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Sehr geehrte Damen und Herren,
Eva Marie Kogel
Eva Marie Kogel
Ressortleiterin Forum
über bestimmte Dinge sollte man in einer Demokratie nicht streiten. Die Würde des Abgeordnetenhauses gehört dazu. Und genau die ist am Mittwoch verletzt worden. Aber beginnen wir von vorne. 

Schon vor Tagen war Stimmung gemacht worden gegen Änderungen im Infektionsschutzgesetz. Eine Kampagne mit abwegigen NS-Vergleichen unter dem Schlagwort des „Ermächtigungsgesetzes“ hatte die Arbeit in den Abgeordnetenbüros erschwert, einzelne Mitglieder des Parlaments sprachen von „Mobbing“. Nun sind Einsprüche gegen bestimmte Gesetzesänderungen – selbst, wenn sie sich historisch grotesker Analogieversuche bedienen – alles andere als verboten, sie sind sogar bis zu einem bestimmten Grad demokratisch legitimiert. Das ist gut so. 

Man kann zum Beispiel inhaltlich begründete Kritik an einem Gesetzesentwurf anbringen. Es steht jedem frei, eine Demonstration anzumelden und sich im Namen eines Anliegens zu versammeln. Dabei gelten dann mitunter bestimmte Regeln – in einer Pandemie, wie wir sie gerade erleben, etwa eine Maskenpflicht. Wenn die Demonstranten sich nicht an die Regeln halten, dann wird die Demonstration aufgelöst. Und wenn sich dem widersetzt wird, rückt die Polizei mit ihren Wasserwerfern an. Der Staat muss zeigen, wer das Gewaltmonopol hat. Es kann nicht sein, dass er resigniert, wenn Demonstranten bewusst die Regeln verletzen. 

Wer nach mehr Transparenz schreit: die Debatten im Parlament sind keine Geheimverhandlung, sie sind öffentlich. Debatte gehört zu den Grundideen der Demokratie, die ein Wettbewerb der besten Ideen ist. Und der findet im Plenarsaal statt. Da werden übrigens auch Experten angehört, die sich den wichtigen Fragen der Abgeordneten stellen. Zum Beispiel: Sind die Grundrechtseingriffe verhältnismäßig? Alle diese Fragen werden also diskutiert. 

Was nicht geht: Den Parlamentsbetrieb zu stören. Genau das ist geschehen. Wie die Aktivisten in den Bundestag kamen und warum sie dort unbeaufsichtigt pöbeln und bedrängen konnten – das wird der Ältestenrat des Bundestags heute Nachmittag versuchen, zu klären. Ein begründeter Verdacht steht im Raum: Dass Abgeordnete der AfD-Bundestagsfraktion Demonstranten Zutritt zum Parlament verschafft haben, um so Abgeordnete vor der Abstimmung über das neue Infektionsschutzgesetz einzuschüchtern. Am Ende musste die Polizei des Bundestags eingreifen. 

Der Bundestag ist ein Verfassungsorgan. Angriffe dieser Art dürfen hier nicht vorkommen, das Parlament ist ein ziviler demokratie-heiliger Ort. Es ist unser aller Aufgabe, die Würde dieses Ortes zu wahren.

Was den Tag heute bestimmt, darüber berichtet für Sie jetzt aus dem WELT-Newsroom meine Kollegin Judith Mischke.
WAS HEUTE SCHLAGZEILEN MACHT
Justizministerin Lambrecht
Quelle: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa
Justizministerin verurteilt Ausschreitungen in Berlin

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD, im Foto) hat das Vorgehen der Polizei gegen die Gegner der Corona-Schutzmaßnahmen in Berlin verteidigt. Wenn Auflagen wie Maskenpflicht oder Abstandhalten bewusst missachtet würden, müsse die Versammlung aufgelöst werden, sagte Lambrecht der Funke Mediengruppe. „Der Staat muss zeigen, wer in diesem Land das Gewaltmonopol hat. Es kann nicht sein, dass der Staat resigniert, wenn viele Demonstranten kommen, um bewusst die Regeln zu verletzen." Unterdessen sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter, man müsse bei den Demonstranten zwischen verschiedenen Gruppen unterscheiden: „Wenn Menschen um ihre Existenz bangen wie die Gastronomie und die Kulturbranche, und die Bewegung 'Alarmstufe Rot' friedlich und unter Einhaltung der Regeln demonstriert, habe ich dafür sehr großes Verständnis." Aber wenn Rechtsradikale, Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker den Bundestag stürmen wollen, sei das „ein Angriff auf die Demokratie und ihre Institutionen", so Hofreiter. 

Berliner Justiz übernimmt den Fall Attila Hildmann

Die Staatsanwaltschaft Berlin übernimmt die Ermittlungen im Fall Attila Hildmann. Das berichtet der Rechercheverbund der „Süddeutschen Zeitung" mit dem WDR und NDR. Demnach sind die Akten aus Brandenburg über den Verschwörungstheoretiker und Koch Hildmann bereits in Berlin eingetroffen. Es sollen 60 Bände Akten sowie weitere 33 Fallakten sein. Berlins Justiz will alle Anzeigen, die deutschlandweit gegen Hildmann eingehen, von nun an zentral an sich ziehen. Einige von Hildmanns Äußerungen werden als antisemitisch und rechtsextrem eingestuft.

RKI-Chef: Corona-Infektionen immer noch „viel zu hoch"

Der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, bezeichnet die Corona-Lage in Deutschland als „weiterhin ernst, sehr ernst“. Die Neu-Infektionen – heute 22.609 Fälle – seien noch immer „viel zu hoch“, so Wieler. Das Infektionsgeschehen scheine sich zwar zu stabilisieren, „die Zahlen steigen nicht weiter, das ist eine gute Nachricht“, sagte Wieler. „Wir wissen aber nicht, ob das eine Trendwende ist, das müssen wir noch abwarten.“ Zudem steige die Zahl der Intensivpatienten, und auch die Zahl der Todesfälle sei mit 251 Fällen innerhalb von 24 Stunden weiterhin „sehr hoch“.

Doktorarbeit von Giffey wird erneut geprüft

Die Freie Universität Berlin prüft die umstrittene wissenschaftliche Doktorarbeit von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) erneut auf Plagiate – obwohl die Ministerin inzwischen ihren Doktortitel abgegeben hat. Die Uni gab bekannt, das Verfahren – ungeachtet der Komplexität – möglichst in der Vorlesungszeit des Wintersemesters abzuschließen. Unterdessen forderte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer Konsequenzen, falls Giffey der Doktortitel seitens der Uni aberkannt werden sollte: „Die Untersuchung der Doktorarbeit und vor allem der Vorwürfe, die damit verbunden sind, muss fortgeführt werden – und sie muss schnell zu einem Ende gebracht werden, noch vor den anstehenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus“, sagte Kramp-Karrenbauer. Denn die Familienministerin kandidiert derzeit für den Landesvorsitz der Berliner SPD – eine Wahl, die für den 27. November angesetzt ist. Gewinnt sie diese, wäre sie die SPD-Spitzenkandidatin für die Wahlen des Berliner Abgeordnetenhauses 2021.

Mehrere Staaten werfen China Vertragsbruch vor

Nach dem Ausschluss von vier pro-demokratischen Abgeordneten aus dem Hongkonger Parlament haben mehrere Länder China Vertragsbruch vorgeworfen. Die Regierung in Peking verstoße gegen das chinesisch-britische Abkommen aus dem Jahr 1984 über die weitreichende Autonomie Hongkongs, schreiben die Außenminister der USA, Großbritanniens, Australiens, Neuseelands und Kanadas. Die vier pro-demokratischen Abgeordneten wurden in der vergangenen Woche aus dem Hongkonger Parlament ausgeschlossen, ihre Mandate wurden entzogen. Der Vorwurf: Sie hätten ihren Amtseid verletzt. Die chinesische Regierung wies die internationale Kritik als Einmischung in die inneren Angelegenheiten zurück.
WORÜBER HEUTE DISKUTIERT WIRD
Mateusz Morawiecki (li), Ministerpräsident von Polen, und Viktor Orbán (re.), Ministerpräsident von Ungarn
Quelle: Czarek Sokolowski/AP/dpa
In Brüssel geht es heute beim EU-Gipfel um nicht weniger als einen Geldtopf gefüllt mit 1,8 Billionen Euro, der den Haushalt für die kommenden sieben Jahre ausmachen soll. Dieser ist auch bekannt als Mehrjähriger Finanzrahmen (MFR). Wegen der Pandemie sind allein 750 Milliarden Euro als Corona-Hilfen für die Mitgliedsstaaten gedacht. 

Das Problem ist nur, dass an dieses Geld derzeit niemand rankommt, da die Regierungschefs von Polen und Ungarn (im Foto) dem Konjunkturpaket des EU-Haushaltes nicht zustimmen wollen. Der Haushalt muss einstimmig, also von allen 27 Mitgliedstaaten, verabschiedet werden. Weil aber Warschau und Budapest verhindern wollen, dass künftig EU-Gelder bei Rechtsstaatsverstößen gekürzt werden, verweigern sie bisher ihre Zustimmung. 

In Brüssel will man künftig Regierungen, die rechtsstaatliche Prinzipien wie die Unabhängigkeit der Gerichte oder die Pressefreiheit verletzen, finanziell ahnden. Bisher gibt es ein Verfahren gegen Verstöße gegen Rechtsstaatsprinzipien, wonach Staaten bei Rechtsstaatsmängeln ihr Stimmrecht verlieren könnten. Da in einer bestimmten Verfahrensstufe aber auch Einstimmigkeit nötig ist, bleibt dieses Verfahren ein zahnloser Tiger. 

Der neue Rechtsstaatsmechanismus sieht nun vor, dass die Mitgliedstaaten bereits Sanktionen beschließen können, wenn 15 von 27 Mitgliedstaaten zustimmen, die 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Solch eine qualifizierte Mehrheit ist leichter zu organisieren. Außerdem müssten die Mitgliedstaten – nachdem die Kommission ein Verfahren angestoßen hat – innerhalb von maximal drei Monaten über Sanktionen entscheiden, die Verfahren könnten also nicht mehr jahrelang liegen bleiben. 

Bei den heutigen Verhandlungen kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel eine ganz besondere Rolle zu, wie die WELT-Korrespondenten Tobias Kaiser und Christoph B. Schiltz berichten. Merkels Wort hat im Kreis der Staats- und Regierungschefs am meisten Gewicht. Und: Deutschland hat derzeit den Vorsitz über die 27 Mitgliedsländer. Merkel hat in den vergangenen Tagen dafür gesorgt, dass Italien und Spanien als Hauptprofiteure der Corona-Milliarden nicht öffentlich gegen die Blockadehaltung aus Ungarn und Warschau wettern. 

Merkel hat außerdem ein relativ gutes Verhältnis zu Polens starkem Mann, PiS-Parteichef Kaczynski. Ihre Strategie: Polen umzustimmen und Ungarn zu isolieren. Sie telefoniert viel und tut alles, damit der Konflikt in der Öffentlichkeit nicht eskaliert. Merkels Motto lautet in diesem Fall: Ruhe bewahren. Möglicherweise spielt sie auf Zeit. Denn auch Polen und Ungarn brauchen dringend die Corona-Milliarden aus Brüssel.
WAS HEUTE NOCH WICHTIG WIRD
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hört zu
Quelle: Sean Gallup/Getty Images
Bevor sich Bundeskanzlerin Angela Merkel am Abend um EU-Politik kümmert, wird sie am Nachmittag vor allem eines tun: zuhören. Beim sogenannten Bürgerdialog trifft Merkel heute auf Pflegekräfte, Pflegebedürftige und deren Angehörige, die alle aus unterschiedlichen Perspektiven von ihren Pandemie-Monaten berichten werden. Merkel sagte vorab, dass sie sich auf das virtuelle Gespräch freue, auch weil der Austausch alle „wieder ein Stück näher zusammenrücken" ließe.
PODCAST DES TAGES
Der Kulturschock-Podcast erscheint alle zwei Wochen
Quelle:  WELT
Manchmal liegen Tod und Geburt nah beieinander – und beide Ereignisse hinterlassen deutliche Spuren: Hannah Lühmann und Jan Küveler teilen im Feuilleton-Podcast „Kulturschock" zwei prägende Ereignisse aus ihrem eigenen Leben. Und sie diskutieren, wie Bücher oder Filme bei der Verarbeitung der Emotionen helfen und ablenken können. Den „Kulturschock-Podcast" können Sie hier anhören.
 
Ich wünsche Ihnen einen demokratiewürdigen Nachmittag.

Eva Marie Kogel
Ressortleiterin Forum
MEINE WELTPLUS-EMPFEHLUNGEN FÜR SIE
BEVÖLKERUNGSSCHUTZ-GESETZ
NIE SEI EIN GESETZ „SO MISSVERSTANDEN" WORDEN
In der Union glauben viele, dass das Bevölkerungsschutzgesetz mit guten Absichten kommt. Kritik wird zurückgewiesen – außer die an der Kanzlerin.
Zum ARTIKEL
AKTIVISMUS
DIE ARD,  DIE GRÜNEN UND DIE BOURGEOISE MACHTSEHNSUCHT
Die Grünen haben ein Luxusproblem, schreibt WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt. Das lautet: „Zu viele Freunde". 
Zum Kommentar
GRAN CANARIA
IMMER MEHR FLÜCHTLINGE WOLLEN NACH DEUTSCHLAND
Das System der Erstaufnahme für Flüchtlinge ist auf Gran Canaria kollabiert. Viele Migranten nutzen die Insel, um ungehindert in die EU einzureisen. Ihr Ziel: Deutschland.
Zum ARTIKEL
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