Wie konnte es dazu kommen? Schach ist ein Spiel, das nicht mit homogenen Steinen gespielt wird, sondern mit Figuren. Gilbert K. Chesterton hat sich deshalb einmal gegen die Phrase gewendet, Schachspieler verfielen leicht dem Wahnsinn. Das passe viel besser zu Damespielern, die auf dem Brett nur mit austauschbaren Steinen hantieren, was in eine erzählungslose Logik hineinziehe und in die pure Rechenarbeit. Im Schach sind die Figuren hingegen Bedeutungsträger, heißen „König“ und „Dame“, „Türme“, „Läufer“, „Springer“ und „Bauer“. Jede Figur muss unterschiedlich gezogen werden. Der König kann sich jeweils nur ein Feld weit bewegen, die Bauern können nicht zurücklaufen, der Springer zieht in jeder Richtung einen Schritt voran und quer übers Eck. Das führt zu erheblichen Komplikationen und zur ständigen Überprüfung, in welcher Lage sich die Spieler gerade befinden. Jede Situation auf dem Brett hat einen eigenen Charakter. Weswegen die besten Spieler auch nicht immer diejenigen sind, die am weitesten rechnen können, sondern oft die mit dem besten Stellungsgefühl.
Jürgen Kaube
Herausgeber.
So wie im Roman, so wie im Leben. Man kann nicht beliebig weitermachen, muss sich aber doch in so viele Richtungen entscheiden, da es in jeder Lage unklar ist, worin die besten Fortsetzungen bestehen. Der Schachcomputer kann sie ausrechnen, aber unter Menschen herrscht meist Ungewissheit über den besten Zug. Darum gewinnt, nach einem Bonmot des geistreichen Savielly Tartakower, der vorletzte Fehler.
Die Literaturgeschichte ist voller Bücher über Schach und das Streben nach fokussierter Perfektion, zu dem es anhält, von Stefan Zweigs „Schachnovelle“ über „Lushins Verteidigung“ von Vladimir Nabokov bis zu Fernando Arrabals „Hohe Türme trifft der Blitz“ und Thomas Glavinics „Carl Haffners Liebe zum Unentschieden“. Umgekehrt werden immer wieder Schachbücher veröffentlicht, die romanhafte Titel tragen wie zuletzt Willy Hendriks „Der Tintenkrieg“ (The Ink War) über die Rivalität zwischen Wilhelm Steinitz und Johannes Zukertort, den beiden besten Spielern am Ende des neunzehnten Jahrhunderts.
Sie müssen nicht selbst gut Schach spielen können, um all diese Werke oder jedenfalls eines davon mit Gewinn zu lesen. Vielleicht geht dazu der Reiz von Toussaints Buchs aus, das wir, wie alle seine in schwebender Stimmung geschriebenen, nur empfehlen können. Bis zu den Osterferien ist es ja nicht mehr lange hin.
Auf die neue Direktorin warten mehrere große Herausforderungen: Die Zukunft der Leipziger Buchmesse steht auf der Kippe. In dieser Woche muss sie zeigen, wofür sie steht. Von Andreas Platthaus
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Als mein Roman vor zwei Jahren erschien, wirkte der Überfall Russlands auf die Ukraine auf unerwartete Weise in den Roman hinein. Jetzt ist er ins Russische übersetzt worden. Darf das sein? Ein Gastbeitrag. Von Rayk Wieland
Wolfgang Ainetter war drei Jahre lang Pressesprecher des damaligen Verkehrsministers Andreas Scheuer. Jetzt hat er einen Krimi geschrieben. Natürlich ist alles fiktiv. Jedenfalls fast alles. Von Corinna Budras
Jede Woche fragen wir Menschen aus dem Kulturbetrieb, was sie lesen und welches Buch in ihrem Schrank sie ganz bestimmt nicht lesen werden. Diesmal antwortet der Politiker und Autor Klaus Lederer.
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Fünfzehn Titel waren im Rennen: je fünf in den Sparten Belletristik und Essay, Sachbuch und Übersetzung. Heute sind die Gewinner der Preise der Leipziger Buchmesse verkündet worden: Barbi Markovic, Ki-Hyang Lee und Tom Holert. Von Andreas Platthaus
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Bildung als Ideal und Arbeitsleistung, aus italienischer Anschauung und in englischem Geist: Der Frankfurter Historiker Notker Hammerstein ist im Alter von 93 Jahren gestorben. Von Gerrit Walther
Die ARD-Serie „Kafka“ erzählt kein Dichterleben, sondern nähert sich Werk und Vita einfallsreich und multiperspektivisch. Das ist erfrischend kühn, literaturhistorisch genau und bestechend in der Form. Von Sandra Kegel
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Roman oder Manifest? Auf jeden Fall Furcht und Zittern: Teju Coles neues Werk „Tremor“ bescheinigt der westlichen Kultur eine auslöschende Arroganz. Sein Erzähler muss das Leid der ganzen Welt tragen. Von Jan Wiele
Der unübertroffene Meister der politischen Lyrik: Ein Gedicht über die schreckliche Einsicht, dass fast alle Menschen fast allen Menschen fast alles antun. Von Ulrich Greiner
In dem Buch „Ich wäre gern ein Baum“ bringt die Zeichnerin Hannah Brückner die Kindheitsidylle der Autorin Andrea Hensgen in Bewegung. Von Christian Geyer
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