Guten Tach auch – aus Riesenbeck, Hach, was war das gestern doch für ein Tag. So schönes Reiten! Dass Jessica von Bredow-Werndl ihre vierte Goldmedaille auf einem Championat gewonnen hat, ist das eine. Das andere ist, wie sie sie gewonnen hat. Der „Happy Athlete“, den sich der Weltreiterverband (FEI) hatte einfallen lassen, als in grau(sam)er Vorzeit Ziehen und Stechen noch oberste Bürgerpflicht war, wollte man vor den Richtern bestehen, hat gestern Gestalt angenommen. Beziehungsweise Gestalten – Plural. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich so viele schöne, harmonische Runden schon einmal en bloc erleben durfte. Ganz ehrlich, „erleben durfte“ – solche Formulierungen meide ich eigentlich. Dieses immer an der Grenze zur Schleimigkeit entlang Fabulieren widerstrebt mir. Dass es eine Ehre war, dem beizuwohnen. Man dabei sein durfte. Die Freude, daran teilzunehmen, kaum zu beschreiben sei. Bullshit Bingo. Aber gestern war eben wirklich ein ganz besonderer Tag. So viel schönes Reiten in der Top 10 – wow. Kaum Ausfälle. Und wenn, dann die üblichen Verdächtigen. Die so leicht zu enttarnen wären. Tipp ans Richterkollegium: Einfach mal den Namen des Reiters vergessen, aufs Pferd achten und dann in die Schublade weiter unten greifen – Let’s talk about Sechs, you know… Schon vorgestern hatte Bundestrainerin Monica Theodorescu gesagt, wie fein die Briten reiten, wie still sie säßen. Respekt zollen, demjenigen, der dem Pferd gerecht wird und damit den Sport, den wir lieben, lebt (noch so eine Schwulst-Formulierung, sorry). Daran erkennt man den wahren Sportler, die wahre Sportlerin. Man schaut ja gerne auf die, die ganz oben stehen. Aber es gibt eben auch die, für die Dabeisein nahezu alles ist. Der Luxemburger Nicolas Wagner hat diesen kecken Fuchs Quaterback junior. Dem gingen heute die Nerven durch. Wieder einmal, muss man sagen. Die EM in Rotterdam vor vier Jahren war für ihn ein Ratterdam-Erlebnis. Da schoss eine an Drähten aufgehängte Kamera auf ihn zu und der damals Zehnjährige erschrak sich zu Tode. In Tokio bei den Olympischen Spielen blitzte eine Anzeigetafel als der Fuchs auf sie zu marschierte. Championatspech. Gestern war nichts zu erkennen, außer Spannung und großen Augen. Zufällig lernte ich die Mutter des Reiters danach kurz kennen. Sie brachte es wunderbar auf den Punkt: „Warum wir mit ihm losfahren? Weil wir keinen anderen haben. Und weil wir ihn lieben“. So wie sie den letzten Halbsatz sagte, war klar, was der Hauptgrund ist. Ob Papa/Opa Werndl heute wieder ein grünes Polohemd anhatte, weiß ich nicht. Aber zum Sieg hat es ja nicht nur gereicht. Es war ein Triumph. Während die letzten Mitbewerber sich noch im Stadion bemühten, Daleras Sieg zu verhindern, war die im Stall. Sie bekam die Beine gekühlt und ganz viele Bananen gefüttert. Dafür sorgten Jessis Mann Max und ihre Pflegerin Franziska. Jessi kam zum Interview, sah mich und nahm mich spontan in den Arm. „In Tokio mussten wir Abstand halten, da stand‘s du auf der einen Seite des Zauns und ich heulend auf der anderen. Jetzt geht‘s“, sagte die zu diesem Zeitpunkt noch-nicht-aber-eigentlich-doch-schon-Europameisterin. So weit, so harmlos. Doch die Szene muss einer der „Clippies“, also ein Kameramann von Clipmyhorse, aufgenommen haben. Zumindest bekam ich drei Minuten später eine WhatsApp-Nachricht: „Also, also, fremde Frauen via TV zu umarmen!!“ Absender: meine Mutter. Merke: Big Mama is watching you – selbst wenn du die 50 überschritten hast. Und aus den USA kam auch schon Rückmeldung. „Was that you?“ Stichwort Mama: Jessi ist zweifache Mutter. Charlotte Dujardin, die nach der Pressekonferenz ihre Tochter an der Bronzemedaille knabbern ließ, hat ihre Isabella Rose Anfang des Jahres zur Welt gebracht. Ob sie die Kinder verändert hätten, wollte eine finnische Kollegin wissen. „Absolut“, sprudelte es aus Charlotte Dujardin heraus. „Vorher dachte ich, es ginge nichts übers Reiten, 24/7. Seit ich Mutter bin, weiß ich, was das Allerwichtigste im Leben ist“. Jessi stimmte ihr zu, sie sei seitdem geerdet, „grounded“, sprich auf dem Boden der Tatsachen. Und ich denke mal, dass sie damit nicht meint, dass man häufig mit dem Lappen auf eben jenem Boden der Tatsachen herumrutscht. Beispielsweise, wenn der Nachwuchs mal wieder mit dem Spinat gespielt hat. Den bemerkenswertesten Vergleich aber führte Bonzemedaillengewinnerin Charlotte Dujardin an: „Ich könnte mir auch ein Leben als Zuchtstute vorstellen, das ist vielleicht meine eigentliche Bestimmung“. Wie heißt das? Gesagt ist gesagt! |