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Tagesspiegel Checkpoint vom Freitag, 07.10.2022 | Meist sonnig bei bis zu 18°C. | ||
+ SPD-Mann im AGH plaudert Entscheidung des Landesverfassungsgerichtshofes aus + Andreas Geisel bleibt im Amt – und ist doch nur noch Senator mit Ablaufdatum + Genossenschaft, Giga-Gesellschaft, VEB? Was jetzt mit Hertha BSC passieren könnte + |
von Julius Betschka |
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Guten Morgen, der Kraftriegel der Arbeiter, das ist bekanntlich die Currywurst. Gerhard Schröder hat das einmal, Kraft seiner Wassersuppe, so festgelegt. Aber kannten Sie schon den „Kraftraum der Lösungen“? Nein? Nun, das ist das Berliner Abgeordnetenhaus. Festgelegt wurde das von einem anderen bedeutenden Sozialdemokraten: dem Berliner Abgeordneten Christian Hochgrebe. Kennen Sie noch nicht? Hochgrebe ist noch nicht ganz so bekannt (und bei Weitem nicht so unbeliebt) wie Towarischtsch Schröder, aber hat gestern immerhin als Erster den Termin für die Entscheidung des Landesverfassungsgerichtshofes über eine Wahlwiederholung ausgeplaudert. Wo? Natürlich im Kraftraum der Lösungen. Damit ist – wie gesagt – das Berliner Parlament gemeint, nicht Ihr Geschirrspülautomat. Begeistert waren Koalitionspartner und Opposition von Hochgrebes Fauxpas trotzdem nicht. Denn bis dato kannten den Termin nur einige Eingeweihte. Das Verfassungsgericht hatte das Datum (aus verfahrenstechnischen Gründen) exklusiv an die Innenverwaltung gefaxt (düdüdütdüü), von wo aus das Ganze schnell (tüdelü) die SPD-Fraktion erreichte. Kein Skandal, aber eher Problem als Kraftriegel für Arbeiter… äh, Lösungen. Aber zurück zur Entscheidung über die Wahlwiederholung: Die soll am 16. November verkündet werden. Dann ist Buß- und Bettag. Mir gefällt der Humor der Berliner Verfassungsrichter immer besser. | |||||
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Jedes Lachen ist ihm längst vergangen: Andreas Geisel. Der heutige Bausenator und einst für die Rechtsaufsicht über die Wahl verantwortliche Innensenator bleibt zwar im Amt. Er hat die Missbilligungsanträge von CDU und FDP im Parlament gestern überstanden. In der Koalition entzogen ihm öffentlich nur drei Linke-Abgeordnete die Unterstützung – und blieben der Abstimmung fern. Unbeschadet ist Geisel nicht: Nur die eigene Alternativlosigkeit rettet ihm den Job. Fünf Monate vor der Wahl den Senator auszutauschen, würde Stillstand im Stadtentwicklungsressort bedeuten. Die SPD-Führung will an Geisel festhalten – das gilt zumindest bis zur Wahlwiederholung und falls keine neuen Vorwürfe auftauchen. Aber am immer gut gebügelten Anzug des SPD-Mannes heftet jetzt ein Ablaufdatum: Es ist der Wahltag Mitte Februar 2023. Die Entscheidung legt die Ambivalenzen des politischen Geschäfts frei: Geisel wird in den fünf Monaten bis zur Wahl von Opposition und Koalitionspartnern zum Gesicht des Berliner Verwaltungsversagens erklärt werden. Dass er im Amt bleibt, wird ihm und Berlins Sozialdemokraten (nicht zu Unrecht) als Aussitzertum ausgelegt werden. Verantwortlichkeit sieht anders aus. Das ist die parteipolitische Logik. In der Logik guten Regierens (im Sinne guter Verwaltung, nicht der Wiederwahl) ist die Entscheidung eine Gute. Selbst FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja gestand Geisel in seiner Rede zu, er sei „der letzte verbleibende Mann in der Regierung“, der gegen die Wohnungskrise kämpfe. Jeder Kurz-Zeit-Nachfolger wäre eine lahmende Ente. Insofern könnten einige der SPD dankbar sein: die politische Konkurrenz behält den Boxsack, die Bürger den vernünftigen Verwalter. Eine solche Dankbarkeit darf inmitten dieses Polit-Debakels freilich niemand erwarten. Bonjour Tristesse. | |||||
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Apropos Tristesse: Der Bundesverfassungsrichter Peter Müller hat die Wahl in Berlin in einem Podcast der „FAZ“ scharf kritisiert. Wobei man wohl eher von „polemisiert“ sprechen muss. Müller hat laut eigener Aussage bisher nur in der Presse von der Wahl gelesen, sagt aber: „Sowas hätte man sich vor einigen Jahrzehnten vorstellen können in irgendeinem diktatorischen sogenannten Entwicklungsland, aber doch nicht mitten in Europa, mitten in Deutschland“. Diese Haltung kann Privat-Mensch Peter Müller natürlich haben – auch wenn sie die so gefährliche wie falsche Erzählung einer undemokratischen und bewusst verfälschten Wahl bedient. Auch das hätte man in der Presse lesen können. Zum Zweiten ist Peter Müller aber nicht nur Privat-Mensch, sondern der zuständige Berichterstatter für Wahlprüfungen am Bundesverfassungsgericht und als solcher womöglich bald mit einer Überprüfung der Bundestagswahl in Berlin betraut. Aber es ist ja nur konsequent: Nachdem das Berliner Verfassungsgericht das vorläufige Urteil schon per Pressemitteilung verschickt hatte bevor alle Beteiligten überhaupt angehört waren und das eigentliche Urteil nur noch Formsache scheint, fällt der zuständige Bundesverfassungsrichter seinen Richterspruch nun schon vor überhaupt jedweder Beschäftigung mit dem Thema. Das erinnert ja an einen Richter in… in irgendeinem… na jedenfalls nicht mitten in Europa, mitten in Deutschland. | |||||
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Zum Sport: Lars Windhorst will Hertha loswerden – oder ist es andersherum? Das ist so unsicher wie Herthas Klassenerhalt vergangene Saison. Windhorsts Anteile am Verein sind nur noch einen Bruchteil dessen Wert, was er einst auf dem Transfermarkt hingeblättert hatte. Nicht umsonst sagte Ex-Hertha-Boss Werner Gegenbauer kürzlich auf die Frage, was denn die größte Leistung seiner 14-jährigen Amtszeit gewesen sei: „374 Millionen Euro von der Tennor Group einzuwerben. Ohne, dass Hertha BSC nennenswerte Entscheidungsbefugnisse abgeben musste.“ Wie es im Club nun weitergeht, weiß aktuell deshalb niemand so recht. Drei Checkpoint-Szenarien: +++ Die Genossenschaft. Statt in Staatsanleihen und ETF investieren die Hertha-Fans in ihren Club. Jetzt ist auch schon alles egal! Ein neues Stadion „Berlin Style“ aus Holzpalletten, Strick-Trikots im Fan-Laden, Pal Dardai darf nochmal (und nochmal und nochmal…) und als Dauergegner die Sportfreunde Lotte. Immer: Top-Stimmung! +++ Die Giga-Gesellschaft: Elon Musk sucht sich ein neues Spielzeug und bezahlt Lars Windhorst aus. Hertha investiert Millionen in E-Sports, ein „amerikanisches Super-Talent“ wird ständig verliehen, ein viel zu teurer Brasilianer ist dauernd verletzt. Trainer: Elon Musk. Manager: Elon Musk. Ultras: Unauffindbar. +++ Der Volksentscheid. „Hertha und Co. enteignen“ passt irgendwie in den Berliner Zeitgeist – und ist deshalb erfolgreich. Beim ersten Liga-Spiel bricht das E-Ticket-System zusammen. Das Stadion wird nach einigen Jahren wegen Baufälligkeit geschlossen. Mögliche Fusion mit Union. Die waren schließlich auch mal volkseigen. Kaum weniger unterhaltsam liest sich die ausführliche Rekonstruktion des Machtkampfes bei der alten Dame, die mein Kollege Armin Lehmann geschrieben hat. Er hat mit jetzigen und früheren Vereins-Oberen gesprochen, sie begleitet. Sein Text zeigt vor allem: Hier die gute alte Hertha, dort der böse Investor – das schöne Fußball-Romancier-Schema passt in diesem Fall schlecht. Abonnenten lesen den Text hier. | |||||
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