Bonjour de Le Pin-au-Haras! So glitschig wie der Parkplatz vorgestern Abend war, so schleimig war er gestern morgen. Und die Nebelbank auf dem Hinweg, die nahelegte, keinesfalls mehr als den dritten Gang zu nutzen, sprach auch für eine gewisse Grundfeuchte. Wir sind früh losgefahren. Die Erinnerungen an das Verkehrschaos vor neun Jahren bei der Anreise zum WM-Cross ist allen, die damals hier waren, noch präsent. Also früh raus, Stullen geschmiert – auch die Schlangen vor den Restaurationsständen haben wir alle noch gut vor Augen (und nach diesem sonnigen Tag haben wir dieses Bild gut auffrischen können, 120 Meter Schlange, ich habe sie abgetreten, für einen Kebap – wer’s mag …). Gerade in eine Parkbucht auf dem ungemähten Rasen gerutscht, wurde dann schnell klar, dass wir keine Minute zu spät waren. Schnell konkretisierte sich das Gerücht, dass die Strecke verkürzt und der Boden an einigen Stellen noch verbessert werden sollte. Also nicht erst mal den Boden anschauen, sondern Rechner an, und los geschrieben. „Vorschreiben“ nennen wir Journalisten das. Das hat nichts mit Befehlen oder Anordnungen zu tun, es ist eine Vorgehensweise, die Zeit spart (oder sparen kann). Gerüchte verdichten sich, und wenn dann offizielle Verlautbarungen sie bestätigen, dann hat man idealerweise einen passenden Text, zumindest aber ein Gerüst. So schaffen wir es, die Tausende, die sich täglich auf st-georg.de informieren, schnell aber dennoch ordentlich recherchiert auf dem Laufenden zu halten. Das schreibe ich jetzt nicht als Presse-Schlaumeier, sondern um allen Leserinnen und Lesern, die uns das Vertrauen schenken, einmal zu danken. Guter Journalismus kann nie ganz so schnell sein wie ein Social Media-Augengeklimper. Aber er ist eben erstens gut und zweitens Journalismus. Beim ersten Abgehen der Strecke am Samstagmorgen bestätigte sich dann das, was die Nebelbank angedeutet hatte: Feuchtigkeit satt. So ganz überraschend kann das nicht gekommen sein, auch wenn beim CCI4*-L im letzten Jahr im Haras du Pin Dürre herrschte. Denn im Souvenirshop des Gestütsmuseums gibt es eine Postkarte voller aufgespannter Regenschirme von oben gesehen. „Google Earth Normandie“ erläutert ein Schriftzug. Apropos Gestüt. Ein paar mächtige Percheron-Hengste dösten auf dem Paddock. Ich hatte Zeit, mir die historischen Stallungen, die Kutschenremisen und die „Manege“, tatsächlich keine profane Reitbahn, sondern ein Gemäuer mit – zugegeben etwas eingestaubten – roten Vorhängen und einem Zirkuszirkel in der Mitte, anzuschauen. Mein Highlight: das Grab des Hengstes Furioso xx (1939-1967). Der Vollblüter hat im Haras du Pin gedeckt und es ist nicht übertrieben, wenn man sagt: Ohne ihn würde unsere Pferdewelt heute anders aussehen. Ohne ihn kein For Pleasure und kein Valegro, kein Cor de la Bryère (mütterlicherseits) und damit eigentlich kein Springsport, wie man ihn kennt. Und auch in der Dressur – ohne das Florestan wäre alles anders. Ich habe ein Kleeblatt gepflückt und an den schlichten Grabstein, der in einem schattigen Eichenhain auf dem Gestütsgelände am Ende einer bepflanzten Grabstelle steht, gelegt. Mein Dankeschön an einen Hengst, der meiner Familie und mir jeden Tag als zweifacher Urur-, einmaliger Ururur- sowie Ururururururgroßvater Freude bereitet. Und damit auch ein bisschen ein indirekter Ideengeber für die eine oder andere Episode aus dem Leben von Don Hitmeyer ist. Merci, Furioso xx. Als es um 14 Uhr losging, waren viele Menschen da, die Laune war zaghaft optimistisch. Als die Irin Sarah Ennis mit ihrem kleinen Braunen Grantstown Jackson dann in wieselflinken 8,24 Minuten ins Ziel kam, sechs Sekunden langsamer als die Idealzeit, konnte man meinen, die Befürchtungen betreffs des Bodens wären vielleicht doch zu pessimistisch gewesen. Aber weit gefehlt! Ennis machte den sagenhaften Sprung von Platz 54 nach der Dressur auf Rang fünf nach dem Gelände. Fast schon historisch zu nennen. Doch das Gros der anderen Pferde kam müde, sehr müde oder verausgabt ins Ziel. Von der letzteren Kategorie gab es glücklicherweise nicht so viele. Wie schlau es war, das Ziel an einem ansteigenden Stück zu positionieren, sodass die Pferde auf den letzten Metern noch einmal bergauf galoppieren mussten, sei dahingestellt. Unvorstellbar, wie es ausgesehen hätte, wäre die Entscheidung nicht gefallen, die Strecke zu verkürzen. Malin Hansen-Hotopp meinte, sie hätte dann vermutlich nicht zu Ende geritten. Sie dankte ihrem Quidditch genauso wie Christoph Wahler sich bei seinem Holsteiner Schimmel bedankte, „er ist das vermögendste und tapferste Pferd“. Aber galoppiert wäre Carjatan auf diesem Boden von Anfang an nicht gerne. Und wir reden von einem Badminton-Finisher! Christoph sagte das, was man auch von anderen Nationen hörte: Distanzen sehen und reiten, wäre nicht möglich gewesen. „Ich hatte heute einen Galopp, ich konnte weder einen Gang hoch, noch einen runterschalten.“ Michael Jung nahm sein Ausscheiden am letzten Wasser, als Chipmunk nicht auf den Hufen, sondern eher auf Fesselbein, bzw. Vorderröhre landete und seinen Reiter so aus dem Sattel ins Wasser katapultierte, gelassen. „Pech“, sei das, „da ist er einfach gestolpert, eingeknickt.“ Am Boden habe es an dieser Stelle nicht gelegen. Wichtig: Chipmunk ist fit. Auch Nicolai Aldinger und Timmo, die das Schicksal am Aussprung des Coffin ereilte, verließen auf ihren Füßen das Areal. Gleichmäßig belastend, aber eben nur deutlich früher als geplant. Und sechs statt vier Füße „gegroundet“. Eine Kombination aber hat heute das Feld deklassiert. Die Britin Rosalind Canter und ihr Grafenstolz-Sohn Lordships Graffalo, besser bekannt als Walter. Dass Walter alles kann, hat er mit seinem Badminton-Sieg bei deutlich besch … Wetter schon im Frühjahr bewiesen. Aber wie die beiden über diesen Geländekurs flogen, das war schon bemerkenswert. „Wenn du ihm Bein gibst, streckt er sich und sein Galoppsprung wird länger und flacher, wenn du dich aufrichtest, weil ein Sprung kommt, wird er groß und kommt aufs Hinterbein“, sagte Rosalind Canter. „Er hat wirklich das Beste aus beiden Welten“ – „the best of both worlds“. Ich finde ja eher überirdisch. Wobei ich Walter schöner finde als E.T. oder Alf. Ohne die schwarz-rot-goldene Brille auf der Nase zu haben, muss man sagen, dass es an diesem Tag im Haras du Pin nur eine gab, die Rosalind Canter den Stilpreis (den es nicht gibt) hätte streitig machen können, Sandra Auffarth. Wie hieß es gestern? „Tomorrow is another day”. Eben. Und der hat gerade angefangen, wieder mit einem beinahe kitschigen Morgenrot. Und früh. Denn um neun Uhr steht die Verfassung an. Gestern haben fast alle, die Ahnung von diesem Sport haben, gesagt, man würde sehen, wie gut die Pferde die Bodenverhältnisse wegstecken würden. Wollen wir hoffen, dass sie Recht hatten. |