der Idealismus deutscher Prägung hat schon auf so manchen Sonderweg geführt. Nun ist es gewiss kein Makel, eigene Pfade zu beschreiten, eigene Ideen zu entwickeln, sich eigenständige Ziele zu setzen. Mögen die anderen doch tun, was sie für richtig halten. Aber Staaten sind eben keine Selbsterfahrungsgruppen; die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, von ihren gewählten Repräsentanten in den Regierungen und Parlamenten nach bestem Wissen und Gewissen in eine gedeihliche Zukunft geführt zu werden. Der Wissensanteil ist dabei als rationale Komponente jedoch ausdrücklich unverzichtbar, denn eine idealistische Politik ohne realistische Perspektive führt regelmäßig in die Irre. Die Beispiele sind Legion. Mit der Energiewende hat sich die Bundesrepublik abermals auf einen gefährlichen Sonderweg begeben. Denn es handelt sich um „eine Operation am offenen Herzen der wichtigsten Infrastruktur des Industrielands“, wie mein Kollege Daniel Gräber in der Titelgeschichte unserer neuen Ausgabe von Cicero schreibt: Das Projekt kann gut gehen – oder auch nicht. Und im Moment mehren sich die Anzeichen dafür, dass der gleichzeitige Abschied von Kohle- und Atomstrom zu schwerwiegenden Verwerfungen führen wird. Die meisten Privathaushalte mögen das, von steigenden Strompreisen abgesehen, noch gar nicht realisiert haben. Für sie kommt der Strom wie gewohnt aus der Steckdose. Aber viele Unternehmen – von der traditionellen Schwarzbrotbäckerei bis hin zum Weltkonzern – bekommen die Folgen der undurchdachten und schlecht gemanagten Energiewende bereits heute schmerzhaft zu spüren. Dass der deutsche Sonderweg dabei nicht einmal dem Klima nutzt, sei hier nur am Rande bemerkt. An diesem Mittwoch vor 70 Jahren wurde die Genfer Flüchtlingskonvention verabschiedet – sie gilt bis heute als das wichtigste Dokument für den internationalen Flüchtlingsschutz. Anlass genug, einen Blick auf die aktuelle Lage zu werfen. Denn der durch Flucht, Vertreibung und Migration entstehende Druck insbesondere auf Europa hat seit der sogenannten Flüchtlingskrise der Jahre 2015 und 2016 keineswegs nachgelassen. Fast alle Experten erwarten derzeit wieder wachsende Flüchtlings- und Migrationsströme; das Thema ist wegen der Corona-Pandemie allenfalls etwas aus dem Fokus geraten. Aber sind die Europäer diesmal besser vorbereitet? Mein Kollege Felix Lill hat sich in seiner ausführlichen Analyse genau dieser Frage gewidmet. Und das Ergebnis seiner Recherchen fällt ernüchternd bis alarmierend aus. Ihr Alexander Marguier, Chefredakteur |