Liebe/r Leser/in, mit Trümmern kennen sich Frauen ja aus. Alles zerbirst, und sie holen die Schaufel. Sind sie gar historisch darauf abonniert? Weil sie erst, wenn es so richtig splittert und staubt, ihre ganze Kraft entfalten? Das ist natürlich Blödsinn. Doch es fällt auf, dass Frauen, gerade wenn es unsicher oder irre wird, in die erste Reihe treten. Man denke an Angela Merkel: die Herrenriege der ramponierten CDU zu feige und sie ruchlos genug für den Sprung. Oder Andrea Nahles: die SPD ein Jammertal und sie dankbar für die gnädige Chance. Und jetzt also Kamala Harris: ihr alter Chef weltöffentlich längst am Ende, und sie lacht die Schmähungen einfach weg und Trump beim TV-Duell in Grund und Boden. Die eine wurde Kanzlerin, die zweite verschwand irgendwann gedemütigt in der Kulisse, die dritte weiß noch nicht, wie’s ausgeht – doch alle drei Frauen eint, dass sie an einem Tiefpunkt großer Institutionen die Führung übernahmen. An dieses altbekannte Modell Trümmerfrau musste ich denken, als ich Anfang September den erstaunlichen Auftritt der Daniela Cavallo sah. Die mächtigste Betriebsrätin Deutschlands, 49 Jahre alt, Kind eines italienischen Einwanderers und seit 30 Jahren im VW-Konzern, stellte sich in Wolfsburg vor die Mikrofone, das Pfeifkonzert der Belegschaft hatte gerade die Bosse zum Schweigen gebracht, und Frau Cavallo sprach den schlichten Satz: „Wenn man von Familie spricht, lässt man niemanden zurück.“ Da war sie – eine neue Trümmerfrau alten Formats. Die Brocken, die vor ihr liegen, könnten jeden erschlagen: ein abgehängter Weltkonzern mit aufgeblähten Strukturen und ohne glaubhafte Zukunftsstrategie. Eine rundum sorglos gepamperte Belegschaft mit traditionellem Anspruch auf Wohlstand und Stolz. Außerdem Angst, Enttäuschung und Zorn. Der VW-Vorstand hat die 30 Jahre währende Beschäftigungssicherung am Dienstag gekündigt. Standorte könnten geschlossen werden. Hunderttausende in weiten Gegenden Deutschlands quält der Albtraum, dass die Ahnung der eigenen Schwäche endgültig Gewissheit wird. Viele Jahre lang klang der Begriff „Gewerkschaft“ nach 80er-Jahre-Minipli und merkwürdigen Mai-Märschen. Doch in diesen Tagen des Niedergangs, in denen Fachkräftemangel immer größere Lücken in Handwerk, Handel oder Hospitäler reißt, zieht zugleich eine Krise in der deutschen Industrie herauf, die bestbezahlte Jobs und ganze Branchen bedroht. Es wäre naiv anzunehmen, es handele sich dabei um ein einfaches Nullsummenspiel. Es ist eher wie Tetris auf Profi-Niveau. Wie kann man es lösen? Meine Kollegen Thomas Schmidtutz und Peter Steinkirchner haben nun die drei mächtigsten Arbeitnehmervertreterinnen der Republik an einen Tisch gebracht: VW-Betriebsrätin Daniela Cavallo, IG-Metall-Chefin Christiane Benner und DGB-Chefin Yasmin Fahimi – Trümmerfrauen, die in den kommenden Jahren Millionen Menschen durch Auseinandersetzungen, Verluste und Veränderungen bringen müssen. Den Unternehmen rufen sie zu: „Es muss Schluss sein mit dem Gejammere.“ Und kündigen an: „Wir werden uns wehren, mit allem, was wir haben!“ Wie gut sie Tetris spielen? Wir werden es erleben. |