Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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7. Mai 2023
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
ein Traum geht in Erfüllung. Es war und ist der Traum von sehr konservativen Bundesinnenministern seit vielen Jahrzehnten. Es war schon der Traum des CSU-Haudegen Friedrich Zimmermann, der vor vierzig Jahren Bundesinnenminister war. Es war dann der Traum von Manfred Kanther, der vor dreißig Jahren CDU-Bundesinnenminister war. Es war schließlich der Traum des Sozialdemokraten Otto Schily, der Kanther martialisch nachfolgte. Und es war zuletzt der Traum des christsozialen Innenministers Horst Seehofer, als 2015 viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Jetzt ist es der Traum der amtierenden Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD.

Dieser Traum besteht darin, die Flüchtlinge schon an den Außengrenzen der Europäischen Union aufzuhalten, sie in gigantischen Lagern festzusetzen und dort eine schnelle, kursorische Asylprüfung durchzuführen - eine Prüfung nach dem Aschenputtel-Prinzip: Die Guten, möglichst wenige, dürfen dann rein; die Schlechten, möglichst viele, sollen draußen bleiben. Es ist dies ein Teil der Hotspot-und Abschreckungs-Konzepte, die in der Europäischen Union seit einiger Zeit diskutiert und intensiv vorbereitet werden. Die Hotspots sind Freiluftgefängnisse, wie man sie von den griechischen Inseln Kos oder Lesbos kennt.

Zum Traum von den Flüchtlingslagern an den Rändern Europas gehört auch die perfid-rabiate Ausweitung des Konzepts der sicheren Drittstaaten: Flüchtlinge, die an der EU-Außengrenze aufgehalten werden, sollen in irgendwelche Staaten in Afrika oder sonst wohin verfrachtet werden; Staaten wie Ruanda, Senegal oder Tunesien sind da im Gespräch; sie sollen Geld dafür erhalten, dass sie bei der sogenannten "Auslagerung des Flüchtlingsschutzes" mitmachen.

Auslagerung des Flüchtlingsschutzes

Die deutsche Bundesregierung ist dabei, auf dieses Konzept einzuschwenken. Es sei, so schwärmt die amtierende SPD-Innenministerin, das "Momentum" dafür da. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien steht das noch etwas anders. Da wird allerlei Menschen- und Flüchtlingsfreundliches geschrieben und angekündigt, dass die neue Bundesregierung am "Konzept der AnKer-Zentren zur Unterbringung der Asylantragstellenden … nicht festhält".  Das geschah deswegen so, weil die Grünen damals darauf beharrten (und weil der damalige SPD-Verhandler Boris Pistorius dem Flüchtlingsschutz zugeneigt war). Diese AnKer-Zentren waren von der Regierung Merkel und CSU- Innenminister Seehofer eingeführt worden; es handelt sich um Zentren "für Ankunft, Entscheidung, Rückführung". Jetzt soll dieses Konzept verschärft und an den Außengrenzen im ganz großen Stil praktiziert werden. 

Die Grünen, zu deren DNA der Schutz von Flüchtlingen seit jeher gehörte, sind unter dem Druck ihrer Kommunalpolitiker offenbar bereit zum Nachgeben: Der Flüchtlingsschutz bei den Grünen wackelt heftig. Das ist das Momentum. Es ist dies der Alptraum von Pro Asyl und vielen Wohlfahrts- und Flüchtlingsorganisationen, die die Genfer Flüchtlingskonvention hochhalten und sich um Flüchtlinge kümmern. Sie hatten bisher politische und parlamentarische Unterstützung bei den Grünen. Früher haben diese für Flüchtlingsschutz demonstriert. Sie müssten jetzt eigentlich gegen sich selbst demonstrieren. Wäre die Partei noch wie früher, dann würden sie das "Momentum" bekämpfen und sich vor dem Innenministerium festkleben. Sie kleben lieber an der Macht.

Lesen Sie hier mehr zum Abschied der Grünen von ihren alten Kernpositionen:
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Die Entgrünung der Grünen
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In einer Woche ist Muttertag. Es ist ein Tag, der für mich nach Maiglöckchen riecht und nach Erdbeerkuchen schmeckt. Maiglöckchen habe ich meiner Mutter gern geschenkt; und dann haben wir Erdbeerkuchen mit Schlagsahne gegessen.

Eine schöne Woche wünscht Ihnen
Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Lesebuch für Angeklagte
Ich habe eine Entdeckung machen dürfen, eine beglückende schriftstellerische Entdeckung. Einer der Leser meines Letters, der Publizist, Umweltaktivist und Bergbauer Markus Wilhelm aus Sölden in Tirol, hat mir diese Entdeckung ermöglicht: Er wies mich auf den mir bisher unbekannten Walther Rode hin, für ihn "der hellsichtigste, kritischste österreichische Anwalt des 20. Jahrhunderts und ein hervorragender Schriftsteller". Ich habe zu lesen begonnen und war begeistert, hingerissen, verzückt. Walther Rode ist ein Autor von gewaltiger Sprachkraft, geboren 1876 in Czernowitz, gestorben 1934 in der Schweiz, im Alter von 58 Jahren; seine Werke wurden von den Nazis verbrannt, sein "Lesebuch für Angeklagte" in Österreich als "staatsgefährdend" verboten. Kurz vor seinem Tod hat Rode ein großartiges Pamphlet gegen Hitler und die Nazi-Deutschen geschrieben: "Deutschland ist Caliban. Ein Pamphlet gegen den Hinterwäldler aus Braunau". Caliban ist eine Figur aus dem Werk von Shakespeare, ein Monster und Unmensch.

Anlass für den Hinweis des Lesers auf Rode war mein Kommentar, in dem ich das Geschäftsgebaren einer Berliner Anwaltskanzlei kritisiert und darin den legendären Wiener Anwalt Sperber zitiert hatte (SZ Plus); Friedrich Torberg hat diesen Anwalt Sperber in seiner Anekdotensammlung "Tante Jolesch" verewigt: "Räuber, Mörder, Kindsverderber gehen nur zu Doktor Sperber". Der Leser wollte mir zu verstehen geben: Im Wien der Zwischenkriegszeit gab es nicht nur den berühmten Anwalt Sperber, da gab es noch einen anderen genialen Anwalt, einen, der nicht nur ein Strafverteidiger war mit einem feinen Sinn für Gerechtigkeit, sondern auch ein sprachgewaltiger Publizist und großartiger Schriftsteller, ein kompromissloser Humanist, der, nachdem man seine Wiener Kanzlei zerschlagen hatte, Korrespondent des Prager Tagblatts war beim Völkerbund in Genf.

Mein Leser empfahl mir, zum Einstieg in Rodes Werk eine Rede zu lesen, die Rode 1925 vor dem Schwurgericht Wien gehalten hat: "Gericht über den Obersten Gerichtshof". Das habe ich getan, beeindruckt und mit allergrößtem Vergnügen. Rode war angeklagt worden, in einem Zeitungsartikel zu Hass und Verachtung gegen den Gerichtshof aufgereizt zu haben. Er verteidigte sich mit dieser Rede – und wurde mit zehn gegen zwei Stimmen freigesprochen. Man entdeckt einen Bruder im Geist von Kurt Tucholsky und Joseph Roth; und kriegt leuchtende Augen beim Lesen. "Gegen den Teufel hilft alle Fechtkunst nicht", schrieb Rode. Er hat es trotzdem auf beeindruckende Weise versucht. Die Rede über den Obersten Gerichtshof ist abgedruckt in Rodes "Lesebuch für Angeklagte".

Walther Rode: Knöpfe und Vögel. Lesebuch für Angeklagte. Neuauflage mit einem Essay von Anton Kuh. Das Buch ist erschienen im Jahr 2000 in der Edition Memoria Köln -Wien. Es hat 368 Seiten und kostet 30,50 Euro.

Das Gesamtwerk von Walther Rode ist 2007 als Werkausgabe in Wien erschienen, herausgegeben von Gerd Baumgartner: Vier Bände im Löcker-Verlag, jeder Band kostet 34,89 Euro.
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SZPlus
Die nächste Instanz
Ob Walther Rode (siehe oben) auch über das Verwaltungsgericht Berlin so bissig reden und schreiben würde wie über das Schwurgericht in Wien? Das Verwaltungsgericht Berlin hat soeben die Klage des Altkanzlers Schröder abgewiesen, ihm sein Altkanzler-Büro wieder zurückzugeben. Ich hatte das bei aller Kritik an Schröder anders erwartet und die Begründung in meinem Newsletter vom vergangenen Sonntag dargelegt (SZ Plus): Der Entzug des Büros durch den Haushaltsausschuss des Bundestags hatte keine klare Rechtsgrundlage. Das hat zwar nun auch das Verwaltungsgericht Berlin festgestellt, aber daraus den gegenteiligen Schluß gezogen – nämlich: Schröders Klage sei deswegen unzulässig. Das glaube ich nicht. Soll denn automatisch rechtens sein, was keine Rechtsgrundlage hat. Die Sache wird in die nächste Instanz gehen. Der Kollege Georg Ismar hat die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Berlin in der Causa Schröder am vergangenen Freitag anschaulich beschrieben.
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