Allgemein wird gerne zwischen Value- und Growth-Aktien unterschieden. Die einen sollen unterbewerte Buchwert-Schnäppchen sein, während die anderen hochbewertete Umsatzdynamiker sind. In vorangegangenen Jahrzehnten wechselten sich die Vorlieben der Börsianer regelmäßig ab und es gab jeweils über viele Jahre Perioden, in denen Wachstumswerte viel besser liefen als Value-Aktien und umgekehrt. Es gab also ein Muster und wir Menschen lieben Muster und Schubladen. Ungewissheit meiden wir lieber, aber sobald wir etwas einordnen können, halten wir es für beherrschbar – und vorhersagbar. Das ist natürlich eine Illusion, aber eine sehr beruhigende. Und Basis für einen Großteil unserer Anlage-Entscheidungen. Kleine Geschichtsstunde Vor dem Platzen der Internetblase im Jahr 2000 liefen die Technologie-Werte wie wild, während mit Value-Aktien kaum etwas zu verdienen war. Value-Star Warren Buffett wurde damals schon als antiquiert abgeschrieben. Aber seine Stunde kam, als die Technologie-Werte abstürzten und die klassischen Werte eine Renaissance erlebten. Das Wellenmuster funktionierte. Bis zur Finanzkrise 2008/09. Da gingen alle Aktien in den Keller und erholten sich später wieder. Aber in diesen nunmehr 12 Jahren und durch alle zwischenzeitlichen Krisen hinweg erzeugen die Technologie-Werte eine dauerhafte Überrendite und zwar eine mit jedem Jahr weiter zunehmende. Dem bisherigen Muster entsprechend wird regelmäßig immer wieder mal das neue Zeitalter der Value-Aktien ausgerufen, denn dieses Ungleichgewicht kann ja nicht ewig anhalten. Oder doch? Fakt ist jedenfalls, dass es immer nur kurze Phasen gab, wo Value-Aktien mal wieder angesagt waren, während ansonsten fast nur die Wachstums-Aktien dominieren. Dafür gibt es natürlich Gründe. Der erste sind die niedrigen Zinsen und die Notenbankpolitik, denn dieses viele billige Geld fließt auch in Wachstums-Unternehmen, die unter normalen Umständen vielleicht Finanzierungsprobleme bekommen hätten. Der andere Grund ist, dass die Unterscheidung zwischen Value- und Growth-Aktien nicht mehr passt. Heute wird alles, was nicht mit Hoch-Technologie zu tun hat und mit mindestens zweistelligen Wachstumsraten aufwarten kann, pauschal als Value-Aktie bezeichnet, ob nun Energie-Werte, Auto-Konzerne oder zyklische Stahl-Werte. Aber eine Value-Aktie gehört nicht bestimmten Branchen an, sondern eine Aktie ist dann eine Value-Aktie, wenn ihr Aktienkurs deutlich niedriger ist als ihr fairer Wert. Ob es sich dabei um ein High-Tech-Unternehmen oder eine angestaubte Verlagskette handelt, ist unerheblich. Die Bewertungs-Diskrepanz ist das entscheidende Kriterium. Die Erkenntnis hieraus ist, dass die schnöde Unterscheidung zwischen Value und Growth nach der heutigen Anwendung keinen Sinn macht, dass einige Wachstums-Werte bei näherer Betrachtung auch Value-Aktien sind und dass die Behauptung, immer mehr Value-Anleger würden sich von ihrem Investment-Ansatz abwenden, keinem zweiten Blick stand hält. Setze auf Wachstum... Schon Philip A. Fisher, Vater der Investoren-Legende Ken Fisher und ein Freund von Warren Buffetts Vater, klärte uns in seinem Standardwerk „Common Stocks and Uncommon Profits“ (übersetzt etwa: „Gewöhnliche Aktien und außergewöhnliche Gewinne“) über das Wesentliche hierzu auf: „Den größten Investmenterfolg erzielt, wer durch Glück oder gesunden Menschenverstand gelegentlich ein Unternehmen findet, das seinen Umsatz und seinen Gewinn über die Jahre weit besser steigern kann als die Industrie als Ganzes. Des Weiteren zeigt sich, dass wir, wenn wir glauben ein solches Unternehmen gefunden zu haben, besser über einen langen Zeitraum investiert bleiben sollten.“ (Philip A. Fisher) Fisher empfiehlt also, Aktien von dauerhaft wachsenden Unternehmen zu kaufen. Unternehmen, die in einer wachsenden Branche agieren und am besten stärker als der Branchendurchschnitt wachsen. Dieses Wachstum sollte nicht nur kurzfristig oder aufgrund von Sondereffekten stattfinden, sondern nachhaltig sein. ... aber nicht nur Was nicht ganz einfach ist, denn sobald es in einer Branche schnell und einfach Geld zu verdienen gibt, zieht dies natürlich Konkurrenten an. Mit der Folge, dass der Wettbewerbsdruck steigt und die Margen sinken. Oder wie es der König der Disruption formulierte, Amazon-Gründer Jeff Bezos: „Deine Marge ist meine Chance“. Dauerhaft überdurchschnittliches Wachstum erzielen daher nur solche Unternehmen, die über anhaltende Wettbewerbsvorteile verfügen. Markenrechte, Patente, innovative Produktions- oder Vertriebsverfahren oder besondere Instrumente der Kundenbindung. Fisher kombinierte als einer der Ersten Wachstum und Qualität zu einem Investmentstil, den man heute „Quality Investing“ nennt. „Die wirklich hervorragenden Unternehmen zu finden und mit ihnen durch all die Schwankungen des Marktes zu gehen, hat sich für wesentlich mehr Leute als wesentlich gewinnbringender erwiesen, als zu versuchen, Aktien billig zu kaufen und teuer zu verkaufen.“ (Philip A. Fisher) Er gewinnt immer mehr überzeugte Value-Investoren, unter ihnen bekannte Größen wie Warren Buffett, Charlie Munger, Peter Lynch, Jeremy Grantham, Charles T. Akre oder Tom Russo. Der Preis zählt (auch) Wenn nun etwas besonders hochwertig ist, dann kostet es auch entsprechend mehr. „Qualität hat ihren Preis“, kennt man ja. Das bedeutet allerdings nicht im Gegenzug, dass der Preis gar keine Rolle spielt und man Qualitäts-Aktien zu jedem Kurs kaufen sollte. „Man sucht nach falsch bewerteten Anlagen. Das ist Investing. Und man muss wissen, wann die Anlagen falsch bewertet sind. Das ist Value Investing (…) Jedes intelligente Investieren ist das Investieren in Werte – mehr bekommen als das, wofür du bezahlst. Investieren ist, wenn du einige großartige Unternehmen findest und dann auf deinem Hintern sitzt.“ (Charlie Munger) Der Aktienkurs bleibt ein wesentlicher Bestandteil des Investierens. Denn je preisgünstiger man eine Aktie kauft, desto geringer ist das Risiko und umso höher die Erfolgsaussichten. Microsoft Microsoft ist eines der wertvollsten Unternehmen der Welt, das mit zweistelligen Umsatz- und Gewinnzuwächsen glänzt. Eine Freude in jedem Anleger-Depot. Aber das war nicht immer so. Wer Microsoft auf dem Höhepunkt des Internet-Booms im Jahr 2000 kaufte, musste rund 15 Jahre warten, bis die Aktie sich wieder erholt hatte. In der Zwischenzeit war aus dem einstigen völlig übertrieben bewerteten Wachstums-Unternehmen sogar ein sterbender Dinosaurier geworden, bevor er vor sechs Jahren vom neuen CEO Satya Nadella mit der neuen Strategie „mobile first, cloud first“ wieder zu einem Technologie-Powerhouse wurde. Amazon Auch der einstige Internet-Buchhändler stürzte beim Platzen der Internetblase um mehr als 90 Prozent ab und sein Aktienkurs brauchte knapp 15 Jahre, um sich davon wieder zu erholen. Dabei sind sowohl Microsoft als auch Amazon heute das Zigfache von dem Wert, was die Unternehmen vor 2000 darstellten. Aber der Kurs hatte viele Jahre an positiver Unternehmensentwicklung vorweggenommen und damit waren diese Aktien lang Zeit keine guten Investments. Deutsche Telekom Nun könnte man sagen, mit genügend langem Atem und ausreichend Geduld werden auch überteuerte Investments irgendwann zu „Gewinner-Aktien“. Den Zahn kann man sich schnell selbst ziehen, wenn man sich mal die Deutsche Telekom mal vornimmt. Seit Jahren hört man nur Erfolgsmeldungen, vornehmlich aus den USA, wo die Tochter T-Mobile US vom Groschengrab zur Gelddruckmaschine geworden ist unter der Führung von John Legere. Die Umsätze, der Cashflow und die Gewinne stellen die Werte von vor 20 Jahren total in den Schatten, aber der Aktienkurs… nun, im Jahr 2000 übersprang er kurzfristig mal die Marke von 100 Euro. Es folgte ein gnadenloser Absturz und seit Anfang 2002 hat er die Marke von 20 Euro nie wieder von oben gesehen. Mit anderen Worten: Selbst wer „erst“ Anfang 2002 bei der Deutschen Telekom eingestiegen ist, sitzt bis heute auf Kursverlusten. Die zwischenzeitlichen Dividenden konnten das nicht ausgleichen. Geduld und Ausdauer sind also keine Patentlösungen, wenn man aufs falsche Pferd gesetzt hat. Man muss in der Lage sein, seine Fehler zu erkennen, und dann auch konsequent zu bereinigen. Auch das gehört dazu, wenn man eine ansehnliche Rendite an der Börse einfahren möchte. Mein Fazit Man sollte also auf Qualität und Wettbewerbsvorteile setzen und das zu einem möglichst günstigen Preis. Dann muss man nur noch darauf achten, dass diese Qualität erhalten bleibt. Denn auch einstige Gewinner bleiben vor Veränderungen nicht verschont. So war Sears, der Erfinder des Warenhaus-Katalogs, einmal das wertvollste Unternehmen der Welt. Inzwischen hat es Insolvenz angemeldet. Auch General Electric war jahrzehntelang das Maß aller Dinge und der wertvollste Konzern der Welt. Momentan ist die Aktie nach US-Maßstäben ein Pennystock und das Unternehmen kämpft ums nackte Überleben. Über die deutschen Automobil-Ikone Daimler oder Fluggesellschaften mit ihren vormaligen enorm starken Wettbewerbspositionen muss man auch kaum ein Wort verlieren. So schön die Autos auch sind, als Quality Investments taugen diese Aktien nicht (mehr). Am Ende bleibt es einfach: Qualität kaufen, nach ökonomischen Burggräben Ausschau halten, in Wachstums-Branchen investieren – und möglichst günstig einsteigen. Das ist immer wieder mal möglich, weil die Börsen zu Übertreibungen neigen. Anfang 2016 brach der Kurs von Amazon auf 500 Euro ein, er erholte sich in den nächsten Wochen wieder. Ende 2018 fiel er wie ein Stein auf 1.500 Euro und erst Anfang 2020 konnte er diese Marke wieder überwinden. Ende März auf dem Corona-Tiefpunkt stürzte er erneut auf 1.500 Euro ab, während er seitdem wieder unaufhörlich klettert und nun sogar Richtung 3.000 Euro strebt. Auch Microsoft gibt es ausnahmsweise mal zu Schnäppchenkursen. Ende 2018 fiel die Aktie um 15 Prozent und Corona schickte sie um 25 Prozent in den Keller, bevor sie jüngst neue Allzeithochs markierte. Viele wünschen sich, sie hätten bei diesen günstigen Gelegenheiten zugegriffen. In der Rückschau sieht alles so eindeutig aus. Aber während der Kursabstürze gab es gute Gründe, auch diese Qualitäts-Aktien abzustoßen. Jedenfalls dachten viel so und kegelten sie aus ihren Depots. Während andere beherzt zugriffen. Börsenaltmeister André Kostolany nennte diese Anleger die „Hartgesottenen“. Sie kauften die Qualitäts-Aktien, als sie dank der „Zittrigen“ zu Ausverkaufspreisen zu haben waren. Weil sich ihre Qualität auf mittlere und lange Sicht durchsetzt und kurzfristige Erschütterungen Chancen darstellen und nicht Risiken, so wie die meisten Anleger die Lage dann gerade fehlinterpretieren. Übrigens, man muss nicht immer auf einen 25%-igen Rücksetzer warten, um günstig in Qualitäts-Werte einsteigen zu können. Gerade bei der Vorlage von Quartalszahlen kommt es immer mal wieder zu heftigen Kursschwankungen und da kann man sich auf die Lauer legen und abstauben. Natürlich muss bereit sein, genau dann zuzugreifen, wenn die Presse voll von Schlagzeilen ist, das Wachstum bei Amazon sei vorbei und das Unternehmen von nun an auf dem absteigenden Ast. Ignorieren! Eine solche dramatische Entwicklung zeigt sich nicht an einem Quartalsergebnis, sondern ist eine sich länger hinziehende Entwicklung. Ein Siechtum wie bei IBM oder der Commerzbank. Ganz selten verendet ein Qualitäts-Unternehmen es mit einem überraschenden Paukenschlag. In der Corona-Krise kann das natürlich passieren und so sollte man immer auch auf solide Bilanzen achten, auf einen niedrigen Verschuldungsgrad, Cash-Reserven und positive Cashflows. Rücksetzer im Zuge von Quartalszahlen sind zumeist kurzfristiger Natur und nur kleine Schlaglöcher auf dem Weg in höhere Kursregionen. Schlaglöcher, an denen man relativ günstig zusteigen kann. In den Porsche wohlgemerkt, nicht in den wurmstichigen Lada... Die heutige Ausgabe entstand wieder in Zusammenarbeit mit Michael C. Kissig, Value Investor und Betreiber des Blogs iNTELLiGENT iNVESTiEREN. Autorenprofil Michael C. Kissig studierte nach Abschluss seiner Bankausbildung Volks- und Rechtswissenschaften und ist heute als Unternehmensberater und Investor tätig. Neben seinem Value-Investing-Blog „iNTELLiGENT iNVESTiEREN“ verfasst er regelmäßig eine Kolumne für das „Aktien Magazin“. | | Hinweispflicht nach §34b WpHG: Der/die Verfasser ist/sind in ein oder mehreren der oben genannten Wertpapieren/Basiswerten zum Zeitpunkt des Publikmachens des Artikels investiert: Amazon & Microsoft. Es können daher Interessenskonflikte vorliegen. Die in diesem Artikel enthaltenen Angaben stellen keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar.
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