Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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15. Oktober 2023
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
8,4 Prozent! Als am vergangenen Sonntag das beschämend mickrige Wahlergebnis der bayerischen SPD am Bildschirm aufleuchtete, hatte ich Mitleid. Ich hatte Mitleid mit dieser so klein gewordenen Partei mit der so großen Geschichte. Mit dieser Partei verbinden sich Namen wie der von Wilhelm Hoegner, der die bayerische Verfassung geschrieben hat und zweimal bayerischer Ministerpräsident war. Und zu dieser bayerischen SPD gehört der Korbmacher Albert Roßhaupter, der am 29. April 1933, nach Hitlers Machtergreifung, der letzte Abgeordnete war, der eine Rede gegen die Nazis gehalten hat, der dann im KZ Dachau interniert war und nach dem Krieg stellvertretender Ministerpräsident wurde.

8,4 Prozent! Schon bei der bayerischen Landtagswahl von 2018 waren es nur 9,3 Prozent gewesen und man hatte gedacht, dass es nicht mehr schlimmer geht. Es ging noch schlimmer. Mir ist am Wahlabend der Satz eingefallen, der fälschlicherweise dem italienischen Politiker Giulio Andreotti zugeschrieben wird, der in 33 Regierungen saß und sieben Mal Regierungschef war: „Macht nutzt den ab, der sie nicht hat“. Diese politische Weisheit stammt aber nicht von Andreotti; der Italiener hatte sie sich vom französischen Staatsmann Talleyrand ausgeliehen, der in allen Regimen seiner Zeit hohe Ämter innehatte: Macht nutzt den ab, der sie nicht hat. Seit 1957, seit 66 Jahren, sitzt die SPD, weit weg von Macht und Regierung, im bayerischen Landtag in der Opposition. Nur in der Zeit, als Renate Schmidt die Partei- und Fraktionschefin in Bayern war, gelang ihr der große Ruck: Dank der zupackenden Herzlichkeit der Spitzenkandidatin kam die Bayern-SPD auf dreißig Prozent. Der Ruck hielt nicht an.

Auflösen und neu gründen

Macht nutzt den ab, der sie nicht hat. Über die Richtigkeit des Satzes kann man lange sinnieren. Nutzt sie nicht, wie sich am Beispiel der CSU zeigt, auch den ab, der sie hat? Die CSU regiert in Bayern seit 1957, seitdem stellt sie alle Ministerpräsidenten – und trotzdem (oder gerade deswegen?) bröckeln ihre Wahlerfolge. Sie schafft nicht einmal mehr die vierzig Prozent, die in nicht lang zurückliegenden Zeiten als Desaster gegolten hätten; die absolute Mehrheit ist zur Fata Morgana geworden. Die kleiner werdende CSU hat sich in ihrer Not an die Freien Wähler des Hubert Aiwanger gekettet. Von den Schwierigkeiten, die das mit sich bringt, handelt mein heutiger SZ-Plus-Text: „Befreit Aiwanger“.
SZPlus Prantls Blick
Aiwangers Befreiung
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Zur bayerischen SPD kommt mir an dieser Stelle noch ein bitteres Bonmot in den Sinn, das Albert Schmid, ihrem einstigen Fraktionschef, nachgesagt wird: „Auflösen und neu gründen.“ Aber so einfach entkommt man den Problemen nicht, nicht einmal den Problemen in Bayern. Von den anderen Problemen, die einen in Furcht und Schrecken versetzen, gar nicht zu reden.

Stellen Sie sich trotzdem (oder gerade deshalb) für die kommende Woche einen Strauß mit Herbstastern auf den Tisch – bevor die Eisblumen kommen.

Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Lübke war besser als sein Ruf
Es kommt vor, dass ein einziges Wort einem den Kopf neu einrichtet, dass ein einziges Wort den Blick auf einen Politiker verändert. Der Politiker, bei dem mir das soeben passierte, ist schon lange tot – es handelt sich um Heinrich Lübke. Der zweite Bundespräsident der Bundesrepublik galt mir als ein etwas täppischer, silberhaariger Herr, der auf seine alten Tage seine Sinne nicht mehr ganz beieinander hatte. Auf ein einziges Wort hin habe ich damit begonnen, mein abfälliges Urteil über Lübke zu revidieren.

Das Wort heißt: „Creifelds“. Creifelds war der Namensgeber eines anspruchsvollen Rechtswörterbuchs, das seit meinem zweiten Jura-Semester bei mir im Bücherregal steht – mit vielen handschriftlichen Anmerkungen, die ich da im Lauf der Studienjahre gemacht habe. Der Historiker Norbert Frei berichtete bei der Vorstellung seines Buches über „Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit“ davon, dass Lübke es abgelehnt habe, diesen Carl Creifelds zum Richter am Bundesgerichtshof zu ernennen: Er weigerte sich beharrlich, die Ernennungsurkunde zu unterschreiben; selbst nach zweistündiger Vorsprache einer Delegation des Richterwahlausschusses ließ sich Lübke nicht erweichen. Das hatte seinen guten Grund: Creifelds war, entgegen seiner Selbstauskunft, als Jurist im NS-Reichsjustizministerium gewesen, dort als Staatsanwalt zuständig für die kriegsverbrecherische Strafverordnung gegen Polen und Juden in den besetzten Ostgebieten; ein eifriges Mitglied der SA war er auch.

Lübke, das lernte ich anhand dieses Falls, war sehr reserviert gegenüber politisch Belasteten – ob es um Ordensverleihungen ging oder um die Bestätigung von Botschaftern. Und er lehnte es ab, Urkunden zu unterzeichnen, die belasteten Ministerialbeamten am Ende ihrer Dienstzeit für die „dem deutschen Volk geleisteten treuen Dienste“ dankte. Ich lernte beim Nachlesen, was ich nicht gewusst hatte: Lübke hatte 1934/35 zwanzig Monate in NS-Untersuchungshaft gesessen, als Opfer der Gleichschaltungspolitik der Nazis. Mit Gustav Heinemann, dem dritten Bundespräsidenten, so legt Norbert Frei dar, verbindet Lübke mehr als gemeinhin angenommen wird.

Das sind überraschende Erkenntnisse. Und überraschend ist auch der nuancierte und differenzierte Blick von Frei auf den vielgerühmten Richard von Weizsäcker und seine Rede vom 8. Mai 1985. Weizsäcker hätte sich in dieser berühmten Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes beinah für die Freilassung des „Führer“-Stellvertreters Rudolf Heß aus der Vier-Mächte-Haft eingesetzt – „was seine Rede wohl um ihre Wirkung gebracht hätte“.  Das Buch mit dem Titel „Im Namen der Deutschen“ ist ein beeindruckendes und scharfsichtiges Protokoll des Auf und Ab der Vergangenheitsbewältigung an der bundesdeutschen Staatsspitze.

Norbert Frei: Im Namen der Deutschen. Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit. Das Buch ist soeben im Verlag C.H.Beck erschienen, es hat 377 Seiten und kostet 28 Euro.
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SZPlus
Ein gutes Haar
Seit dem 24. Februar 2022 gibt es kaum noch einen Text, der am früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder auch nur ein gutes Haar lässt. Das Urteil über ihn ist stets ein Urteil gegen ihn und von A bis Z giftig. Er ist wegen seiner Freundschaft zu Putin zu einem Verstoßenen geworden. Er wird behandelt wie ein Unberührbarer. Viele Genossen, die ihm früher nicht nah genug sein konnten, wollen ihn nicht einmal mehr grüßen. Wie ergeht es einem so verketzerten Mann?  Michael Bauchmüller, Georg Ismar und Nicolas Richter haben in Berlin und Hannover mit ihm geredet und auf der Seite 3 der SZ-Wochenendausgabe ihre Eindrücke von einem Ex-Kanzler spannend aufgeschrieben, zu dessen Kennzeichen gestern wie heute beharrliche Sturheit und trotziger Eigensinn gehören. Es handelt sich um ein politpsychologisches Protokoll.
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