Liebe Frau Do, bisher bin ich noch nicht wieder ausgegangen. Ich war noch nicht so weit. Mein Lieblingslokal um die Ecke erhebt einen Hygieneaufschlag von einem Euro pro Gast. Das würde mich nicht abhalten, aber ganz richtig finde ich es trotzdem nicht. Schließlich habe ich als Steuerzahler schon Soforthilfen und Kurzarbeitergeld mitfinanziert, und ab Juli gilt eine ermäßigte Mehrwertsteuer auf Speisen. Aber das eine Lokal ist kein Sonderfall, viele Gaststätten machen es ähnlich, wie Christian Kandzorra recherchiert hat. Vermutlich müssen wir uns daran gewöhnen. Unser stellvertretender Chefredakteur Horst Thoren sieht es noch kritischer als ich und spricht von Abzocke. Unterm Strich ist der Hygieneaufschlag im Lokal oder auch beim Friseur überschaubar, die Kosten der Pandemie für den Steuerzahler sind es nicht. Die neue Steuerschätzung erwartet für die Jahre 2020 bis 2024 insgesamt 316 Milliarden weniger Staatseinnahmen als zuletzt angenommen. Das Rechenwerk markiert den Startschuss für einen Verteilungskampf, den Birgit Marschall und Maximilian Plück beschreiben. Denn wenn die Einnahmen sinken, kann der Staat das entweder durch niedrigere Ausgaben (sehr unwahrscheinlich), noch höhere Schulden (sehr wahrscheinlich) oder höhere Steuern (sehr wahrscheinlich, aber etwas später) kompensieren. Und weil das so ist, empfiehlt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) die nächste geplante Rentenerhöhung geringer ausfallen zu lassen, wie unsere Wirtschaftschefin Antje Höning recherchiert hat. Und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier stellt die Umsetzung der Grundrente infrage, wie er Kristina Dunz und Eva Quadbeck im Interview sagte. Dass der Christdemokrat als erstes das Herzensprojekt der SPD torpediert, während die Groko im Bund noch gut ein Jahr halten soll, ist sicher kein Zufall. „Ich würde alles auf den Prüfstand stellen, was nicht jetzt zwingend nötig ist.“ Die geplante Milliardenhilfe für die Lufthansa gehört für ihn übrigens nicht dazu. Auf Dividenden für die Aktionäre solle aber ein staatlich gerettetes Unternehmen „zumindest für eine gewisse Zeit“ verzichten. Habe ich eben geschrieben, Steuererhöhungen seien wahrscheinlich, kämen aber erst etwas später? Spätestens nach der Bundestagswahl 2021 können Sie fest damit rechnen. Die SPD sagt das ehrlicherweise schon jetzt, auch wenn sie danach wohl eher nicht regieren wird. „Nach der Krise muss in der Besteuerung von hohen Einkommen und Vermögen etwas passieren: Diejenigen, die auch nach der Krise viel besitzen, sollten einen größeren Anteil an der krisenbedingten Last tragen als bisher“, sagt der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lothar Binding. Doch was er heute offen sagt, wird die neue Bundesregierung – egal in welcher Konstellation – umsetzen. Wahrscheinlich haben Sie bisher nicht gemerkt, dass die Redaktion seit Ende Februar mehrheitlich und inzwischen fast vollständig im Homeoffice arbeitet. Die Erfahrungen sind gemischt, aber wir kommen ganz gut klar – und viel besser, als wir vorher gedacht hätten. Dass nun ausgerechnet die Deutsche Telekom vor zu viel Homeoffice warnt, finde ich überraschend. Für Familien geht es oft gar nicht anders, denn in den Kitas und Schulen in NRW läuft es noch ziemlich drunter und drüber, wie Kirsten Bialdiga und Henning Röser berichten. Nicht zuletzt die Debatten um die Finanzierung der Pandemiefolgen zeigen: Das dicke Ende kommt erst noch. Uns bleibt nur Gelassenheit und Fröhlichkeit. Vielleicht gehe ich heute Abend doch mal aus. Den einen Euro kann ich auch schlechter ausgeben. Bis morgen! Herzlich Ihr Moritz Döbler Mail an die Chefredaktion senden P.S.: Wenn Ihnen dieser Newsletter gefällt, empfehlen Sie die "Stimme des Westens" weiter! |