Sehr geehrter Herr Do,
wann haben Sie selbst zuletzt Mut bewiesen? Ich spreche hier nicht davon, dass Sie sich mal getraut haben im Freibad betrunken vom Fünfmeterturm zu springen. Oder bei minus 10 Grad nackt ins Eiswasser zu tauchen. Auch nicht, dass Sie Ihrer Partnerin endlich gestanden haben, dass Sie die Mucke von Michael Wendler WIRKLICH gut finden. Ich spreche von der Art Mut, den nur ganz wenige von uns aufbringen. Und dabei viel riskieren. Manchmal sogar ihr Leben.

Gestern ging ein Video um die Welt, das einen kurzen Ausschnitt einer Nachrichtensendung des russischen Fernsehens zeigt. Darin ist zu sehen, wie eine Frau im Staatssender Perwy kanal (Erster Kanal) während der Livesendung „Wremja“ ins Bild springt und ein Plakat hochhält. „Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet Ihr belogen“, ist darauf in handgemalten Lettern und in russischer Sprache zu lesen. Der letzte Satz ist auf Englisch geschrieben: „Russians against war“. Dazu ruft die junge Frau mehrmals laut hörbar: „Nein zum Krieg!“ Der Sender schaltet nach wenigen Sekunden kommentarlos zu einem Videobeitrag.
Bei der couragierten Aktivistin handelt es sich um die TV-Journalistin Marina Owsjannikowa, die seit vielen Jahren als Redakteurin bei dem vom Kreml kontrollierten Staatssender angestellt ist. Im Netz verbreitet sich inzwischen noch ein zweites, zuvor aufgenommenes Video. Darin entschuldigt sich die 44-Jährige, jahrelang Kreml-Propaganda verbreitet zu haben. So gesteht sie offen, auf dem „TV-Bildschirm gelogen“ zu haben. Die Wahrheit sei jedoch: „Was in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen.“ Owsjannikowa schließt ihre Videobotschaft mit einem eindringlichen Appell: „Wir, die russischen Menschen, können denken und sind klug. Es liegt nur an uns, diesen ganzen Wahnsinn zu beenden. Geht demonstrieren. Fürchtet nichts. Sie können uns nicht alle einsperren.“

Marina Owsjannikowa wurde noch im Fernsehstudio verhaftet und abgeführt. Für mehr als vierzehn Stunden wussten nicht mal ihre Angehörigen, was mit der Nachrichten-Journalistin geschieht, wohin sie von der Staatsmacht gebracht und wo sie festgehalten wurde. Man musste Schlimmstes befürchten. Hatte die Journalistin durch ihre aufmerksamkeitsstarke Protestaktion doch klar gegen geltendes russisches Recht verstoßen. Denn erst kürzlich ließ Putin ein neues Gesetz durchs russische Parlament peitschen, das „Desinformation“ unter Strafe stellt. So drohen in Russland seit Anfang März bei Verbreitung kritischer Informationen über den Ukraine-Krieg bis zu 15 Jahre Haft. Medien ist es damit in Russland seit letzter Woche verboten, in der Berichterstattung über den Krieg gegen das Nachbarland Begriffe wie „Angriff“, „Invasion“ und „Kriegserklärung“ zu verwenden. Moskau bezeichnet den Überfall nach wie vor in seinen Staatsmedien als „militärische Sonderoperation“. Marina Owsjannikowa hatte mit der Hauptnachrichtensendung im russischen Staatsfernsehen eine der populärsten Plattformen genutzt, um Machthaber Putin herauszufordern. Und hat damit wissentlich in Kauf genommen, die Kontrolle über ihre Freiheit zu verlieren – möglicherweise sogar über ihre körperliche Unversehrtheit, ihr Leben. Was für ein Mut.

Marina Owsjannikowa ist inzwischen wieder auf freiem Fuß. Vorerst, muss man wohl sagen. Zu einer Geldstrafe von 30.000 Rubel ist sie für ihre Protestaktion verurteilt worden. Es steht aber zu befürchten, dass eine Anklage auf Grundlage des neuen Mediengesetzes erst noch folgt. Warnend sollte man sich hier das Schicksal des prominenten Kreml-Kritikers Alexei Nawalny ins Gedächtnis rufen, der seine Systemkritik durch einen Giftanschlag um ein Haar mit dem Leben bezahlt hätte und seit vergangenem Jahr eine Haftstrafe in einem russischen Gefangenenlager verbüßt.

Auf den Tag drei Wochen ist es nun her, dass Putins Truppen in die Ukraine einmarschierten – und Tod und Elend über das osteuropäische Nachbarland brachten. Tausende mussten diesen brutalen Angriffskrieg bereits mit ihrem Leben bezahlen, Millionen sind auf der Flucht. Und doch harren viele Menschen in der Ukraine aus und verteidigen ihr Land, ihre Freiheit. Unter ihnen sind auch unsere Kolleginnen und Kollegen vom ukrainischen PLAYBOY. Mein Team erreichte Vlad Ivanenko, Chefredakteur der ukrainischen Ausgabe, jetzt per Mail. „Ich habe die Ukraine nicht verlassen“, lässt er uns wissen. Aber: Das Büro, in dem der ukrainische PLAYBOY untergebracht war, gibt es laut Ivanenko nicht mehr. So koordiniert er seine zehn festangestellten Mitarbeiter inzwischen aus der Ferne. „Heute fragen wir uns jeden Morgen, ob alle am Leben sind. Ob alles okay ist.“ Wie unsere ukrainischen PLAYBOY-Kollegen die schrecklichsten Tage ihres Lebens bewältigen, lesen Sie jetzt hier in dem bewegenden Beitrag meiner Kollegin Nina Habres.
Photo: Yegor Honcharov, aughtmag.com
Wie man in Zeiten wie diesen nicht den Humor verliert – und bei welcher Gelegenheit selbst ihm zuletzt das Lachen im Halse stecken blieb, wollte ich jetzt von Star-Comedian Michael Mittermeier wissen. In der brandneuen Folge des PLAYBOY Podcast spreche ich mit der oberbayerischen Stand-up-Legende über Gags in Krisenzeiten, seine Anfänge als Aushilfsgitarrist bei U2, Comedy-Abende auf dem roten Platz und sein neues Buch „Nur noch eine Folge: Fernsehen von A bis Zapped“. Wie Humor zur Waffe wird, warum Deppen erst ins Fernsehen und (erst) dann in den Himmel kommen, was einen wirklich guten Whisky ausmacht – und wann auch ein hauptberuflicher Spaßmacher wie er ernste Töne anschlägt, hören Sie jetzt hier bei „After Hours – die PLAYBOY Bar-Gespräche“ in der neuen Folge mit Michael Mittermeier. Viel Vergnügen!
Bleiben Sie heiter,

Ihr
Florian Boitin, Chefredakteur
boitin@playboy.de
 
 

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