Ausgabe vom 17.11.2020

Mehr Impfstoffe bedeuten nicht mehr Wirtschaftswachstum

Mehr Impfstoffe bedeuten nicht mehr Wirtschaftswachstum
von Sven Weisenhaus

Gestern hat sich wieder einmal gezeigt, dass an den Börsen die Zukunft gehandelt wird. Zuvor hatte es am Wochenende reihenweise Meldungen über steigende Infektionszahlen gegeben, wodurch sich weitergehende Einschränkungen oder zumindest eine Verlängerung der bestehenden Maßnahmen abzeichneten. Eigentlich wäre dies ein Grund für fallende Aktienkurse, schließlich würden dadurch die Wirtschaft und damit die Unternehmensgewinne belastet. Doch für die Börsen war dies kein Problem. Sie setzten weiterhin darauf, dass in Zukunft ein Corona-Impfstoff dazu beitragen wird, dass die Wirtschaft wieder normal läuft.

Auch bei Impfstoffmeldungen zeigt sich ein Gewöhnungseffekt

Die Aktienkurse stiegen entsprechend. Befeuert wurden sie, genau wie am Montag der vergangenen Woche, durch eine Meldung über eine hohe Wirksamkeit eines in der Entwicklung befindlichen Corona-Impfstoffs. Dieses Mal meldete die Firma Moderna positive Daten aus einer klinischen Studie. Die Aktienkurse machten dadurch erneut einen Satz nach oben. Doch nun fiel er bei weitem nicht so stark aus wie bei der Meldung der Partnerfirmen Biontech und Pfizer vom Montag vergangener Woche. Und damit zeigte sich neben der Tatsache, dass die Börsen die Zukunft handeln, ein weiteres Phänomen der Märkte: der Gewöhnungseffekt.

Mehr Impfstoffe bedeuten nicht gleich mehr Wirtschaftswachstum

Dieser ist in diesem Fall logisch. Denn wo würden die Märkte hin wandern, wenn jetzt jede Meldung über positive Ergebnisse bei klinischen Studien in Sachen Coronavirus die Aktienkurse um 5% nach oben katapultieren würde?! Schnell würden die Märkte die fundamentale Entwicklung der Wirtschaft nicht mehr adäquat widerspiegeln. Schließlich befinden sich aktuell, wie vor genau einer Woche berichtet, mehr als 200 Covid-19-Impfstoffe in verschiedenen Entwicklungsphasen, so dass es in Zukunft zu vielen weiteren positiven Meldungen kommen wird. Genauer gesagt: Waren es vor einer Woche noch 225 Impfstoffe, so sind es inzwischen sogar schon 238, wie die folgende Grafik von Statista zeigt.

Covid-19-Impfstoffe

Der größte Teil der wirtschaftlichen Normalisierung wird erreicht werden, wenn 60 % bis 70% der Bevölkerung durchgeimpft oder bereits durch Infektionen (zumindest teilweise) immunisiert sind. Ein zweiter, dritter oder gar vierter Impfstoff dürfte den Prozess, wenn überhaupt noch, lediglich etwas beschleunigen. Er wird auf jeden Fall nicht jeweils das Wirtschaftswachstum antreiben.

Viel besser als der Moderna-Impfstoff geht es kaum

Der Impfstoff von Moderna kann gegenüber der Biontech/Pfizer-Entwicklung vor allem mit Vorteilen bei der Haltbarkeit punkten. Er benötigt eine weniger kalte Lagerung und kann damit einfacher ausgeliefert und aufbewahrt werden. Moderna erwartet, dass der Impfstoff bei Kühlschranktemperaturen 30 Tage stabil bleibt und bis zu 6 Monate bei minus 20 Grad Celsius gelagert werden kann. Der Impfstoff von Biontech/Pfizer ist dagegen bei Kühlschranktemperaturen lediglich 5 Tage haltbar und muss bei minus 70 Grad geliefert und gelagert werden.

In diesem Fall scheint ein zweiter Impfstoff also den Impfprozess zu erleichtern und zu beschleunigen. Aber viel mehr sollte man nun nicht mehr erwarten. Und nach wie vor bleibt es dabei, dass die Impfstoffe zunächst noch die Hürde der Zulassung überspringen müssen und es wohl nicht vor dem 1. Quartal 2020 zum Beginn von breiten Impfungen kommen wird. Die moderatere Reaktion der Börsen von gestern ist also verständlich.

DAX bleibt unter dem Hoch vom Montag vergangener Woche

Der DAX blieb dabei trotz der erneut positiven Impfstoff-Meldung sogar unter dem Hoch vom Montag vergangener Woche (siehe rote Ellipse und roter Pfeil im folgenden Chart).

DAX - Chartanalyse

Immerhin konnte er beim anschließenden Rücksetzer aber die untere Linie eines zurückeroberten Aufwärtstrendkanals und damit die Seitwärtsrange der vergangenen Woche halten, wobei letzteres für die kurzfristige Charttechnik aktuell wichtiger erscheint.

Denn die Bullen müssen unverändert, wie am Freitag geschrieben, darauf hoffen, dass die kurzfristigen „Seitwärtskonsolidierungen nun nicht noch allzu lange anhalten, sondern sich die jüngsten impulsiven Aufwärtsbewegungen möglichst bald fortsetzen. Ansonsten drohen die Kurse nach unten wegzubrechen“. Und in diesem Fall muss man damit rechnen, dass sich die übergeordnete Seitwärtskonsolidierung fortsetzt. Die Bullen hätten dann eine sehr gute Chance für einen Ausbruch nach oben vertan und die Bären hätten wieder bessere Chancen auf Raumgewinne.


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Ihr
Sven Weisenhaus
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