Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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28. April 2024
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe der Glut. Das Zitat des französischen Historikers und Politikers Jean Jaurès ist berühmt; Jaurès, der sich leidenschaftlich für den Frieden einsetzte, wurde am 31. Juli 1914, unmittelbar vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, von einem Nationalisten ermordet. Der französische Präsident Emmanuel Macron ist kein leidenschaftlicher Pazifist wie Jaurès, aber er ist ein leidenschaftlicher Europäer. Seine Reden zu Europa haben nicht nur Glut, sie haben Feuer, sie haben das Feuer, das man bei Olaf Scholz vermisst. Macron schwebt ein strategisches Eigengewicht Europas vor, er plädiert für mehr Selbstständigkeit gegenüber den USA, er propagiert eine Art Abnabelung von der westlichen Führungsmacht. Macrons Werben für gemeinsame europäische Militärprojekte erinnert an die Anfänge der Europäischen Union, als die Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft mit einer gemeinsamen europäischen Armee auf der Agenda stand.

Über solche Visionen kann man streiten; aber Macron hat wenigstens welche. In dem mit 46 Jahren immer noch ziemlich jungen Politiker ist der Geist eines neuen, geeinten Europas noch lebendig, den zuletzt der alte Helmut Kohl verkörperte. Kohl, Bundeskanzler bis 1998, hat 1999 in einem mehrseitigen Interview in der Süddeutschen Zeitung diesen Geist beschworen und beschrieben. Schon die Überschrift über diesem europapolitischen Testament Kohls macht heute klar, welche Chancen seit damals verpasst und vergeudet wurden. „Europa vor dem Ziel“ heißt es da. Und dann, man möchte weinen, wenn man das liest: „Noch nie gab es so viel Grund zum Optimismus wie heute.“ Kohl war Europas Berserker und Europas Christophorus.

Die Osterweiterung der EU ist zwanzig Jahre her

Ich erinnere an diese Zeit vor 25 Jahren, weil damals die Verhandlungen über die Osterweiterung der Europäischen Union begannen; das war der Grund für den jubelnden Optimismus von Helmut Kohl. Kohl war zwar nicht mehr ein Steuermann dieses Erweiterungsprozesses – aber es war ein Prozess in seinem Geist und nach seinem Bild. Vor genau zwanzig Jahren, am 1. Mai 2004, kam dieser Prozess zu seinem vertraglichen Abschluss: Zehn neue Staaten traten der Europäischen Union bei. Es war die fünfte und bisher größte Erweiterung der Europäischen Union. Die Aufnahme Polens und Ungarns hatte dabei ein ganz besonderes politisches Gewicht. Heute stöhnt man auf, wenn diese Staaten genannt werden, weil Polen dann so lange autokratisch regiert wurde und Ungarn immer noch autokratisch regiert wird. Der SPD-Politiker Günter Verheugen, der damals, als EU-Erweiterungskommissar, die großen Verhandlungen dirigierte, warnt freilich davor, die ungarische Demokratie abzuschreiben: Victor Orbán habe das Schicksal zu erwarten, das auch Jarosław Kaczyński in Polen widerfahren sei.

Günter Verheugen wird am heutigen Sonntag achtzig Jahre alt. Als die große EU-Erweiterung vor zwanzig Jahren unter Dach und Fach gebracht wurde, war er sechzig. Die von ihm verhandelte Aufnahme der zehn neuen Staaten wurde am 1. Mai 2004, am Tag der Arbeit, rechtswirksam. Es war dies eine diplomatische und strategische Meisterleistung. Wenn sich Leben und Werk zusammenfügen, spricht man von einem Lebenswerk. Bei Günter Verheugen ist das so.
SZPlus Prantls Blick
Wie viele Tonnen wiegt Europa?
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Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Maifeiertag am kommenden Mittwoch.  Der Mai heißt bekanntlich auch „Wonnemonat“. Ich wünsche Ihnen, dass Sie davon etwas spüren.
Ihr 
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Nichts und niemand entkommt dieser Geschichte
Es gibt Historiker, die viel von Geschichte verstehen, aber keine Geschichte erzählen können. Und es gibt Geschichtenerzähler, die keinen Sinn für Geschichte haben. Doppelbegabungen sind selten, in Deutschland sind sie eine Rarität. Karina Urbach ist eine. Die in Cambridge lebende deutsche Historikerin hatte sich mit Werken unter anderem über „Hitlers heimliche Helfer. Der Adel im Dienst der Macht“ längst einen Namen gemacht, ehe sie sich auch der Literatur zuwandte - genauer gesagt: dem Kriminal- und Spionageroman. Mit ihrem jüngst erschienenen historischen Thriller „Das Haus am Gordon Place“ schreibt sie sich in die erste Reihe deutschsprachiger Kriminalautoren. Sie führt in dem Buch stupende historische Kenntnis und stilistische Souveränität zusammen. Das macht den Roman zu einem guten Buch. Aber ein Drittes kommt hinzu, und das macht es – keine Übertreibung – zu einem Ereignis. Die Briten nennen es „suspence“. Urbach hält die Leser im „Haus am Gordon Place“ stundenlang in Spannung, von der ersten bis zu letzten Seite.

Nichts und niemand entkommt der Geschichte, auch nicht der Historiker Professor Hunt, in dessen Londoner Luxuswohnung sein ermordeter Nachbar gefunden wird. Was hatte der Nachbar in Hunts Wohnung zu suchen, warum ist er ermordet worden, und warum erscheint bei Hunt nicht die Polizei, sondern Emma Spencer vom britischen Auslandsgeheimdienst MI 6, die ihn um seine Mithilfe bittet? Die Fragen, die sich Hunt stellen, bilden den Spannungsboden, von dem aus Karina Urbach die Handlung von London in das Wien der Nachkriegsjahre katapultiert.

Wie Berlin ist damals auch Wien in Sektoren der Siegermächte zerlegt. Es wird nicht nur von Hunger und Elend beherrscht, sondern auch vom heraufziehenden Kalten Krieg, von Ost- und Westagenten und vom wechselseitigen Misstrauen der ehemaligen Alliierten. Der Film „Der dritte Mann“ (1949) hat das Leben Wiens in dieser Zeit authentisch abgebildet. Etliche am Film Beteiligte haben damals für den MI 6 gearbeitet, zuvorderst der Drehbuchautor Graham Greene, auch der Produzent und der Regisseur. Die wahre Geschichte des „Dritten Mann“ macht Urbach zu einem Teil der fiktiven Geschichte, die sie über das Haus am Gordon Place erzählt. Wie sie das macht, das macht sie zu einer fantastischen Autorin. Deutschland hat noch keinen herausragenden Autor von Spionagethrillern hervorgebracht – jetzt endlich aber eine herausragende Spionagethriller-Autorin.

Karina Urbach: Das Haus am Gordon Place. Kriminalroman. Das Buch ist als Paperback bei Limes erschienen, es hat 348 Seiten und kostet 18 Euro
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SZPlus
Die letzten Tage der Menschheit
 Vor 150 Jahren ist Karl Kraus geboren, der bedeutendste Satiriker deutscher Sprache, vielleicht der Weltliteratur. So beschreibt ihn der Kollege Burkhard Müller in einem glänzenden Beitrag im Feuilleton der SZ vom Wochenende. „Schlachtfeld“ heißt eine Szene in den „Letzten Tagen der Menschheit“, dem Hauptwerk von Karl Kraus, das Burkhard Müller mit gutem Grund und mit Blick auf heute zitiert. „Ja führt man denn mit Phantasie Kriege?“ fragt da ein fassungsloser Zuhörer den „Nörgler“, der das Alter Ego von Kraus ist. „Nein“, antwortet da der Nörgler. „Denn hätte man jene, würde man diese nicht führen.“
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