Liebe/r Leser/in, still und leise an die Macht – so hatten sich die Grünen das vorgestellt: Geräuschlose Kandidatenkür, kein Streit wie in der CDU, Umfragewerte vor der Union ... Annalena Baerbock war in den Gedanken vieler (auch in den Medien) bereits ins Kanzleramt eingezogen. Dass im Leben häufig nicht alles so läuft, wie man sich das in sonnigen Phasen vorstellt, das musste in der Politik schon der ehemalige SPD-Kandidat Martin Schulz schmerzhaft spüren, obwohl ich den an dieser Stelle nicht mit Annalena Baerbock vergleichen möchte. Aber ihr erstes ernstes Problem hat sie. Das ist der Parteirebell Boris Palmer in Tübingen. Am Wochenende schrieb die grüne Kanzlerkandidatin auf Twitter: „Die Äußerung von Boris Palmer ist rassistisch und abstoßend. Sich nachträglich auf Ironie zu berufen macht es nicht ungeschehen. Das Ganze reiht sich ein in immer neue Provokationen, die Menschen ausgrenzen und verletzen. Boris Palmer hat deshalb unsere politische Unterstützung verloren. Nach dem erneuten Vorfall beraten unsere Landes- und Bundesgremien über die entsprechenden Konsequenzen inklusive Ausschlussverfahren.“ Was war geschehen? Auf Facebook hatte Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer die Ex-Fußball-Nationalspieler Jens Lehmann und Dennis Aogo nach verbalen Entgleisungen vor pauschalem Rassismus-Vorwurf in Schutz nehmen wollen. Als daraufhin ihm ein Facebook-Nutzer vorwarf, Rassismus zu relativieren, schrieb Palmer: „der aogo ist ein schlimmer Rassist. Hat Frauen seinen n****schwanz (im Original ist das Wort ausgeschrieben, Anm. d. Red.) angeboten.“ Später versuchte sich Palmer zu erklären, nannte sein Zitat satirisch und nahm sich schließlich einen Anwalt. Jetzt soll der Alt-Grüne Rezzo Schlauch versuchen, den Parteiausschluss von Boris Palmer abzuwenden. Der Mann, dem das Land das Tübinger Modell verdankt, der mit seinen mutigen Maßnahmen gegen Corona über Wochen in den Talkshows saß, reduziert sich selbst auf Facebook-Niveau und muss mitten im Bundestagswahlkampf um den Verbleib in seiner Partei kämpfen. Die grüne Kanzlerkandidatin wird nun fortan am Fortgang des von ihr angestoßenen Ausschlussverfahrens gemessen: Gelingt es Annalena Baerbock nicht, den Tübinger Querkopf loszuwerden, wird man ihr das als Führungsschwäche auslegen. Der Fall Boris Palmer bei den Grünen weckt Erinnerungen an den Fall Thilo Sarrazin in der SPD: Auf politische Entfremdung folgte die einseitige Radikalisierung des ehemaligen Berliner Finanzsenators. Die Medien berichteten fortlaufend, die Wähler wandten sich ab … Mein Kollege Jörg Rohleder hat sich diese Woche mit Boris Palmer verabredet, sie wollen miteinander sprechen … Das Ergebnis lesen Sie am nächsten Samstag im FOCUS. Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche! |