Sehr geehrte Damen und Herren, | | Jacques Schuster Chefkommentator |
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| seit fünf Jahren leben die Europäer in einem beständigen Krisen- und Ausnahmezustand. Seinen Ursprung hat er in der Flüchtlingskrise 2015. Heute nun stellt die Europäische Kommission ihren Plan vor, wie sie den Andrang von Menschen aus Asien und Afrika bewältigen will, der nicht abebbt. Es ist höchste Zeit dafür, denn in Europas Flüchtlingskrise zeigt sich bis heute jeden Tag die Schwäche der EU in brutaler Klarheit: ihre Mitglieder berufen sich auf Solidarität meistens nur dann, wenn sie diese selbst dringend nötig haben. Ansonsten denkt jeder munter an sich selbst. Hinzu kommt der Eigentümerreflex. Die alten Mitglieder wie Deutschland und Frankreich sind noch immer geneigt, die EU mit einem Zug zu verwechseln, in dem sie der Lokführer sind. Die neuen Mitglieder wie Polen und Ungarn dürfen brav ihre Waggons anhängen, ohne die Richtung zu bestimmen, ohne aussteigen zu können oder die Notbremse zu ziehen. Mit diesem schiefen Verständnis aber wird aus der Vielheit keine Einheit. Schlimmer noch: auf diese Weise kommt es zum Kalten Krieg. Einem innereuropäischen! Kann die EU-Kommission ihn mit ihrem Reformplan beenden? Einige ihrer Ideen sind zumindest hilfreich. Geht es nach der Kommission, muss künftig nicht jeder Staat in der Flüchtlings- und Migrationskrise dasselbe leisten. Wenn also Berlin Migranten aufnimmt, Budapest aber nicht, muss sich Budapest stärker als bisher um die Abschiebung illegal Eingereister kümmern oder mehr Geld für den Grenzschutz geben. Auch soll künftig ein Abschiebe-Koordinator mit einer eigenen Task Force die gemeinsame Abschiebepolitik der EU koordinieren. Entscheidend ist: Einen automatischen Verteilmechanismus soll es nicht geben. Vielmehr sollen die Bedürfnisse der einzelnen EU-Mitglieder im Auge behalten werden. Man kann diese Ideen nur loben. Werden sie die Flüchtlingskrise beenden? Nicht einmal die radikalste Politik würde dies schaffen. Immerhin aber könnte der neue Plan der EU zeigen, dass Europa in der Lage ist, auf große Herausforderung wirkungsvoll zu reagieren. Wird der Plan der Kommission verwirklicht werden? Wann in der Geschichte der EU ist jemals schon ein Vorhaben eins zu eins umgesetzt worden? Es wird Kompromisse geben. Aber nur so geht es im Kreis von 27 Partnern. Wie sagte der französische Politiker Aristide Briand? „Ein Kompromiss ist dann vollkommen, wenn alle unzufrieden sind.“ Was den Tag heute bestimmt, darüber berichtet für Sie jetzt aus dem WELT-Newsroom meine Kollegin Judith Mischke. |
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WAS HEUTE SCHLAGZEILEN MACHT |
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Quelle: Christin Klose/dpa-tmn |
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Global Wealth Report: Wohlstand ist trotz Corona gestiegen |
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Das globale Geldvermögen legt 2020 während der Pandemie zu, sagt der heute Vormittag veröffentlichte Wohlstandsreport der Allianz voraus. Die Allianz-Experten beziffern das in Aktien, Anleihen, Fonds oder anderweitig investierte oder deponierte Geld auf einen Gesamtwert von zuletzt (im zweiten Quartal) rund 195 Billionen Euro. Damit liegen die Vermögen 1,5 Prozent höher als Ende vergangenen Jahres, und auch für das Gesamtjahr 2020 wird trotz der Rezession mit großer Wahrscheinlichkeit eine Steigerung gesehen. Covid-19 hat die Weltwirtschaft zwar in den heftigsten Abschwung seit 100 Jahren gestürzt, zugleich haben die Zentralbanken und Finanzbehörden jedoch beispiellose Hilfspakete aufgelegt, die sich nicht selten darin äußerten, dass Erwerbstätige Geld hatten, auch wenn sie nicht oder weitaus weniger arbeiteten als in normalen Zeiten. Auch Unternehmen wurden gestützt. „Im Moment hat die Geldpolitik die Vermögen gegen Corona quasi immunisiert“, sagte Ludovic Subran, Chefökonom der Allianz. |
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Bundesregierung billigt Erneuerbare-Energien-Gesetz |
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Das Bundeskabinett hat den neuen Entwurf des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) verabschiedet. Das Gesetz regelt den beschleunigten Ausbau von Wind- und Solarenergie und soll sicherstellen, dass bis 2030 mindestens 65 Prozent des Stromverbrauchs durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Dies soll jetzt schärfer als zuletzt vorgesehen kontrolliert werden: So schreibt das Gesetz jährliche Strommengen jeweils für Solar-, Biomasse sowie Wind an Land und auf See fest. Zudem passierten auch Eckpunkte zur Entlastung der Industrie von der für 2021 geplanten CO2-Abgabe das Kabinett. |
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Leopoldina empfiehlt dringlich einheitliche Corona-Regeln |
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Vor der nächsten Beratung von Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten der Länder hat nun die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina einheitlichere Regeln in Deutschland angemahnt. „Mit Blick auf eine mögliche angespannte Situation im Herbst und Winter sollten bundesweit einheitliche Regeln und Eskalationsstufen für Schutzmaßnahmen definiert werden, die je nach regionalem Infektionsgeschehen greifen“, heißt es in einer Stellungnahme. Ziel müsse es auch bei steigenden Neuinfektionszahlen bleiben, das öffentliche und wirtschaftliche Leben aufrecht zu erhalten und die Schließung von Bildungseinrichtungen zu vermeiden. Die Wissenschaftler appellieren an die Politik, bei allen Schutzmaßnahmen „differenzierter als bislang“ die Rechte Betroffener, etwa in Pflegeeinrichtungen, zu wahren und ihre sozialen Bedürfnisse angemessen zu berücksichtigen“. |
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Razzien bei Fleischfirmen wegen illegaler Leiharbeit |
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In fünf Bundesländern sind am Morgen mehr als 40 Wohn- und Geschäftsräume durchsucht worden. Es geht um illegale Einschleusung von Leiharbeitern aus Osteuropa für die deutsche Fleischindustrie. Rund 800 Beamte sind schwerpunktmäßig in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen im Einsatz, sagte ein Sprecher der Bundespolizei Mitteldeutschland. Weitere Durchsuchungen gebe es in Berlin, Sachsen und Nordrhein-Westfalen. Die beschuldigten Firmen sollen Menschen aus Osteuropa mit gefälschten Dokumenten nach Deutschland geholt haben. Seit April 2020 führt eine Sonderkommission Ermittlungen dazu durch. |
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UN-Generaldebatte: Trump attackiert China |
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US-Präsident Donald Trump hat schwere Vorwürfe gegen China erhoben und das Land für die weltweite Ausbreitung des Coronavirus verantwortlich gemacht. „Wir müssen die Nation zur Rechenschaft ziehen, die diese Seuche auf die Welt losgelassen hat – China“, sagte Trump in einer aufgenommenen Videobotschaft für die Vollversammlung der Vereinten Nationen (UN). Die Regierung in Peking habe die weltweite Ausbreitung des „China-Virus“ nicht gestoppt, so Trump. Chinas Präsident Xi Jinping konnte in seiner ebenfalls per Video ausgestrahlten Botschaft nicht direkt auf Vorwürfe aus den USA eingehen. „Große Länder sollen sich auch wie große Länder benehmen“, sagte Xi – wohl in Richtung der USA. |
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WORÜBER HEUTE DISKUTIERT WIRD |
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Quelle: Sebastian Gollnow/dpa |
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Wer kontrolliert und setzt die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen durch? Mit dieser Frage beschäftigt sich heute ein runder Tisch, zu dem das Bundesverkehrsministerium geladen hat, um eine einheitliche und effektive Regelung zu finden. Mit dabei sind Vertreter von Polizei, Gewerkschaften, Ländern und Kommunen. Das Problem: Bisher will niemand die Verantwortung für Kontrollen übernehmen. Die Verkehrsminister der Länder haben die Bundesregierung aufgefordert, die Bundespolizei zum Einsatz zu verpflichten. Die Ministerpräsidenten der Länder hatten prüfen lassen, ob für Maskenverweigerer ein erhöhtes Beförderungsentgelt fällig werden könnte. Damit wäre es Aufgabe von Schaffnern und Busfahrern, die Maskenpflicht durchzusetzen. Die Bundespolizei signalisiert Bereitschaft, sieht sich aber auch nicht wirklich in der Pflicht: „Weder das Bahnpersonal, noch die Bundespolizei dürfen Bußgelder verhängen, wenn Reisende der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nase-Schutz nicht Folge leisten,“ ließ die Bundespolizei in der vergangenen Woche verlauten. Sie verwies auf die „eindeutige“ Rechtslage, die „diese Aufgabe den Ländern und ihren Gesundheitsämtern“ zuordnet. Bisher könne die Bundespolizei daher lediglich helfen, das „Hausrecht“ der Verkehrsbetriebe durchzusetzen – also Maskenverweigerer rauszuschmeißen. Allein in der letzten Woche hätte sie 15.000 Reisende „ermahnt". Des Zuges verweisen, so verfährt derzeit auch die Deutsche Bahn. Wer sich standhaft weigert, eine Maske zu tragen, muss an der nächsten Station aussteigen. Allerdings: In den Beförderungsbedingungen ist eine Maskenpflicht nicht festgeschrieben. Die wird von den Gewerkschaften gefordert, damit Zugbegleiter eine Handhabe bekommen. Eine Lösung zu finden, wird nicht einfach. Sie ist aber dringend erforderlich, denn im Herbst und Winter werden wieder mehr Menschen öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Wenn also die geplanten Fieberambulanzen von Minister Jens Spahn nicht überlaufen sollen, ist die Durchsetzung der Maskenpflicht im Nah- und Fernverkehr wohl unerlässlich. | |
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WAS HEUTE NOCH WICHTIG WIRD |
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Quelle: Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa |
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Elon Musk will ein Tesla E-Auto zum Schnäppchenpreis auf den Markt bringen – das zudem voll autonom fahren kann, wie Dienstagabend bekannt wurde Gebaut werden könnte dieses Modell – zumindest in Teilen – in seiner neuen Giga-Fabrik in Brandenburg unweit Berlins. Bei einer Anhörung des Landesumweltamts ist heute jedoch erst einmal die große Stunde der Kritiker dieses Bauprojekts. 406 Einwendungen gegen das Projekt sind bisher eingereicht worden, die meisten von Umwelt- und Naturschützern, aber auch Anwohnern. Kritisiert wird unter anderem der hohe Wasserverbrauch der Fabrik und die Abrodung des Waldes. |
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Quelle: Reuters/ Instagram |
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Der vergiftete Kremlkritiker Alexej Nawalny ist aus der Berliner Charité entlassen worden, wie das Krankenhaus am Mittwochmorgen mitteilte. Der Gesundheitszustand Nawalnys habe sich „soweit gebessert, dass die akutmedizinische Behandlung beendet werden konnte“. Die behandelnden Ärzte halten eine vollständige Genesung für möglich. | |
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Ich wünsche Ihnen einen anregenden Tag. Jacques Schuster Chefkommentator | |
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MEINE WELTPLUS-EMPFEHLUNGEN FÜR SIE |
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EUROPAS FLÜCHTLINGE DIE DREI MYTHEN DER MIGRATION Die Debatte über Moria hat bewiesen, wie stark die Suche nach einer realistischen Flüchtlingspolitik von Illusionen geprägt ist. Zum Artikel | |
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ARMUT UND AUSWANDERUNG „IN DEN SELTENSTEN FÄLLEN BRINGT MIGRATION MEHR WOHLSTAND" Dominik Ziller, Leiter der UN-Sonderorganisation IFAD, hat einen differenzierten Blick auf das Thema Migration. Zum Artikel | |
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MADELEINE ALBRIGHT „ICH HOFFE AUF EINEN AUFSTAND DER ANSTÄNDIGEN" Madeleine Albright war die erste Frau, die US-Außenministerin wurde. Ein Gespräch über den aktuellen Wahlkampf – und ihre Angst vor einem Krieg mit China. Zum Interview | |
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