Liebe/r Leser/in, in meiner Straße, genau gegenüber von meinem Balkon, wohnt ein Mann. Er ist um die 60, augenscheinlich alleinstehend, das Bücherregal in seinem Wohnzimmer verrät mir, dass er wohl gerne liest. Das verbindet uns; mehr war da bisher allerdings nicht. Ich kenne seinen Namen nicht, habe ihn ein paarmal im Supermarkt gegrüßt; er grüßte aber nie zurück. Wir sind Nachbarn und Fremde zugleich. Bis das Coronavirus in die Stadt kam. Seit zehn Tagen sehen wir uns nun täglich abends zum Applaudieren auf unseren Balkons. Wir lächeln uns an, winken, nur die Straße trennt uns, wir klatschen in die Hände aus Dankbarkeit gegenüber den vielen Helden, die unser Land in diesen schwierigen Tagen am Laufen halten: Krankenschwestern und Pfleger, Ärzte und Ärztinnen, Supermarktverkäufer, Polizisten, Feuerwehrleute, die Mitarbeiter von der Strom- und Wasserversorgung, von der Müllabfuhr, auf den Ämtern. Vor dem Virus sind wir alle gleich: Der Unbekannte von gegenüber wird plötzlich ein Bekannter, irgendwie Teil unserer riesigen infizierten Notfamilie. Hollywood-Star Tom Hanks sitzt genauso positiv getestet in Quarantäne wie ich und du, Friedrich Merz, Prinz Albert beziehungs- und wundernswerterweise unsere noch negativ getestete Kanzlerin. Merkel daheim, die Virologen regieren. Ich sitze zu Hause und sorge mich. Von 100 auf null, Wochen aus Watte, mehr Fragen als Antworten. Wann gibt es einen Impfstoff? Stehen die Maßnahmen der Regierung im Verhältnis zur Größe der vielen Gefahren, die dieser Shutdown birgt? Halten die Krankenhäuser durch? Wie stabil sind unser Mittelstand, unsere Konzerne, unsere Banken? Müssen wir wieder Angst vor Massenarbeitslosigkeit haben? Erhalten wir nach den Ausgangssperren unsere suspendierten Freiheitsrechte wieder? Gleiten wir unter den vielen Rettungsschirmen in einen neuen Staatskapitalismus? Wird uns China, wo bereits die Fabriken wieder laufen, nach dem deutschen Stillstand bald überrollen? Werden unsere Traditionsfirmen von anonymen Investoren als Schnäppchen übernommen? Und wann wird wieder Fußball gespielt? Als in der DDR Geborener habe ich schon einige Transformationsprozesse erlebt, der einschneidendste war mit Sicherheit die Zeit des Mauerfalls und der deutschen Einheit. Ein Systemwechsel, der von heute auf morgen alles auf den Kopf stellt – 30 Jahre ist es nun her, dass sich 16 Millionen DDR-Bürger über Nacht neu erfinden und von jahrelang geübten Gewissheiten Abschied nehmen mussten. Corona fühlt sich ähnlich wie diese Zeitenwende an. Deshalb: Bleiben wir optimistisch! Denn es gibt Menschen, die Hoffnung machen. Einer ist David Folkerts-Landau. Als Chefvolkswirt der Deutschen Bank kennt er wie kaum ein Zweiter die Stärken und Schwächen der deutschen Wirtschaft und anderer Länder. Folkerts-Landau ist überzeugt, dass unser Land gestärkt aus der Corona-Krise hervorgehen wird: „Es wird zwei Gewinner geben. Der eine ist Deutschland: Wegen des sehr guten Gesundheitssystems, der sehr guten Industriestruktur und der soliden Staatsfinanzen wird das Land als eines der ersten die Krise hinter sich lassen und wieder wachsen können.“ Was der Chefökonom noch über die Krise denkt, lesen Sie im aktuellen Focus Magazin. |