Kurt Kister gibt Einblick in deutsche Alltagsmomente
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3. Februar 2023
Deutscher Alltag
Guten Tag,
dieser Tage war ich wieder mal im Büro. Weil ich schon viel früher als die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern freiwillig einen Chefposten geräumt habe, genieße ich in der nicht mehr langen Zeit, bevor ich in den Ruhestand verschwinde, das Privileg, zu kommen oder zu gehen, wie es Ardern und mir gefällt. Schreiben kann man von zu Hause aus genauso, denken vielleicht sogar besser (jedenfalls deutet manches, was so in Büros gedacht wird, darauf hin). Hin und wieder schwappt der Büropräsenzalltag allerdings doch in mein Austragsstüberl, zum Beispiel, wenn mir jemand eine Mail zeigt, in der die Geschäftsführung zu einer Führungskräftetagung einlädt (Gott sei Dank nicht mehr mich).

Da liest man dann, man tage „in Präsenz in externen Locations“. Auf Deutsch heißt das, dass man sich in München trifft, aber nicht im Bürohaus. Im Zeitungsverlag – eigentlich gibt es ja keine Zeitungsverlage mehr, sondern nur noch digitale Kommunikationsfirmen – sprachen Geschäftsführer und dergl. schon immer gerne eine Sprache, die man in der Zeitung nicht drucken würde. Dafür unterschreiben sie heute, locker wie das 21. Jahrhundert ist, so eine Einladung mit „Christian, Herbert, Karli und Dominik“. Wenn ich das lese, denke ich nicht an eine Geschäftsführung, sondern an eine Volksmusikgruppe, die aus religiösen Gründen keine Frauen aufnimmt.

Zur wertschätzenden zwischenmenschlichen Kommunikation in der Firma gehört auch unbedingt die Frage: „Wie geht’s dir?“ (Wer im Februar ’23 nicht jeden und jede duzt, muss eine Abmahnung befürchten.) Würde man die Frage ehrlich beantworten, müsste man in sieben von zehn Fällen sagen: „Das geht Sie eigentlich nichts an.“ Bei zweien müsste die Antwort lauten: „Das interessiert Sie doch nicht wirklich.“ Und einmal könnte man sagen „Mein Knie tut wieder weh, und abends tränen mir immer die Augen.“ Heute Nachmittag bin ich ganz froh, wieder mal hier zu sein. Aber dann treffe ich gleich vor dem Aufzug den Dings, dessen Texte sich immer noch so lesen wie vor 20 Jahren, obwohl er mittlerweile so aussieht, als seien 30 Jahre vergangen.

Macht man nicht. Man sagt: „Ganz okay, danke.“ Oder: „Alles gut.“ „Alles gut“ ist eine jener sprachparasitischen Floskeln, die man dauernd hört, weil niemand darüber nachdenkt, dass nie alles gut ist. „Alles gut“ hat den Platz von „alles klar“ eingenommen. Vor ein paar Jahren oder vielleicht auch vor zwei Jahrzehnten war immer „alles klar“. Das ist übrigens die einzige Phrase, die es aus dem Bundeswehr-Deutsch in den Sprachalltag geschafft hat. In der Armee konnte man sich vor „Alles klar“ sagenden Feldwebeln und Dito-Offizieren nicht retten. Der Zustand der Bundeswehr sowie der Zustand so gut wie aller Verteidigungsminister (m/w/d) belegt bis heute, dass nie alles klar war. Dass dieses Geschwätz ins Zivilleben diffundierte, hatte auch mit der Wehrpflicht zu tun. Das ist einer der vielen Gründe dafür, dass man die Wehrpflicht nicht wieder einführen sollte.

Also: Alles war nie klar, und alles ist auch nicht gut. „Alles gut“ ist längst nur noch ein Geräusch, das anzeigen soll, dass man den anderen wahrgenommen hat. Man könnte auch genauso aussagekräftig „Krawutz“ sagen.

„Wie geht es dir?“ „Krawutz.“

Bei Führungskräften ist es beliebt, ein sogenanntes Personalgespräch auch mal mit der Frage „Wie geht es dir/Ihnen?“ zu beginnen. Die Führungskraft (FK abgekürzt, auch wenn die Abkürzung FK in der Armee für Flugkörper steht) muss Personalgespräche führen, weil man das heute so macht. Man macht das heute so, weil die Abteilung Human Resources, die früher mal Personalabteilung hieß, das so will. Als gescheite FK redet man zwar sowieso dauernd mit den Leuten, aber man redet nicht so mit den Leuten, wie es das HR-Personalleitfadenführungsgesprächedings vorsieht. In besonders woken Firmen heißen die Personalabteilungen übrigens jetzt People & Culture oder People Empowerment. Wenn man eingespart wird, ist es wurscht, ob der Brief mit „i. A. Personalabt.“ unterschrieben wird oder mit „Senior Manager People & Culture“.

Weil ich selbst mal FK war, erinnere ich mich an manche Krawutz-Situation. Da sitzt man zum Beispiel einem Menschen gegenüber, den man seit 20 Jahren kennt. Man weiß, wann und warum er, oder auch sie, unglücklich ist, zumindest beruflich, und man weiß auch, dass man ihm jedes Jahr sagt, er soll nicht immer nur die schreiben lassen, die er sympathisch findet. Man weiß auch, dass die, die er sympathisch findet, er manchmal auch deswegen sympathisch findet, weil sie schreiben können. Was für eine Zeitung nicht schlecht ist.

Also fragt man ihn erst mal: „Wie geht es dir?“ Wenn er darauf sagt: „Hmmmpf, geht so, grrrmbl, zu viele Konferenzen, hmmpf, würde gerne mal wieder selber, grrrgl, alle so dumm, und ich bin ihr Chef ...“, dann fragt man weiter: „Wo möchtest du eigentlich in drei Jahren sein?“ Spätestens dann sagt er: „Krawutz“, auch wenn er es anders und länger ausdrückt. Anschließend redet man noch über andere, die man auch seit Langem kennt und die nicht da sind. Dann lacht man miteinander ein bisschen, lästert weiter und füllt anschließend den Personalgesprächsbogen nach dem Motto „Alles klar, alles gut“ aus.

So darf man das nicht machen in einer modernen Firma? Ja, wahrscheinlich. Unter anderem deswegen haben Jacinda Ardern und ich aufgehört. Krawutz.
Kurt Kister
Redakteur
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