Liebe Leserin, lieber Leser,
als römische Göttin der Gerechtigkeit hat sie’s auch nicht leicht. Seit Jahrhunderten muss Justitia mit Augenbinde durch die Welt stolpern und dabei Waage und Schwert mit sich herumschleppen. Würde diese besonnene Kämpferin für unparteiliche Gerechtigkeit eine eher linke Krawallschleuder als irdische Repräsentantin akzeptieren?
Verzeihen Sie, wenn Ihnen das zu direkt ist! Aber damit sind wir wenigstens ruckzuck bei der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf, die demnächst Richterin werden könnte am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Letzteres genießt wahrscheinlich unter allen Staatsorganen der Bundesrepublik das mit Abstand größte Renommée. Eben auch, weil es eher zurückhaltend ist und unabhängig von Moden, Zeitgeist und Parteien.
Da wird natürlich genau geschaut, wenn in diesem Olymp mal ein Plätzchen frei wird unter den 16 Richtern. Nun sind gleich drei Posten vakant, für die abwechselnd Bundestag und Bundesrat Personalvorschläge machen dürfen. Diesmal sind die Parlamentarier dran. Die Union schlug einen Kandidaten vor, die SPD zwei Kandidatinnen, von denen hier aber nur von Frau Brosius-Gersdorf die Rede sein soll, an deren Unvoreingenommenheit zuletzt mehr als zarte Zweifel aufgetaucht waren.
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Saskia Ludwig etwa fand sie „maximal ungeeignet und für jeden Demokraten unwählbar“. Andere äußerten sich ähnlich, wenn auch nicht so offen. Da wir hier nicht in einem juristischen Proseminar sitzen, versuche ich, Ihnen einige Standpunkte der Potsdamer Rechtsprofessorin in aller Kürze darzulegen:
Brosius-Gersdorf findet, dass man den Grundgesetztext gendern sollte, forderte schon des Öfteren die endgültige Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und während Corona eine Impfpflicht. Sie lehnt ein Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen ab, will den Parteien Frauenquoten vorschreiben und fände ein AfD-Verbot unter gewissen Umständen klasse. Manches davon sieht Karlsruhe übrigens dezidiert anders. |