Liebe/r Leser/in, es war eine der aufregendsten Nächte der jüngeren Weltgeschichte, und als am 9. November 2016 dann morgens die Sonne aufging, hatten wir in der FOCUS-Redaktion auch schon den aktuellen Titel fertiggestellt. Die Schlagzeile lautete: Weltmacht Wut. In jener Nacht verfolgten wir, wie Milliarden Menschen weltweit, die Liveberichte der US-Sender zur wichtigsten demokratischen Wahl auf diesem Planeten: Wen würden die amerikanischen Bürger ins Weiße Haus wählen – die Demokratin Hillary Clinton oder etwa jenen schrillen Milliardär, der es wagte, einen Wahlkampf komplett gegen das Establishment der Vereinigten Staaten zu führen. Alle Umfragen zeigten damals Clinton bis zuletzt vorn. Trumps Aufstieg, so wünschten es sich die meisten politischen Kommentatoren in Übersee wie hierzulande, sollte in dieser Nacht enden. Doch sein Aufstieg begann in dieser Nacht. Er gewann die Wahl. War keine Lachnummer mehr. Die Realität hatte die politische Korrektheit geschlagen – Weltmacht Wut. In den USA stellt sich in wenigen Wochen nun wieder die Frage, wer die kommenden vier Jahre im Weißen Haus das Sagen hat. In den Umfragen liegt der demokratische Herausforderer Joe Biden deutlich vorne. Und wieder, so sehen wir, sind die politischen Beobachter (insbesondere die mit der linksliberalen Brille) sicher: Trump kann nicht gewinnen. Als hätten all die Polit-Propheten die Nacht vor vier Jahren vergessen … Einer, der anders und überraschender argumentiert, ist der amerikanische Unternehmer Peter Thiel. Der Tech-Tycoon, der mit der Erfindung von Paypal und seinem frühen Einstieg bei Facebook zum Multimilliardär aufstieg, erklärte jetzt in einem faszinierenden Gespräch mit der Schweizer „Weltwoche“, warum die Wahl längst nicht entschieden sei. Peter Thiel, ein leidenschaftlicher Nonkonformist, zählt auf, was für Donald Trump spricht: Er gehe als „Underdog“ in diesen Kampf – und dies sei vermutlich auch die „richtige Position“ für jemanden, der gegen das Establishment antrete. Auf seine Art, so Thiel, sei Trump ein authentischer und ehrlicher Politiker. Er sei nach wie vor die Alternative zu dem, „was man vorher unhinterfragt für richtig gehalten“ habe. Und: Thiel unterstützt Trump nach wie vor, weil er glaubt, dass dessen „Verurteilung der Zustände“ wahrer sei als die „politisch korrekte Lüge des Mitte-links-Establishments“. Außerdem hält er ihn für den ersten US-Präsidenten des Internetzeitalters, eben weil er gar kein Interesse mehr habe, sein Image TV-tauglich glattzubügeln. Den Wahlkämpfer Trump sieht Thiel in einer „Bergaufschlacht“. Und das die noch längst nicht entschieden ist, schreibt inzwischen auch die US-Zeitschrift „Vanity Fair“, obwohl sich auch innerhalb der Republikaner neuer Widerstand gegen den eigenen Kandidaten formiert (lesen Sie dazu Seite 38). Trump und die Republikaner, so heißt es bei „Vanity Fair“, deren Reporter den Nominierungsparteitag der Republikaner in dieser Woche beobachteten, würden eine Art „biblischen Kapitalismus“ propagieren, dem die Demokraten womöglich nichts entgegenzusetzen hätten. Ob Thiel und die Reporter von „Vanity Fair“ richtigliegen? Ich weiß es nicht. Ich bin gespannt und neugierig. Und habe vor vier Jahren gelernt: Man sollte Trump nicht abschreiben. |