Glanz und Elend der Zocker-Rally
Glanz und Elend der Zocker-Rally von Torsten Ewert Derzeit läuft eine Zocker-Rally, vor allem an den US-Börsen. Deren Perspektiven erscheinen nun verheißungsvoll. Aber wehe, wenn sich diese Verheißungen nicht erfüllen... Wie man eine Zocker-Rally erkennt In meinen Börsenbriefen „Aktien-Perlen“ und „Geldanlage-Brief“ weise ich schon seit Wochen darauf hin, dass die jüngste Rally zu einem Gutteil eine Zocker-Rally ist. Mit dem Ausbruch auf neue Allzeithochs bei S&P 500 und Nasdaq 100 könnte diese Zocker-Rally nochmals Fahrt aufnehmen. Dabei darf aber nichts schiefgehen, sonst können die Kurse genauso schnell purzeln. Aber wieso schreibe ich die jüngste Rally irgendwelchen Zockern zu? Weil die Indizien dafür nahezu überwältigend sind. Also: Wie erkennt man eine Zocker-Rally? Zocker kümmern sich nicht um irgendwelche fundamentalen, geopolitischen oder geldpolitischen Fakten. Es gibt zwar News-Trader, aber die meisten Zocker - vor allem die unerfahrenen – handeln aufgrund einfachster charttechnischer Signale. Das allereinfachste ist ein Ausbruch auf ein neues Hoch. Dieses Signal erkennen auch die Dümmsten; hier gibt es keine zwei Meinungen – Ausbruch ist Ausbruch! Eine andere Strategie ist „Buy the dip“, die Sven Weisenhaus hier in den vergangenen Wochen immer wieder erwähnt hat. Hier sind die Signale nicht ganz so eindeutig, aber es gibt ebenfalls einfache Hilfsmittel, um Umkehrpunkte zu erkennen. (Und solange nur genug Zocker dabei mitmachen, ist es auch egal, welchem Signal man konkret folgt – die Kurse steigen irgendwann schon wieder…) Nach der Pause kann es weitergehen Im DAX ist Anfang Juni die „Ausbruchsstrategie“ gescheitert. Den neuen Hochs folgten keine Anschlusskäufe mehr, die Kurse schmierten wieder ab. Die Positionen der Zocker liefen also in die Stopps; neue Signale (Ausbrüche) gab es dann nicht mehr. Für „Buy the dip“ war die Zeit aber noch nicht reif. Und da so die Käufer fehlten, sackte der DAX ab. Auch eine Zocker-Rally macht also mal Pause! Doch zeitgleich nahm in den USA die Tech-Rally wieder Fahrt auf; auch darauf hat Sven Weisenhaus hier schon mehrfach hingewiesen. Das ist ebenfalls ein typisches Zeichen einer Zocker-Rally: Es gibt Mode-Aktien, auf die sich alle stürzen. Bei ihnen funktionieren die Signale besonders gut, weil alle zugleich dasselbe sehen und darauf traden. Und für Trader ist es sehr sinnvoll , bei dem zu bleiben, was funktioniert – egal, ob es eine Strategie oder ein Basiswert ist. Spätestens mit den frischen Hochs beim Nasdaq 100 und S&P 500 in der Vorwoche bekommen nun auch die Ausbruchs-Zocker wieder ihre Chance. Wenn sie also wieder verstärkt auf den fahrenden Zug aufspringen, könnten die Kurse – anders als im DAX Anfang Juni – weiter gepusht werden. Die (Zocker-)Rally würde also weitergehen. Die Zocker werden langsam übermütig Es gibt aber natürlich auch ein paar Gefahrensignale. Das wichtigste: Die Zocker werden langsam übermütig. Ein Indiz dafür ist zugleich de facto der Beweis, dass und wie die Börsen von den Zockern dominiert werden. Bereits seit längerem zocken vor allem unerfahrene Trader in den USA zunehmend mit kurzlaufenden Optionen. (Zum Hintergrund: Da in den USA die hierzulande so beliebten Derivate, wie Optionsscheine, Knockouts und sonstige Zertifikate verboten sind, müssen/können auch Privatanleger direkt mit Optionen handeln. Diese sind dafür – anders als hierzulande – auch für Private leicht und günstig zugänglich und vor allem bei großen Standardwerten sehr liquide.) Wie vieles, was an den Märkten in den vergangenen Monaten und Jahren auffällig geworden ist (z.B. die „Magnificent 7“), begann diese Zockerei in der Corona-Pandemie, als viele in den Lockdowns die Börse entdeckten. Der Spieltrieb, der durch leicht bedienbare Smartphone-Apps mit niedrigen Einstiegshürden (und geringen Gebühren der sogenannten Neo-Broker) geweckt wurde, führte in den USA zum Handel mit sogenannte 0DTE-Optionen. „0DTE“ das Kürzel für den ultimativen Weg zum Reichtum? 0DTE steht für „zero days to expiry“, also null Tage bis zum Verfall. Derart kurzlaufende Optionen sind de facto ein Münzwurf: In einer Minute sind sie noch etwas wert, in der nächsten nicht mehr – je nachdem, wie sich der Kurs in der Zeit bis zum Verfall entwickelt. Die Krux ist jedoch, dass auch hier Angebot und Nachfrage wirken. Wenn sich also viele Zocker auf diese Optionen stürzen, steigen deren Kurse. Doch Optionen, die verfallen, haben am Ende einen bestimmten, festgelegten Wert – und zwar genau die Differenz zu ihrem Basispreis (sofern sie sie nicht ohnehin wertlos verfallen). Eine Call-Option, deren Basispreis 100 Dollar beträgt, ist genau 1 Dollar Wert, wenn der Kurs der betreffenden Aktie, auf welche die Option ausgegeben wurde, zum Verfallstermin bei 101 Dollar steht. Wer aber diese Option aufgrund der hohen Preise infolge hoher Nachfrage zuvor „dummerweise“ für 2 Dollar gekauft hat, macht also trotzdem einen Verlust, obwohl die Spekulation letztlich aufgegangen ist (weil die Option immerhin nicht wertlos verfiel, was bei Kursen unter 100 Dollar der Fall gewesen wäre). Die einzige Möglichkeit, doch noch mit Gewinn (bzw. einem blauen Auge) aus dieser Nummer rauszukommen, ist, einen noch größeren Idioten zu finden, der diese Option noch später mindestens zu dem eigenen, überhöhten Preis kauft. Warnsignal: Zocken mit Langweiler-Aktien Nun mag diese Hoffnung ja berechtigt sein bei Aktien wie Nvidia und Co., die bekanntlich volatil genug sind, um größere Kurssprünge in sehr kurzer Zeit wahrscheinlich zu machen. Aber doch nicht bei irgendeiner Langweiler-Aktie, die sich normalerweise kaum bewegt und zudem aus einer Branche kommt, die derzeit ohnehin unbeliebt ist! Oder? Doch, genau das beobachte ich seit einigen Wochen. Und nicht nur das. Diese auffallenden Aktivitäten finden zudem bei wöchentlichen Optionen statt, die also in 4 bis 5 Tagen verfallen, und bei Basispreisen, die 10, 15 oder manchmal auch bis zu 20 Prozent vom aktuellen Kurs der Aktien entfernt liegen. Mit anderen Worten, diese „Anleger“ setzen darauf, dass Aktien, die sich kaum 1 % pro Tag bewegen, in kürzester Frist ein Vielfaches davon zulegen (es geht hier meist um Call-Optionen). Und wie beschrieben, gehen die Kurse für diese Optionen dabei noch durch die Decke, weil offenbar eine irre Zockerei um sie entbrannt ist. Und es werden nicht nur Mondpreise für die Optionen bezahlt, sondern diese Mondpreise werden oft nochmals weiter nach oben getrieben. In Einzelfällen steht der Mondpreis von Montagmorgen am Montagabend oder Dienstagmorgen nochmals 50 % höher... Ein wichtiger Unterschied von Aktien und Optionen Nun kann man bei „Wahnsinnskursen“ von Aktien endlos darüber streiten, ob es eine Übertreibung ist oder nicht. Um das zu beurteilen, müsste man den inneren Wert der Aktie kennen, der von den künftigen Gewinnen des Unternehmens bestimmt wird. Wenn man diese Gewinne nur hoch genug ansetzt, kann man jeden inneren Wert „berechnen“ und damit jeden Kurs rechtfertigen. Ob das stimmt oder nicht, wird man niemals wissen. Bei Optionen hat man einen solchen Spielraum nicht. Deren Preis wird nur von der Wahrscheinlichkeit bestimmt, wie weit der Aktienkurs den Basispreis der Option bis zum Verfallstermin über- oder unterschreiten kann. Und je weiter der Basispreis vom Aktienkurs entfernt, je weiter also die Option „aus dem Geld“ ist, und je näher der Verfallstag liegt, um so geringer ist diese Wahrscheinlichkeit. Folglich sollte auch der Optionspreis entsprechend gering sein. Nun kann es natürlich sein, dass bei dieser Aktie irgendwas im Busch ist, dass den Kurs in kurzer Zeit stark treibt, z.B. eine Übernahme, und dass die Anleger davon Wind bekommen haben. Doch dann sollten die Optionen aller Basispreise zu höheren Prämien gehandelt werden – schließlich würden ja alle Optionsbesitzer in den Genuss höherer Abrechnungspreise kommen, wenn der Aktienkurs steigt. Aber genau das ist eben bei den fraglichen Aktien und Optionen nicht der Fall: Optionen mit niedrigen Basispreisen werden zu vernünftigen Kursen gehandelt; nur einzelne Optionen mit hohen Basispreisen zeigen diesen Irrsinn. Die wollen doch nur spielen! Nun ist diese völlig absurde Zockerei nicht marktgefährdend. Im Gegenteil, in der Regel hat ein derartiger Options-„Handel“ keine Rückwirkung auf die betreffende Aktie und damit auch nicht auf die Indizes bzw. den Markt. Aber sie zeigt zweierlei: Zum einen sind derzeit offenbar viele an der Börse unterwegs, die keine Ahnung haben, sondern nur „spielen“. Das dürfte nicht nur bei Optionen der Fall sein, sondern auch bei Aktien (und anderen Basiswerten). Zum anderen verlieren etliche mit dieser Zockerei sehr viel Geld. Irgendwann werden sie aus dem Markt gekegelt, weil ihr Kapital weg ist oder der Verlustschmerz zu groß wird. Womöglich ist dieses Phänomen auch schon der Ausdruck von Verzweiflung, weil die Zocker bereits so viel verloren haben, dass sie mit derart absurden Trades versuchen, ihre Verluste wettzumachen – nach dem Motto: Jetzt kommt es auch nicht mehr drauf an. Die Liquidität der Zocker, die jetzt noch die Kurse treibt, wird also irgendwann versiegen. Und wenn dann die Kurse „jenseits von Gut und Böse“ stehen, werden nicht nur Hardcore-Zocker den Katzenjammer kriegen. Aber wie gesagt, bis dahin kann das „Spiel“ noch eine ganze Weile weitergehen. Die beste Vorlage haben Bären und Zocker ja mit den frischen Allzeithochs in den USA bekommen. Mit besten Grüßen Torsten Ewert
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