| | | | | 23. Juni 2023 | | Deutscher Alltag | | | |
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| | | | | als Nebenfach-Historiker und Kommentator nahezu auÃer Diensten bin ich ein Freund historischer Assoziationen. Die Assoziation übrigens ist etwas ganz anderes als der Vergleich. Wenn man beispielsweise sagen würde, Markus Söder sei wie Franz Josef StrauÃ, dann ist das ein Vergleich, wenn auch ein schlechter, weil Strauà zu ungefähr gleichen Teilen hinterfotzig, intelligent, machtbewusst, skrupellos und heimatliebend war. (Ob etwas davon und wenn ja, was und zu welchen Teilen, auch auf Söder zutrifft, kann jeder und jede selbst entscheiden.) Würde man aber sagen: Söder erinnert mich an ein Franz-Josef-StrauÃ-Drahdiwaberl, dann ist das eine Assoziation, schon allein weil es ein solches Drahdiwaberl nicht gibt. Ein Drahdiwaberl ist im Wiener Dialekt ein Drehkreisel, also ein Körper, der sich um seine eigene Achse dreht. AuÃerdem nennt man auch einen Menschen, der sein Handeln nach dem ausrichtet, was zum jeweiligen Zeitpunkt für ihn das Beste zu sein scheint, unabhängig davon, wie er zuvor gehandelt hat, ein Drahdiwaberl. In diesem Sinne ist ein Drahdiwaberl auch ein Opportunist. Ein FJS-Drahdiwaberl ist ein Widerspruch in sich, weil StrauÃ, zumindest von manchen in Bayern, bis heute konservative Prinzipienfestigkeit zugemessen wird. Allerdings ist FJS-Drahdiwaberl auch ein Begriff zur dialektischen Analyse einer in sich widersprüchlichen politischen Persönlichkeit. Und dass Söder Widersprüche in sich birgt, würden selbst seine Hintersassen in der Staatskanzlei nicht sofort dementieren, es sei denn, sie müssten es. Die historische Assoziation kann elegant sein, der historische Vergleich ist häufig schief und manchmal empörend. Besonders deutlich wird Letzteres, wenn wieder mal jemand Anleihen bei der jüngeren deutschen Zeitgeschichte nimmt. Man hat das bei den Querdenker-Demos gesehen, bei denen Narren gelbe Sterne trugen, weil sie auf ihre "Verfolgung" hinweisen wollten. Aber man hat es auch bei Boris Palmer oder zuletzt in München beim grünen Stadtrat Bernd Schreyer erlebt. Leider sind solche Vergleiche gegen alle Vernunft immer noch zu häufig - auch wenn sie manchmal von der Meinungsfreiheit geschützt, fast immer aber vom Recht auf spontan geäuÃerte Dummheit getrieben sind. Historische Assoziationen und Vergleiche werden gerne von Menschen benutzt, die ihre Bildung ausstellen wollen. (Ja, ich bekenne mich im Sinne dieser Anklage schuldig.) Wenn zwei miteinander diskutieren - und das auch noch öffentlich - und der eine befürchtet, wenn nicht den Welt-, so doch eine gemäÃigte Form des Untergangs, führt die andere Oswald Spengler ins Redegefecht. Spengler, ein reaktionärer Philosoph, schrieb zwischen 1911 und 1921 sein zweibändiges Werk "Der Untergang des Abendlandes", was schon allein wegen des Titels bis heute assoziativ gut zu gebrauchen ist. Wenn also ein Pragmatiker einem Skeptiker öffentlich Spengler vorhält, wissen beide, dass der jeweils andere auch gescheit ist, was ein gutes Gefühl macht - auch wenn es das Publikum nicht immer versteht. Dieser Tage las ich in der FAZ ein Interview mit Robert Habeck. Die FAZ ist nicht unhäufig eine Zeitung, die ihren Lesern vorhält, wie gebildet sie ist. Wenn man diese Vorhalte versteht, rückt man als Leser oder Leserin in den Kreis der Wissenden auf. Das macht ein gutes Gefühl. Man gehört zu einer Elite, auch wenn Hubert Aiwanger diese Elite wohl zum Milieu der Teuren-Rotwein-Schlürfer zählen würde. (Bei der SZ bekommt man als Assoziativschreiber von Teilen der geehrten Leserschaft häufiger mal vorgehalten, man solle nicht so viele Fremdwörter benutzen. WeiÃbiertrinker.) Habeck zählt eindeutig zu jenen, die assoziativ reden - und durchaus auch so Politik machen. In dem Interview ging es um die Grünen in der Regierung, den Fortschritt als solchen und Habeck als Reinkarnation von Hermann Hesse (nein, darum ging es nicht, das habe ich gerade erfunden). Als Habeck gefragt wurde, aus welcher "historischen Reform wir am meisten lernen können", fragte Habeck nicht, wer denn mit "wir" gemeint sei. (Das rhetorische "wir" wird meistens dazu genutzt, die eigene Position als die Position vieler, wenn nicht aller darzustellen.) Nein, Habeck legte, das ist eine assoziative Spekulation, seine Stirn in noch mehr Falten und sprach über - Martin Luther. Nun wäre es zu söderisch, würde man behaupten, der Reformer Robert Habeck sehe sich in einer Linie mit Martin Luther. Aber dennoch weht ein Hauch von Wir-Gefühl durch die von Habeck assoziierte Historie, wenn er darüber nachdenkt, was denn daraus geworden sei, dass Luther "ins Lot bringen wollte, was aus dem Lot geraten sei". Wie also ging es weiter mit Luthers Reformation? "Spaltung der Gesellschaft, Spaltung Europas, DreiÃigjähriger Krieg", sagt Habeck. Ihm, Habeck, gebe das zu denken: "Wie verhindert man, dass man Teil der Spaltung wird, wenn man eine Reform gerade im Interesse des Zusammenhalts machen will?" Tja, der Martin und der Robert. Luther wollte seine Reformation nicht unbedingt "im Interesse des Zusammenhalts" durchsetzen. Und wahrscheinlich wird Habeck auch keinen Kurfürsten Friedrich finden, der ihn ein paar Monate auf der Wartburg versteckt, damit er ein die Jahrhunderte überdauerndes Heizungsgesetz schreiben kann. Aber für Leser und Bürgerinnen ist es schon auch erhebend, in welch groÃen Zeiten "wir" uns gerade mit dem Robert befinden. Und sei es nur assoziativ.
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| | | | | | | | | | Robert Habeck und das erschöpfte Gemüt der Gesellschaft | | Bei Anne Will sitzt der aktuell Dauer-Schuldige Robert Habeck im Einzelverhör. Sein groÃer Fehler? Timing. Damit offenbart er unfreiwillig eine ganz kleine, andere Katastrophe. | | | |
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