Ein selten spannender Verfallstag
Ein selten spannender Verfallstag von Torsten EwertSehr verehrte Leserinnen und Leser, die Sommerpause Ihrer "Börse-Intern“ endet gerade rechtzeitig vor dem großen September-Verfallstag am Freitag dieser Woche. Das ist auch gut so, denn diesmal gibt es eine selten spannende Konstellation. Warum der Verfallstag diesmal so spannend ist Der Blick auf das aktuelle Verfallstagsdiagramm zeigt, worum es geht: Der DAX stieg in den vergangenen Tagen kräftig an und erreichte zum Schlusskurs am Freitag ein Niveau knapp oberhalb von 12.450 Punkten (siehe roter Pfeil im Verfallstagsdiagramm). Damit lag er zugleich leicht oberhalb der größten Call-Position (blaue Balken), die sich genau auf diesem Niveau befindet. Diese riesige Call Position – die größte Einzelposition überhaupt im aktuellen Diagramm – lag damit knapp im Geld und brachte die Stillhalter in die Bredouille. Ihnen kam allerdings zugute, dass es am Wochenende Angriffe auf Ölanlagen in Saudi-Arabien gab, die nicht nur den Ölpreis steigen ließen, sondern auch den DAX wieder unter 12.400 Punkte drückten (siehe grüner Pfeil). Damit können die Stillhalter vorläufig etwas entspannen. Worum es nun geht Aber Sie merken natürlich schon, worum es diesmal geht: Gelingt es den Stillhaltern und Bären die große 12.450er Call-Position aus dem Geld zu halten oder treiben die Bullen den DAX in den kommenden Tagen doch noch über diese Marke? Erfahrene „Verfallstags-Interessenten“ wissen, was passiert, wenn der DAX in so einem Fall weiter steigt: Die ins Geld laufende Position wird von den Stillhaltern abgesichert, was die Kurse weiter antreibt und damit eine sehr dynamische Aufwärtsreaktion auslösen kann. Diese Dynamik kann diesmal sogar besonders groß werden, weil es eben um die größte Call-Position geht. Und weil oberhalb dieser Position faktisch nur noch Call-Positionen sind, die bei einem weiteren Anstieg ebenfalls ins Geld laufen und ihrerseits abgesichert werden müssen… Sie sehen, die Stillhalter dürften derzeit wie auf glühenden Kohlen sitzen. Ein dynamischer Ausbruch über die 12.450-Punkte-Marke könnte den DAX dank der Verfallstagspositionierung schnell auf ein neues Jahreshoch katapultieren (das aktuell bei 12.656,05 Punkten liegt, also nur 2,2 % vom aktuellen Kurs entfern ist). Theoretisch könnte der DAX durch diese Dynamik bis zur 13.000-Punkte-Marke emporschießen, denn dort liegt die nächste große Call-Position, an der die Stillhalter die Rally spätestens stoppen dürften. Wieder einmal Fed-Sitzung in der Verfallstagswoche Aber ist ein solches Rally-Szenario in den kommenden Tagen wirklich wahrscheinlich? Abgesehen vom Gegendruck durch die neuen geopolitischen Ereignisse und die entsprechende Unsicherheit im Nahen Osten gibt es noch andere Faktoren, die dämpfend auf die Kurse wirken. Da ist zum einen natürlich die Fed-Sitzung in dieser Woche, deren Ergebnis am Mittwochabend europäischer Zeit bekanntgegeben wird. Allgemein wird zwar mit einer weiteren Zinssenkung der Fed gerechnet, aber ganz sicher sind sich die Anleger da nicht mehr. Das zeigen die jüngsten Änderungen der Zinserwartungen anhand der Fed Fund Futures: Quelle: CME Group Noch vor einem Monat rechnete gut ein Fünftel der Anleger mit zwei Zinsschritten (siehe blaue Säule), während niemand mehr erwartete, dass die Zinsen unverändert bleiben (gelbe Säule = 0). Die Stärke der Märkte ab Ende August, aber auch einige Konjunkturdaten (starker Arbeitsmarktbericht, weiterer deutlicher Anstieg der Kerninflation) führte dazu, dass sich die Börsianer von der Hoffnung auf zwei Zinsschritte verabschiedeten (blaue Säulen = 0) und wieder etwas mehr Realismus zeigten: Am Freitag war immerhin schon wieder jeder fünfte Anleger der Meinung, dass die weiterhin starke US-Wirtschaft eigentlich gar keine weitere Zinssenkung nötig hat. Diese Quote fiel natürlich zunächst über das Wochenende, nachdem die Anschläge in Saudi-Arabien bekannt wurden. Diese recht deutlichen Änderungen der Investorenmeinung zeigen eine gewisse Unsicherheit. Und so dürften die Börsianer bis zur Fed-Entscheidung am Mittwoch eher abwartend reagieren (sofern die Lage im Nahen Osten keine neuen Anlässe für Verkäufe liefert). Mit stärkeren Kurssteigerungen ist also vor der Fed-Sitzung nicht zu rechnen. Eigentlich kann es nach der Fed-Sitzung nur abwärts gehen Zum anderen dürften sich viele Trader genau auf diese Fed-Sitzung und ihr wahrscheinlichstes Ergebnis positioniert haben – eine weitere Zinssenkung. Wenn es tatsächlich dazu kommt, werden diese Positionen aufgelöst werden und die Kurse potenziell drücken – getreu dem Motto „Buy the rumors, sell the Facts“ (Kaufe bei Gerüchten, verkaufe bei Tatsachen). Natürlich wird die weitere Richtung der Aktienmärkte bis zum Verfallstag auch davon abhängen, wie die Fed ihre Entscheidung begründet und welche weiteren Maßnahmen sie in Aussicht stellt bzw. auch nicht. Die Wahrscheinlichkeit für eine positive Überraschung sehe ich aber als gering an, denn wenn die Fed nun tatsächlich die Zinsen um zwei Schritte senkt oder weitere, umfangreichere Maßnahmen in Aussicht stellt (wie jüngst die EZB), dürften die Anleger skeptisch werden. Sie könnten argwöhnen, dass die Fed mehr weiß, als die offiziellen Zahlen verraten – die US-Wirtschaft also schon schwächer läuft als bislang bekannt. Oder – was noch schlimmer wäre – die Anleger ziehen die Glaubwürdigkeit der Fed in Zweifel, da sie sich mit größeren Lockerungsmaßnahmen scheinbar dem politischen Druck aus dem Weißen Haus beugt. Beides dürfte zu Kursverlusten führen. Das DAX-Kursziel zum Verfallstag Wenig überraschend passen diese Szenarien auch zu dem aktuellen Kursziel des DAX zum großen September-Verfallstag, das bei 12.300 Punkten liegt, der „Gleichgewichtsmarke“ im derzeitigen Kursbereich. Allerdings liegt das globale Kursziel des Verfallstags anhand der „Schüsselkurve“ im unteren Diagrammteil bei der runden 12.000-Punkte-Marke (siehe gelbe Ellipse). Dieses Kursziel könnte der DAX anlaufen, wenn die Fed oder die Lage im Nahen Osten die Kurse deutlich und vor allem dynamisch nach unten drücken. Charttechnisch wäre allerdings ein Rückgang bis an die 12.000er Marke unproblematisch: Bei 12.000 Punkten wäre der DAX noch in sicherer Entfernung von der wichtigen grünen Unterstützungszone um 11.800 Punkten und erst recht weit weg vom alten übergeordneten Abwärtstrend (rot) und würde gerade einmal gut 38,2 % seines Anstiegs seit Mitte August korrigieren, also nur das Mindestkorrekturziel erreichen (siehe violette Fibonacci-Niveaus). Auch die Charttechnik spricht für eine Kursschwäche Allerdings deutet auch einiges tatsächlich auf einen kurzfristigen Kursrückgang hin: Aktuell wird der DAX an wichtigen Widerständen ausgebremst. Da ist zum einen natürlich die 12.500-Punkte-Marke, die ebenfalls eine gewisse psychologische Relevanz hat. Knapp darunter bildeten sich auch im Mai 2019 und im September 2018 wichtige Zwischenhochs aus (siehe rote gestrichelte und blaue Linien). Zudem trifft der Kurs aktuell in diesem Kursbereich auf die Abwärtslinie durch die Juli-Hochs. Hinzu kommt, dass der DAX nach seiner jüngsten Gewinnserie klar überkauft ist: Er stieg seit Ende August an 13 von 15 Handelstage – eine sehr seltene Serie, die wenig weiteres Potenzial verheißt (und vermutlich bereits heute zu Ende gegangen ist). Fazit Bis zum September-Verfallstag an diesem Freitag sollte der DAX schwächeln, wobei das eigentliche Kursziel von 12.300 Punkten nur einen moderaten Kursrückgang mit sich bringt, während das Alternativziel bei 12.000 Punkten eine deutliche Korrektur der jüngsten Rally brächte. Die bullishe Überraschungsvariante – ein dynamischer Ausbruch über 12.450 Punkte nebst kräftigen Kursgewinnen – ist dagegen eher unwahrscheinlich. Mit besten Grüßen Ihr Torsten Ewert
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