| | | | | 7. Januar 2024 | | Prantls Blick | | Die politische Wochenschau | | | |
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| | | Prof. Dr. Heribert Prantl | | | |
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| | | diese Sätze gehen mir nicht mehr aus dem Kopf, seitdem ich sie dieser Tage gelesen habe. Ich habe die Zeilen ausgedruckt und sie mir in den Geldbeutel gelegt. Sie treiben mich um, sie quälen mich â weil ich mich frage, ob wir über die richtigen Dinge streiten, wenn wir über das Heizungsgesetz, über Steuererleichterungen für Landwirte und über die Schuldenbremse streiten. Ist nicht, frage ich mich, eine wirksame Neonazi-Bremse viel, viel wichtiger? Ist sie nicht angesichts der drohenden rechtsextremen Gefahren so wichtig, dass alle demokratischen Parteien daran arbeiten müssten, eine solche Bremse zu konstruieren? Sollten Olaf Scholz, Christian Lindner, Robert Habeck, Friedrich Merz und Markus Söder, die sich derzeit wegen groÃer und kleiner Alltäglichkeiten heftig in den Haaren liegen, nicht stattdessen gemeinsam intensiv an dieser Bremse arbeiten? Der Text, den ich gelesen habe und der mir nicht aus dem Kopf geht, trägt die Ãberschrift: âDie Dummheit der Demokratieâ. Er ist im Jahr 1935 erschienen; Joseph Goebbels, der Reichspropagandaleiter der NSDAP, hat ihn geschrieben. Er erklärt darin, wie es gelingen konnte, das demokratische System und âdie alten Eselâ, gemeint sind dessen Parlamentarier, in nur wenigen Jahren auszuschalten. Es ist dies eine hämische Rückschau. Sie ging wie folgt: âDas wird immer einer der besten Witze der Demokratie bleiben, dass sie ihren Todfeinden die Mittel selber stellte, durch die sie vernichtet wurde. Die verfolgten Führer der NSDAP traten als Abgeordnete in den Genuss der Immunität, der Diäten und der Freifahrkarte. Dadurch waren sie vor dem polizeilichen Zugriff gesichert, durften sich mehr zu sagen erlauben als gewöhnliche Staatsbürger und lieÃen sich auÃerdem die Kosten ihrer Tätigkeit vom Feinde bezahlen. Aus der demokratischen Dummheit lieà sich vortrefflich Kapital schlagen.â Wir sind gewarnt Der Schriftsteller und Journalisten-Kollege Christian Bommarius zitiert diesen grausam spöttischen Text in der Nachbemerkung seines soeben erschienen Buches über den Sommer 1944. Ãber den Sommer des Jahres also, in dem zwar der Aufstand vom 20. Juli scheiterte, sich das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft aber abzeichnete und in dem das Morden dennoch weiterging. âTodeswalzerâ heiÃt das Buch, das ich Ihnen heute in meiner Leseempfehlung ans Herz lege. Die âdemokratische Dummheitâ, politische Gegner nicht als Feinde zu betrachten, gehört zum Wesen der Demokratie, schreibt Bommarius richtigerweise. Er setzt hinzu: âAber der Selbstmord gehört nicht dazu.â Er sagt dies mit Blick darauf, dass die Neonazis des heimlichen AfD-Führers Björn Höcke bei den bevorstehenden Wahlen des Jahres 2024 Mehrheiten erringen und die Demokratie von innen aushöhlen könnten. Man könne nicht aufmerksam genug sein: âWir sind gewarnt.â Ernst Toller, der seinerzeit gefeierte Sensations-Autor der Weimarer Republik, hatte auf die Demokratieverspottung von Goebbels aus dem Jahr 1935 schon vorab, gleich nach der Bücherverbrennung des Jahres 1933, geantwortet: âWir sind nicht schuldlos an unserem Schicksal, wir haben viele Fehler begangen, der gröÃte war unsere Langmut.â Und Toller schloss seinen offenen Brief an Goebbels so: âWir werden, dank der Lehre, die Sie uns gaben, unsere Fehler überwinden. Und das ist Ihr Verdienst.â Es war zu spät. Ernst Toller hat sich 1939, in seinem Exil in New York, desillusioniert das Leben genommen.
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| | | Bevor der Schneeball zur Lawine wird | | |
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| Ich wünsche mir, ich wünsche uns, dass das Neue Jahr besser wird, als wir es befürchten. Ich wünsche uns demokratischen Auftrieb. | |
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| Heribert Prantl | | Autor und Kolumnist der Süddeutschen Zeitung, der mit seinem Newsletter âPrantls Blickâ jetzt bis zum 28. Januar in eine kleine Winterpause geht. |
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| | | | | | | | | Ein abgründiges Puzzle | | Im Sommer 1944 ist der Krieg für Deutschland verloren, aber das knappe Jahr bis zur Kapitulation wird sein blutigstes Kapitel. Zwar werden seit Monaten deutsche Städte von den westlichen Alliierten in Grund und Boden gebombt. Aber erst in diesem Sommer rücken die Armeen der USA, GroÃbritanniens und der Sowjetunion vom Westen, Süden und Osten auf die deutschen Grenzen zu. Der von Deutschland entfesselte Weltkrieg kehrt zu seinem Ausgangspunkt zurück. Dieser Sommer ist jetzt achtzig Jahre her; er ist das Thema des Schriftstellers und Journalistenkollegen Christian Bommarius. Bis zur Kapitulation und der Zerschlagung der NS-Diktatur am 8. Mai 1945 werden in ganz Deutschland noch Millionen Menschen sterben. âUnd bis zur Einsicht der Deutschen, dass der Untergang der Diktatur und das Ende des Krieges der Beginn ihrer Befreiung war, werden noch Jahrzehnte vergehen.â Mit diesem Satz endet das Vorwort des Buches. Es ist ein faszinierend verstörendes Buch, ein abgründiges Puzzle aus Glimmer und Grauen. Bommarius wechselt die Schauplätze behände und kunstvoll, ihm gelingt es tatsächlich, wie es sein Verlag beschreibt, âdie Gleichzeitigkeit von Morden und Lebensfreudeâ darzustellen. Es ist der Sommer, in dem die Befreiung beginnt. Es ist schon sehr viel über diese zehn Monate geschrieben worden, man hat nicht wenig davon gelesen. Aber nie war ich von einem Buch über diese Zeit so gepackt. Bommarius ist ein Meisterwerk gelungen. Christian Bommarius: Todeswalzer: Der Sommer 1944. Das Buch ist soeben bei dtv erschienen. Es hat 320 Seiten und kostet 26 Euro. | | | | |
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| | | | | Wo die T-Shirts herkommen | | Am heutigen Sonntag wird gewählt in Bangladesch. In dem Land ist die Textilindustrie einer der wichtigsten Wirtschaftszweige. Etwa vier Millionen Menschen arbeiten in den viertausend Fabriken, in denen Marken wie Puma, C&A oder Hugo Boss Kleidungsstücke herstellen lassen. Im April 2013 ist in Bangladesch die Textilfabrik Rana Plaza eingestürzt, in den Trümmern starben 1135 Menschen. Der Kollege Florian Müller hat vor Ort recherchiert, ob und wie sich die Arbeitsbedingungen seit dieser Katastrophe verbessert haben. Es ist einiges geschehen, wenn auch nicht genug. Die Auftraggeber aus Europa haben guten Einfluss genommen, angetrieben von einer Gesetzgebung wie dem deutschen Lieferkettengesetz, das die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten in globalen Lieferketten regelt. Dazu gehören der Schutz vor Kinderarbeit, das Recht auf faire Löhne und der Schutz der Umwelt. Florian Müller zeichnet ein Porträt der Wirtschaft des Landes, um die es besser steht als um die Politik. Die Wahlen in dem Land mit 171 Millionen Einwohnern sind eine bittere Posse: Die Premierministerin Sheikh Hasina regiert das Land seit 2009, zunehmend autoritär und autokratisch. Viele ihrer Gegner sitzen im Gefängnis. Die Opposition boykottiert deswegen die Wahl. Den berühmtesten Bürger des Landes verfolgt die Regierungschefin ebenso eifer- wie rachsüchtig: den Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus. Ihn lässt sie mit Strafverfahren überziehen; kurz vor der Wahl wurde er zu einer Haftstrafe verurteilt. | | | |
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