Kurt Kister gibt Einblick in deutsche Alltagsmomente
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17. Januar 2025
Deutscher Alltag
Guten Tag,
so wie das neue Jahr beginnt, möchte ich eigentlich an ihm nicht teilnehmen. Für 2025 hätte ich gern ein faltbares, transportables Dimensionsloch zum gelegentlichen Austritt aus der Wirklichkeit. Die Älteren in der Leserschaft werden sich vielleicht noch an den Zeichentrickfilm „Yellow Submarine“ erinnern, in dem die Beatles 1968 gefährliche Abenteuer in einem gelben Unterseeboot erlebten, nachdem die Blue Meanies, die Blaumiesen, das friedliche, musikfreudige Pepperland angegriffen hatten. Im Meer der Löcher, in das die U-Boot-Beatles genauso geraten wie ins Meer der Zeit oder ins Meer der Monster, steckt Ringo sich ein mobiles Loch in die Tasche. Ein solches Loch wäre auch heute sehr nützlich, zumal da die Blaumiesen, die sich nun AfD abkürzen, wieder auf dem Vormarsch sind.

Dieser Tage hat die Blaumiesen-Königin Alice, die kein Wunderland betreten dürfte, der Welt mitgeteilt, dass Adolf Hitler ein Kommunist gewesen sei. Das ist angesichts der Tatsache, dass die ersten Opfer der Nazis nach der Machtergreifung 1933 Kommunisten und Juden waren, dass Hitler die Reste der Strasser-„Linken“ in der NSDAP 1934 beim sogenannten Röhm-Putsch ermorden ließ, dass er den Kommunismus für den Weltfeind hielt, dass er ... aber jetzt fange sogar ich an, gegen absoluten, pardon the expression, Schafscheiß rational zu argumentieren. Für Alice Weidel, die in ihrer weißblusigen Scheinbürgerlichkeit so wirken möchte, als sei sie keine Radikale, keine verbale Brandstifterin erster Ordnung, sind alle, die links von ihr stehen, was nicht schwer ist, Kommunisten. Oder Halb-Kommunisten. Angela Merkel ist wahrscheinlich eine Dreifünftel-Kommunistin, Scholz ein Fünfsiebtel-Kommunist. Weidel ist möglicherweise gescheit genug, um zu merken, was sie für einen Blödsinn redet, wenn sie Hitler einen Kommunisten nennt. So etwas „rutscht“ ihr auch nicht heraus, weil sie in spätteenagerlicher Geflashtheit gerade mit Elon, dem Musk, telefoniert. (Übrigens „rutscht“ sowieso nur das heraus, was in einem wohnt.) Nein, Weidel schwadroniert von Hitler, weil sie in diesem Wahlkampf ausschließlich auf Provokation setzt. Blaumiesen-Königin halt, weit weg von jeder Bürgerlichkeit.

Also: Hitler ein Kommunist. Und, hallo 2025, was ist mit Grönland? Historiker und Innen wissen, dass Amerika eigentlich denen gehört, die als Erste da waren, wären sie nicht von denen, die als Letzte kamen, nahezu ausgerottet, marginalisiert und unterdrückt worden. Zwischen den Ersten und den Letzten kamen übrigens die Wikinger aus Gegenden, die heute Grönland, Island und auch Dänemark heißen. Sie siedelten zum Beispiel in Neufundland, in L’Anse aux Meadows, das heute zu Kanada gehört. Sie blieben dort nicht lange, aber der Anspruch Grönlands und der Wikinger auf Amerika ist auf jeden Fall viel älter als der Anspruch Trumps auf Grönland. Mada, Make America Danish again!

Jedenfalls ist der 20. Januar, an dem das gelbhaarige Wesen erneut Präsident der Vereinigten Staaten wird, ein Termin, der sehr dazu beitragen kann, dass man sich wünscht, es gäbe Reisen ins Meer der Löcher. Die Vorstellung, dass ein US-Präsident noch vor seiner Amtseinführung Ansprüche auf Grönland, Panama und Kanada erhebt, ist – ein schönes englisches Wort – so outlandish, dass man sich mit ein bisschen Melancholie daran erinnert, dass Tim Walz, gescheiterter Vizepräsidentschaftskandidat, die Trumpisten weird nannte. Weird heißt seltsam, bizarr, unheimlich. Wie bizarr ist es, wenn Trump seinen Sohn nach Grönland schickt, um dort schon mal Erkenntnisse zu sammeln? Das erinnert an den Borgia-Papst Alexander VI., der seinen Sohn Cesare erst als Kundschafter und Intrigant und dann als Feldherrn einsetzte. Der Feudalismus mit Herrschererbfolge ist übrigens eine Staatsform, die man in den USA noch nicht ausprobiert hat. Wäre mal was Neues. Maam, Make America a Monarchy.

Auch in Sachen Grönland wird nun hie und da erörtert, was es an Bodenschätzen gibt, dass die USA dort schon einen Militärstützpunkt unterhalten und dass Dänemark ja schließlich auch eine Art Fremdherrschaft ausübe. Das ist interessant und wäre erörternswert, wenn es nicht von den Imperialfantasien des Golfspielers aus Florida ausgelöst würde. Will man nun den Trumpisten „erklären“, dass und warum die USA keine Besitzansprüche auf Grönland erheben sollten? Dass der US-Präsident nicht Dänemark bedrohen sollte, einen souveränen Staat, der zu Nato und EU gehört? Kann man einem orange gemakeupten, bald 79-jährigen Amateur-Geopolitiker „erklären“, warum der Golf von Mexiko nicht Golf von Amerika heißt? Gewiss doch, die demokratische Idealvorstellung ist der deliberative Diskurs, das geduldige Erklären. Aber wie ist das, wenn man diesen Diskurs mit Leuten führen möchte (oder muss), die Diskurs für Kommunismus, also für eine Erfindung Hitlers, halten?

Es könnte sein, dass diese Kolumne in den nächsten Wochen oder Monaten plötzlich verschwindet. Dann hat mir Ringo, der im Juli 85 wird, vielleicht sein transportables Dimensionsloch aus dem Meer der Löcher überlassen. Ein schöner Gedanke: Man setzt das Loch an die Balkonwand und betritt eine Welt, in der Björn Höcke Essen auf Rädern für Flüchtlingsfamilien ausfährt, in der die Hauptstadt der transatlantischen Vereinigten Dänischen Staaten New København heißt und in der Donald Trump eine Go-go-Bar mit seiner Geschäftsführerin Stormy Daniels betreibt. Das alles ist jedenfalls besser als dieser Januar 2025.
Kurt Kister
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