, bekommt Jamaika eine Chance. Scheitert auch Jamaika an inhaltlichen Gegensätzen, bleibt immer noch eine Neuauflage der GroKo mit Scholz als Kanzler und Laschet als Vizekanzler. Dann wäre allerdings Schluss mit der neuen grün-gelben Machtherrlichkeit, die am Dienstagabend so viele Fans via Instagram erreichte. Die Frau der Woche ist für mich übrigens Gitta Connemann, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, vor allem aber eine stets unbequeme Politikerin. So gehörte sie 2011 zu den fünf Unionsabgeordneten, die dem Atomausstieg nicht zugestimmt haben. In der Fraktionssitzung am Dienstag stellte sie zum Wahldesaster von CDU und CSU eine ganz einfache Frage: „Wer übernimmt denn Verantwortung?“ Eine Antwort darauf gab es – natürlich – nicht. Ist irgendwie aus der Mode gekommen – siehe Cum-Ex, Wirecard und Olaf Scholz, siehe das Afghanistan-Desaster und Maas. Gitta Connemann ist übrigens Wahlkreis-Nachfolgerin von Rudolf Seiters, der wegen des vermeintlich missglückten Antiterroreinsatzes in Bad Kleinen als Bundesinnenminister zurückgetreten war. Er wusste noch, was Verantwortung bedeutet. |
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