Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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16. Juli 2023
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
er ist der Dreizehnte. Carsten Linnemann ist der dreizehnte Generalsekretär der CDU seit dem legendären Heiner Geißler. Das gehört zu den Sachen, die die CDU der SPD voraushat: Sie wechselt die Generalsekretäre noch schneller als die SPD ihre Vorsitzenden. Eine kleine Erinnerung: Rühe, Hintze, Merkel, Polenz, Meyer, Kauder, Pofalla, Gröhe, Tauber, Kramp-Karrenbauer, Ziemiak, Czaja. Und nun also Linnemann. Linnemann soll, darauf baut Parteichef Friedrich Merz, unerschrockene politische Attacken reiten, wie sie einst, von 1977 bis 1989, Geißler geritten hat. Das wird dem mundflinken Wirtschaftspolitiker aus Nordrhein-Westfalen durchaus zugetraut. Ob er aber auch das kann, was Geißler so gut konnte und was Merz bei seinem Amtsantritt versprochen hat? „Wir müssen sehen, dass wir intellektuell in diesem Land wieder satisfaktionsfähig werden.“ Durch sprühende Intellektualität ist Linnemann bisher nicht aufgefallen.

Der gerupfte soziale Flügel

Unter Linnemanns Leitung wird seit geraumer Zeit an einem neuen Grundsatzprogramm gearbeitet, das bis zur Europawahl im Juni nächsten Jahres fertig sein soll. Es wird sich an dem Ludwigshafener Grundsatzprogramm von 1978 messen lassen müssen, das „Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität“ hieß, das die „Neue Soziale Frage“ nicht nur als Schlagwort erfand, sondern auch Antworten darauf gab. Heiner Geißler hat darin die Sozialpolitik als Kernpolitik einer guten Demokratie beschrieben. Er war als Sozialminister Initiator der Sozialstationen, der ambulanten Pflegeinfrastruktur gewesen; er hatte das erste Kindergartengesetz in Deutschland gemacht und das Erziehungsgeld durchgesetzt. Als Generalsekretär öffnete er die Partei für eine liberale Jugend- und Frauenpolitik. Auf diesen Spuren wandelt Linnemann bisher nicht. Er ist, wie Friedrich Merz, ein Wirtschaftspolitiker. Er wird, so ist zu fürchten, das soziale Defizit der CDU nicht nur nicht ausgleichen können; er wird es verstärken. Der soziale Flügel der CDU, der früher einmal über viele prominente und parteiprägende Persönlichkeiten verfügte, hat hier nur noch Karl-Josef Laumann, den nordrhein-westfälischen Arbeits- und Sozialminister, aufzubieten. Da ist zu wenig, viel zu wenig. Es fehlt der CDU heute sowohl die Volkstümlichkeit als auch das intellektuelle Feuer. Es fehlt das Herz und es fehlt die Seele. Aber immerhin hat sie in Linnemann einen neuen Lautsprecher.

Auch das ist wichtig. Und auch das erinnert mich an Heiner Geißler. Einmal, bei einem Telefoninterview, da war er schon lange nicht mehr Generalsekretär, sondern der große Mahner und Ermahner der CDU, rauschte es stark im Hintergrund. Auf das Rauschen angesprochen, sagte er: „Das ist der Wasserfall. Ich hänge gerade im Felsen!“ Und dann redete er weiter, noch lauter als vorher. Wir redeten damals unter anderem über das Ehegattensplitting, über das jetzt wieder einmal diskutiert wird. Es geht um die Frage, ob es nicht durch ein Familien- beziehungsweise Kindersplitting abgelöst werden sollte.

Darüber schreibe ich heute in meinem SZ-Plus-Text. Geißler würde, da bin ich mir ziemlich sicher, eindringlich, beredt und laut „Ja“ sagen. Ob sich das der Dreizehnte nach ihm auch zu sagen getraut?
SZPlus Prantls Blick
Zeitenwende für Kinder, Zeitenwende im Steuerrecht
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Ich wünsche Ihnen schöne Ferien mit viel Zeit zum Lesen. Es muss nicht immer ein Sachbuch sein. Ich selber habe mir, wieder einmal, Joseph Roth zurechtgelegt: Die Rebellion. Das Buch ist aus dem Jahr 1924. Es ist noch immer höchst lesenswert.

Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Die nationalen Pinkler
Ich liebe den Dichter Joseph Roth, ich verehre seine Sprachmacht und seine Sprachkraft, die sich nicht nur in seinen großartigen Romanen wie "Hiob" oder "Radetzkymarsch" oder in der "Legende vom heiligen Trinker" zeigt. Sie zeigt sich auch in seinen journalistischen Kommentaren und Leitartikeln aus den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals hat er die Schrecknisse der Naziherrschaft mit einer so kühlen Genauigkeit und einer blitzenden Schärfe vorausgesagt, dass es einem noch heute kalt den Rücken herunterläuft. Zuweilen steigert sich bei ihm die schlanke Aggressivität zum visionären Pathos, wenn er etwa einen Bettler beschreibt, der in einer Winternacht "Deutschland, Deutschland über alles" singt. Und wenn er das Vulgäre als Waffe einsetzt, fallen Sätze wie diese: "Nicht nur Siegesalleen, auch Bedürfnisanstalten können die Gesinnung eines Volks charakterisieren ... Ein echter Nationaler kann keine Rotunde verlassen, ehe er nicht seinem Drange, ein Hakenkreuz hinter sich zu lassen, Genüge getan." Die Joseph-Roth-Kommentare aus der Weimarer Zeit sind von einer so großen Klarheit der Erkenntnis, dass man verzweifeln könnte – weil schon 1920, 1925 das künftige Schreckliche so luzide vorhergesagt wird. Es hat bekanntlich nichts geholfen. 

In dieser Zeit schrieb Roth seinen frühen Roman "Die Rebellion". Er handelt von einem Kriegsinvaliden, einem armen Mann, der nur ein Bein, eine Leierkastenlizenz und einen Orden besitzt. Der Mann heißt Andreas Pum, ist 45 Jahre alt, glaubt an Gott, die Menschen und die Regierung. Der Roman erzählt, wie und warum ihm das alles abhandenkommt und wie und warum aus einem leidlich zufriedenen Menschen ein Sträfling und Rebell wird, der sich auflehnt gegen die Ungerechtigkeit der Welt. Es ist lange her, dass ich diesen Roman erstmals gelesen habe. Und ich habe ihn mir jetzt als Urlaubslektüre noch einmal zurechtgelegt, weil ein Bekannter mir erzählt hat, er sehe in der Figur des Andreas Pum den Prototypen eines Menschen, den man heute "Reichsbürger" nennt. Ich will den Roman daraufhin noch einmal lesen.

Joseph Roth, Die Rebellion. Es gibt eine Neuausgabe des Romans, der 1924 erstmals erschienen ist, im Wallstein-Verlag aus dem Jahr 2019. Sie hat 280 Seiten und kostet 26 Euro. Das Nachwort stammt von Ralph Schock.
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Eine kulturelle Zumutung
Ursprünglich sollte die gemeinsame Tournee von Gerhard Polt, den "Toten Hosen" und den Well-Brüdern "Eine kulturelle Aneignung" heißen. Auf den Plakaten ist jetzt das Wort "Aneignung" durchgestrichen und ersetzt durch das Wort "Zumutung". Ist es wirklich eine Zumutung, wenn Campino eine Lederhose trägt und ins Alphorn bläst? Ist es eine Zumutung, wenn die Well-Brüder Texte der "Toten Hosen" singen? Es ist eine Gaudi, die die Leute begeistert. So war es jedenfalls bei der Premiere im Bauerntheater von Schliersee; und in Berlin und in Wien, wohin die Reise auch geht, wird es nicht anders sein. Bevor es losging, hat der Kollege Moritz Baumstieger mit den Protagonisten "im Trainingslager" am Schliersee geredet. Es ist ein schönes Gespräch über die (angeblich immer mehr fehlende) Ironie- und Satirefähigkeit der Gesellschaft daraus geworden. Am schönsten ist der Satz von Michael Well: "Es kann sich doch jeder zum Affen machen, wenn er meint, er ist einer."
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