| | | | | 6. Dezember 2024 | | Deutscher Alltag | | | |
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| | | | | um das gleich klarzustellen: Ich habe nichts gegen Weihnachtsmärkte. Sie gehören, ungefähr so wie Halloween, die deutsche Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung oder die Gemeinschaftssauna, zu jenen Phänomenen der späten westlichen Zivilisation, von denen man nicht weiÃ, ob sie Menetekel des bevorstehenden Untergangs oder Leuchtzeichen auf dem Weg in eine bessere Zukunft sind. Als Skeptiker neige ich zwar der Menetekel-Interpretation zu. Andererseits hätte die Welt schon viele bessere Anlässe gehabt, um unterzugehen, als einen sehr bevölkerten Weihnachtsmarkt in der betonierten Münchner FuÃgängerzone. Diese Art von urbaner Glühwein-Gemütlichkeit bleibt mir, um König Ludwig II. zu paraphrasieren, âein ewig Rätselâ. Allerdings muss man ja nicht alles, was man nicht versteht, auch ablehnen. Der Weihnachtsmarkt ist mir neulich zugestoÃen, weil er auf meinem Weg zur U-Bahn lag. Obwohl ich, nicht nur als Nahezulandbewohner, dem öffentlichen Nahverkehr aus verschiedenen Gründen ebenfalls skeptisch gegenüberstehe, habe ich ein Abonnement für das 49-Euro-Ticket, das die Benutzung der Ãffentlichen, wenn sie denn fahren, deutlich erleichtert. Weil das so ist, wird dieses Ticket jetzt teurer, und möglicherweise wird es in München auch abgeschafft. Das ist einerseits bedauerlich. Wäre ich nicht so gelassen, würde ich sagen: Es ist sogar hirnrissig. Andererseits aber existiert ein Antagonismus zwischen dem Einzelnen und dem Ganzen. Das Ganze besteht zwar aus den vielen Einzelnen, erweckt aber oft den Eindruck, der Einzelne sei mit seinen Bedürfnissen weniger wichtig als das Ganze. Weil dem Ganzen das 49-Euro-Ticket nicht genug Geld bringt, hat der Einzelne halt Pech gehabt. An jenem Sonntagabend, an dem ich den Weihnachtsmarkt überwand, tat ich das frohen Sinns. Zuvor nämlich war ich bei einer Veranstaltung, bei der einige Einzelne einer Anzahl anderer Einzelner sehr erfolgreich den Eindruck verschafften, es gäbe ein âWirâ, das die Vorstufe zu einem positiven Ganzen sein könnte und deswegen den Untergang verschöbe. Zwei Schauspieler, Stefan Wilkening und Johann von Bülow, unterstützt von der Akkordeonistin Maria Reiter, sprachen, rezitierten, sangen auf der Bühne des Münchner Künstlerhauses davon und darüber, wie es ist, Schauspieler zu sein (âWas Sie schon immer über Schauspieler wissen wolltenâ). Kein Stück, sondern eine geistvolle, witzige Revue, eine Kompilation der meistens guten Laune, sogar eine Reverenz an das Publikum, ohne das Schauspieler nicht sein können. Bülow und Wilkening mögen, nein: lieben ihren Beruf. Und wie schön ist es fürs Publikum, wenn eine Bühne auch ein Ort der Liebe wird. Das Theater, auch und gerade das in München, ist oft kein Ort der Freude, gar der Liebe. Es ist eher ein Ort der Belehrung, der EntäuÃerung und des verschärften Menetekelismus. Nicht häufig hinterlässt es beim Publikumseinzelnen ein gutes Gefühl. Muss es auch nicht. Die Welt ist ja schlecht genug. Selbst wenn die Welt schlecht ist, muss sie das nicht immer und überall sein. Strenge Menschen könnten diese Einstellung als Eskapismus bezeichnen. Das aber kann auch bedeuten, dass man das Schlechte als Normalität akzeptiert, von der man hin und wieder flieht. Nein, umgekehrt sollte es sein: Das Gute, auch das manchmal Leichte, das Angenehme, darf nicht das Ziel einer Flucht sein, sondern das, was man als Normalität sieht. Nicht die Krise ist der Dauerzustand â selbst wenn es sich manchmal so anfühlt. Ja doch, Gebrauchsphilosophie dieser Art lässt sich in München oder Salzburg leichter äuÃern als in Beirut oder Charkiw. Aber auch dort hält die Hoffnung auf den Zustand des Nichtkriegs, der Nichtkrise, des Friedens Menschen aufrecht. Das, was in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung 1776 âpursuit of happinessâ, Streben nach Glück, genannt wurde, ist kein Eskapismus. Es ist Menschlichkeit. Ein paar Tage vor der Veranstaltung im Künstlerhaus war ich im Münchner Lyrik-Kabinett. Da gab es eine Lesung von Gedichten des sehr uneskapistischen Poeten Peter Rühmkorf. Er war ein skeptischer Linker, ein Reimer in einer Zeit, in der andere nicht reimten, ein Ironiker, dem Ironie zum Schutzschild wurde, manchmal zur Haltung. Er schrieb auch Gedichte über die Liebe und ihr Vergehen. 2008 starb er mit 78 Jahren. Er wird nicht mehr viel gelesen, so wie es Lyriker und Poetinnen überhaupt schwer haben beim Publikum. Einer von Rühmkorfs Versen aus dem Gedicht âHochseilâ: âWer von so hoch zu Boden blickt, / der sieht nur Verarmtes, Verirrtes. / Ich sage: Wer Lyrik schreibt, ist verrückt. / Wer sie für wahr nimmt, wird es.â Rühmkorfs Gedichte wurden gelesen von drei älteren Herren, die das mit einer Intensität taten, die ausstrahlte, was man auch Tage später im Künstlerhaus bei den Schauspielern fühlte: Liebe zum Gegenstand, Liebe zu dieser Lyrik, Liebe zum Beruf. Stephan Opitz, Bernd Rauschenbach und Jan Philipp Reemtsma, Literaturwissenschaftler, Rühmkorf-Kenner und gebenedeite Rezitatoren, lieÃen die Gedichte in dem sehr kleinen Saal in Schwabing fast materialisieren. Die Worte wurden gegenständlich, die Reime schwebten, manchmal verhakten sie sich ineinander. Es war ein Vergnügen. Vergnügen? Wahrscheinlich ist es dieses Gefühl, das die einen im Künstlerhaus suchen und die anderen auf dem Weihnachtsmarkt. Ich lebe lieber auf dem Land als in der Stadt. Aber es ist schön, gerade vor Weihnachten, dass die Stadt mit Rühmkorf, mit Schauspieler-Geschichten und â auch das â mit Glühwein so nah ist. Vor allem mit dem 49-Euro-Ticket. | |
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