Liebe/r Leser/in, wir wissen natürlich nicht, was der russische Präsident Wladimir Putin zur Entspannung und zur Erheiterung liest und hört. Ich könnte mir aber vorstellen, dass sich der selbst ernannte Zar von seinen Lakaien in der Kreml-Pressestelle morgens oder abends die besten Untergangsfantasien deutscher Politiker zusammenstellen lässt. Denn was kann es für Putin Erheiternderes geben, als zu hören oder zu lesen, wie …
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vor einem „politischen Albtraum-Szenario“, einer „Zerreißprobe“ für das ganze Land sowie einer „schweren Rezession“ warnt. Und obendrein gesteht er, dass er seine Duschzeit „deutlich verkürzt“ habe. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder befürchtet einen „echten Schlaganfall der Wirtschaft“, von dem sich das Land „kaum erholen“ wird. Der Deutsche Städtetag gruselt die älteren Bürger, indem er zur Einrichtung von „Wärmeinseln oder Wärmeräumen“ rät. Die neue DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi sieht „Millionen von Arbeitsplätzen bedroht“ (in Deutschland, nicht in Russland). Die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert fürchtet „bis zu 400 Prozent (Gas-)Preissteigerungen“. Bundesfinanzminister Christian Lindner bekennt zur besten Sendezeit im ZDF: „Ich habe große Sorgen, das hält mich mitunter nachts auch wach.“ Bundeskanzler Olaf Scholz stimmt unser Land darauf ein, dass uns die Energieversorgung nicht nur Wochen und Monate, sondern über Jahre beschäftigen wird. Ich frage mich: Wie deutlich wollen wir dem Kriegstreiber im Kreml noch bestätigen, dass er uns mit nichts so hart treffen kann wie mit dem dauerhaften Stopp der Gas-Lieferungen? Ein Vorschlag: Wäre es nicht klüger, Putin wissen zu lassen, dass Deutschland fest davon ausgeht, dass Russland nach dem Abschluss der Wartungsarbeiten an Nord Stream 1 wie zugesagt seine Lieferverpflichtungen wieder vollumfänglich erfüllt? Wäre doch spannend zu hören, wie Gazprom und der Kreml darauf reagieren würden. So würde sich jedenfalls jedes Unternehmen verhalten – und bei berechtigten Zweifeln an der Zuverlässigkeit eines wichtigen Lieferanten alles, aber auch wirklich alles versuchen, um einen Lieferausfall zu kompensieren. Leider ist auch das in Sachen Deutschland AG nicht der Fall, denn sonst würden mit Hochdruck alle heimischen Energiereserven mobilisiert und nicht bestimmte Energiequellen wie Atom oder heimisches Fracking-Gas aus ideologischen Gründen ignoriert werden.
Und da Wirtschaft zu einem erheblichen Teil aus Psychologie, also aus Stimmung besteht, redet die Politik uns förmlich in eine Rezession hinein. Wie weit wir dabei schon gekommen sind, belegt unsere Titelgeschichte (ab Seite 52). Die wirtschaftliche Lage des Landes ist in der Tat schwierig, aber man macht es sich zu einfach, wenn man sie allein Putin in die Schuhe schieben will. Mit die höchsten Strompreise unter den Industrieländern hatten wir schon vorher – als Ergebnis einer verkorksten Energiewende. Und auch für die Tatsache, dass es im Juli kein deutsches Unternehmen mehr unter die 100 wertvollsten der Welt schafft, kann Putin nichts. Ebenso wenig übrigens dafür, dass der Euro in dieser Woche zeitweise weniger als einen Dollar wert war, sodass wir für Energie-Importe immer mehr zahlen müssen und so unsere Inflation anheizen. Doch ich befürchte, dass wir die Putin-Ausrede in den kommenden Monaten noch häufig von der Politik zu hören bekommen werden. | | mit vielen Grüßen, Robert Schneider, Chefredakteur FOCUS-Magazin | Jetzt jede Woche im Heft Das Plus im FOCUS-Abonnement Dem FOCUS liegt jetzt in jeder Ausgabe der „Hauptstadtbrief“ kostenlos bei. Lesen Sie darin noch mehr Analysen zur aktuellen Politik und sichern Sie sich unser exklusives Angebot für Sie: Erhalten Sie 26 Ausgaben für 127,40 Euro, zusätzlich einen 80-Euro-Verrechnungsscheck als Dankeschön. Bestellen Sie einfach auf www.focus-abo.de/editorial das Angebot und Sie erhalten den FOCUS innerhalb von zwei Wochen pünktlich und portofrei nach Hause geliefert. Wenn Sie den FOCUS nach den 26 Ausgaben wieder im Handel kaufen möchten, genügt ein Anruf und das Abo ist beendet. * Inkl. MwSt. und Versand. Sie haben ein gesetzliches Widerrufsrecht. |
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