lange haben sich die Deutschen mit der Frage schwer getan, ob Stauffenberg überhaupt ein Vorbild sein könne. Doch Russlands Krieg gegen die Ukraine verändert auch hier unsere Perspektive. Das Verhältnis zum Militärischen wird in Deutschland heute zumindest diskutiert; Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet, bis 2021 noch undenkbar, finden heute statt. „Es ist an der Zeit, die einbetonierten Pfade der Geschichtserzählung zu verlassen und mit den Problemstellungen der Gegenwart auch unbequeme Fragen an die eigene Geschichte und damit an uns selbst zu richten“, schreibt der Historiker Ulrich Schlie zum diesjährigen Gedenken an den 20. Juli 1944. Insofern sei es ein Glücksfall, dass die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja die diesjährige Gedenkrede zum 20. Juli in Plötzensee gehalten hat. Denn: „Sie hat den Kern der Botschaft der Geschichte Stauffenbergs zutreffend erfasst und mit ihren Worten einen überfälligen Bogen in die Gegenwart gespannt, indem sie von ihrer eigenen Geschichte erzählt – der Geschichte der Unterdrückung des belarussischen Volkes durch einen Diktator, der das Recht mit den Füßen tritt.“ Vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs stellt sich natürlich auch die Frage neu, was eigentlich der Begriff einer „wertegeleiteten Außenpolitik“ bedeuten soll. Diese hat sich bekanntlich die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen. Doch jetzt zeigt sich: Deutschland braucht erstmal eine innen- wie außenpolitische Inventur. Das Ziel sollte sein, so Thomas Jäger in seinem heutigen Essay, eine wertegeleitete Innenpolitik mit einer kompetenten Außenpolitik zu verbinden. Na dann: Glück auf! Falls Sie demnächst einen Besuch in unserer schönen Hauptstadt planen: Machen Sie lieber einen Bogen um die Friedrichstraße! Der ehemals prächtige Boulevard wurde nämlich von der örtlichen Stadtplanung konsequent in eine piefige Fußgängerzone verwandelt, die nicht einmal mehr für Fußgänger attraktiv ist. Einst siedelten Geschäfte und populäre Gasthäuser entlang der Meile. Doch wo damals Grimms Zigarrenladen war, gibt's heute Coffee to go im „Little Green Rabbit“. Und wo früher das Warenhaus Quartier 205 von Ungers lockte, finden sich heute Firmenbüros und Luxusapartments. An und auf der Friedrichstraße ist das umtriebige Berliner Leben längst erloschen – und unser Kunstkritiker Beat Wyss macht endgültig das Licht aus. Ihr Alexander Marguier, Chefredakteur |