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Tagesspiegel Checkpoint vom Freitag, 18.11.2022 | Leichter Schneefall, Wind und Wolken knapp über dem Gefrierpunkt. | ||
+ Giffey schweift rhetorisch ab und Geisel klebt an seinem Senatorensitz + Was die Welt über das Berliner Wahldebakel denkt + Frauen in Berlin häufiger von Gewalt betroffen als 2021 + |
von Nina Breher |
Guten Morgen, Einen Tag nach dem Urteil des Landesverfassungsgerichts (Wiederholungswahlen am 12. Februar, save the date) begann die politische Aufarbeitung der für ungültig erklärten Wahlen. Oder etwa nicht? Am Donnerstag trat die Regierende Franziska Giffey (SPD) vor das Abgeordnetenhaus. Es gehörten Mut und rhetorisches Geschick dazu, eine Erklärung über einen Fehler des SPD-geführten Berliner Senats (alt) zu einer über die größten Erfolge des SPD-geführten Berliner Senats (neu) zu machen. Genau das aber gelang Giffey: „Die Verantwortung lastet auf vielen Schultern“, sagte sie und entschuldigte sich nicht. „Senat und Bezirke“ würden „gemeinsam Verantwortung“ tragen, diesmal werde es besser laufen. Na, immerhin. Der folgende, längste Redeteil war ein Lob des Senats – begonnene Projekte, Krisenbewältigung und so weiter: Verklärung, Wahlkampf und Eigenwerbung statt Erklärungen und einer Debatte über politische Verfehlungen und Konsequenzen. Dazu passte, dass der Name des damaligen Innsenators (politisch verantwortlich) und jetzigen Bausenators Andreas Geisel (SPD) erst im Redebeitrag von CDU-Fraktionsvorsitzendem Kai Wegner fiel. Nach Wegners Rede gab es keinen Zweifel mehr, dass das Abgeordnetenhaus wieder Wahlkampf-Kolosseum ist („Aus ‚arm, aber sexy‘ ist ‚unglaublich, aber wahr‘ geworden.“) Und Geisel? Der saß, etwas angespannt, auf seinem Stuhl, wohl wissend, dass er gerade eine Gelegenheit verstreichen lässt, zurückzutreten. Später erklärte er: „Ich nehme Verantwortung wahr, indem ich arbeite.“ Und: „Wahr ist eben auch: Das ist keine Frage, die an einer einzelnen Person hängt.“ Vor allem nicht an seiner. Bitte gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen. | |||||
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Oder etwa doch? Die Berliner Landespolitik bemüht sich zwar redlich, Wahlkampf-Staub aufzuwirbeln, der das Versagen unkenntlich macht. Aber die Welt blickt auf Berlin. Was internationale Medienvertreter sagen: +++ UK: „Als wäre der Flughafen nicht schon genug, haben wir jetzt auch noch schriftlich, dass Berlin (das Land) nicht einmal eine ordentliche Wahl organisieren kann.“ („Economist“-Redakteur Christian Odendahl/Twitter) +++ USA: „Während einige Menschen für ihr Recht auf freie Wahlen sterben, ist die Hauptstadt der größten europäischen Volkswirtschaft nicht mehr in der Lage, Wahlen zu organisieren.“ (Bojan Pancevski, Deutschland-Korrespondent des „Wall Street Journal“/Twitter) +++ Schweden: „Berlin ist manchmal eine Parodie auf sich selbst. (…) Lektion gelernt: Veranstalten sie am Wahltag keine Marathons (…).“ (Arvid Jurjaks, schwedischer freier Journalist/Twitter) +++ Frankreich: „Ein guter Weg, das Vorurteil des ‚deutschen Ordnungssinns‘ zu zerstören ;)“ (Christian Moritz, Biomediziner aus Saint-Étienne/Twitter) Checkpoint-Urteil: autsch. | |||||
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Naja, blicken wir halt nach vorne. Die Vorbereitungen für Berlins Zweitversuch am 12. Februar laufen bereits auf Hochtouren. Einen Turboantrieb braucht es möglicherweise trotzdem. Laut Landeswahlleiter Stephan Bröchler könnte sich der Bedarf von derzeit anvisierten 43.000 Wahlhelfer*innen auf bis zu 80.000 erhöhen (je nach Auslegung des Verfassungsgerichtsurteils). Die Entscheidung trifft er mit den Bezirkswahlleitern in den kommenden 14 Tagen. Das sagte Bröchler im Checkpoint-Podcast „Berliner und Pfannkuchen“. Das ganze Interview hören Sie in der neuen Folge heute ab 14 Uhr, überall, wo es Podcasts gibt. Falls Sie schon immer eine*r von 43-80.000 sein wollten: Die Anmeldung für Wahlhelfende ist geschaltet: Hier können Sie sich bereit erklären. Die gute Nachricht für alle, die in den Wahllokalen zum Einsatz kommen: Sie erhalten 240 Euro – am Ende ihrer Schicht, damit auch keiner zu früh geht (für die vorherige Schulung soll es 20 bis 25 Euro obendrauf geben). Angestellte des öffentlichen Dienstes können sich zwischen Erfrischungsgeld und drei freien Tagen entschieden. | |||||
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Berlin wäre nicht Berlin, wenn es bei nur einer Wahlwiederholung bleiben würde. Nein, die Hauptstadt wählt gleich zweimal neu. „Die Wahltermine auf Landes- und Bundesebene können nicht zusammengelegt werden“, teilte Bundes-Wahlleiter Georg Thiel am Donnerstag mit. Für Bundes-Wahlwiederholung in 432 Berliner Wahlbezirken wird es also einen zweiten Termin geben. Es kommentiert Leser Carl-Wolfgang H.: „Haben die Wahlvorgänge nicht parallel an einem Tag stattgefunden?“ Kann man, fragt er – offensichtlich philosophisch begabt –, ordentlich und unordentlich zugleich wählen, „zur selben Zeit am selben Ort“? Checkpoint-Servicedurchsage: Klar, in Berlin geht das. | |||||
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Berlin, Stadt der Superlative. „Eine komplette Wahlwiederholung, weil eine Regierung es nicht kann, das hat es in Deutschland noch nie gegeben“, sagte Kai Wegner (CDU) am Donnerstag in seiner wahlkampfschäumenden Rede im Abgeordnetenhaus. Der Blick in die Geschichtsbücher kann trösten. Es ist nicht die erste für ungültig erklärte Wahl auf Landesebene: 1992 erklärte das Hamburgische Verfassungsgericht eine Hamburger Landeswahl für ungültig – und zwar wegen der CDU, der das Verfassungsgericht damals „schwerwiegende Demokratieverstöße“ attestierte (Q: „Welt“), allerdings innerparteiliche. | |||||
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Die Temperaturen in Berlin fallen auf bis zu minus fünf Grad (Freitag) und minus sechs Grad (Samstag). Für Wohnungslose ist das lebensgefährlich. Hier die einschlägigen Nummern: +++ Kältebus (20-2 Uhr): 030 690 333 690 +++ Wärmebus (18-24 Uhr): 030 600 300 1010 +++ Karuna-Bus (8-16 Uhr): 0157 86 60 50 80 +++ Kältehilfe-Telefon (19-23 Uhr): 030 34 39 71 40 +++ Hilfe-Hotline für obdachlose Menschen (Mo-Fr, 9-17 Uhr): 0157 80 59 78 70 +++ corona-infizierte Wohnungslose finden Hilfe in der Quarantänestation: Bundesallee 36/37 in ChaWi, 0152 11 45 13 85 oder 0152 11 54 50 72 Wer eine Wohnung hat und trotzdem frieren muss, etwa wegen der Energiepreise, findet tagsüber in Bibliotheken Zuflucht. Elf Bibliotheken haben ihre Wochenend-Öffnungszeiten bis Ende Dezember erweitert: vier in Pankow, vier in Reinickendorf und drei in Tempelhof-Schöneberg. Auch weitere Einrichtungen sind beteiligt. Hier geht’s zur Online-Karte des „Netzwerks der Wärme“. | |||||
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