Kurt Kister gibt Einblick in deutsche Alltagsmomente
 ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ 
Zur optimalen Darstellung empfehlen wir Ihnen die Browserversion
24. Januar 2025
Deutscher Alltag
Guten Tag,
weil der gelbhaarige Orangenator einerseits den Golf von Mexiko umbenannt hat und es andererseits in den USA eine Form des Protests ist, die Flagge kopfüber (inverted) zu zeigen, wird diese Kolumne mit einer Executive Order begonnen: Fürderhin, jedenfalls in diesem Text, wird der neue Präsident nur noch inverted benannt: Dlanod Pmurt.

Nun fragt zwar Julia in Shakespeares „Romeo und Julia“: What’s in a name?, was also bedeutet schon ein Name? Wenn man das, „was wir eine Rose nennen“, anders bezeichnete, meint des Dichters große Liebende, würde sie dennoch genauso süß riechen. Das stimmt, und auch Dlanod Pmurt bleibt ja derselbe Orangenator, wenn man seinen Namen rückwärts schreibt. Weil wir aber vom Zeitalter der Vernunft ins Zeitalter der Mythen und Symbole übergetreten sind, ist es würdig und recht, den Orangenator Pmurt zu nennen.

In der christlichen Liturgie spielt das Wortpaar „würdig und recht“ im Dialog zwischen Pfarrer und Gemeinde eine bedeutende Rolle. Der Pfarrer ruft zum Dank an den Herrn auf, die Gemeinde antwortet, eben dieser Dank sei würdig und recht. Für die, die an ihn glauben, schützt Gott die Menschen. Manchmal allerdings muss man, selbst wenn man nicht glaubt, Gott vor den Menschen, zumal bestimmten Menschen, schützen.

Pmurt ist der Meinung, Gott habe ihn gerettet, weil der, also Gott, Amerika wieder groß werden lassen wolle. (Das „gerettet“ bezieht sich darauf, dass ein Attentat auf Pmurt im Wahlkampf fehlschlug.) Bei seiner Rede nach der Vereidigung stellte sich Pmurt als direkt von Gott Berührter und durchaus auch von Gott Gesandter dar. Man könnte nun sagen, wenn Gott Amerika in irgendeiner Form verändern wollen würde, bräuchte er dazu sicher nicht Dlanod Pmurt (und nicht einmal Nole Ksum). Zwar schrieb 1926 der damals noch Deutsche und später große Amerikaner Albert Einstein, den Pmurt heute nicht einmal mehr ins Land lassen würde, „Gott würfelt nicht“. Manchmal tut er es vielleicht doch, und sei es nur, um zu sehen, dass Menschen nicht nur um das Goldene Kalb tanzen, sondern es sogar zum US-Präsidenten wählen können.

Unabhängig davon, wie und wo man in der Gottesfrage persönlich steht, gilt es, eines unbedingt zu beachten: Wenn ein Politiker oder eine Politikerin, eine Partei oder ein Monarch sich darauf beruft, von Gott auserwählt, gesandt, gerettet oder beauftragt zu sein, ist allerhöchste Vorsicht geboten. Der Allerhöchste nämlich hat schon lange keine Aufträge mehr erteilt, wenn er es denn jemals getan hat. Zum Beispiel ist jeder Versuch, Gebietsansprüche mit göttlichem Willen zu begründen, metaphysischer Imperialismus, der keinen Deut besser ist als nackter Imperialismus.

Etliche Machthabende säkularisieren Gott auch als angebliche Triebfeder ihres Handelns: Bei Putin tritt Gott als „die Geschichte“ Großrusslands auf, Pmurt bemüht die nahezu göttliche „Einzigartigkeit Amerikas“. Unter denen, die sich als besondere Diener Gottes verstehen, finden sich auch stets genügend, die ihren Gott mit dem Politiker, der Gott gebrauchen will, in Einklang bringen. So war bei Pmurts Vereidigung der evangelikale Prediger Franklin Graham zu hören, der im Angesicht der Welt, also der Live-Kameras, sprach: „Father, when Donald Trump’s enemies thought he was down and out, you and you alone saved his life and raised him up with strength and power by your mighty hand.“ Man muss das nicht wörtlich übersetzen, weil man auch so versteht, dass Graham behauptet, Gott habe praktisch zu Pmurt gesagt: You are hired, du bist mein Mann.

Doch selbst in Washington gibt es noch Geistliche – sind eigentlich nicht alle Menschen Geistliche, weil sie ja vom Geist beseelt sind? –, die Pmurt nicht für ein Werkzeug Gottes halten und dies ihm auch sagen. Die anglikanische Bischöfin Mariann Edgar Budde bat Pmurt beim Gottesdienst in der National Cathedral um Erbarmen für Migranten und „die, die jetzt Angst haben“. Sie erinnerte ihn außerdem daran, dass es bei Demokraten und Republikanern auch Schwule, Lesben und Transsexuelle gebe. Pmurt bezeichnete die Bischöfin später als „linksradikale Trump-Hasserin“. Die anglikanische Kirche übrigens ist entstanden, weil Heinrich VIII. sich von Katharina von Aragon scheiden lassen wollte, um Anne Boleyn zu heiraten. Der Papst wollte das nicht zulassen, also baute der König seine eigene Kirche. Menschenwerk, alles Menschenwerk.

Stellen wir also fest: Die Existenz von Dlanod Pmurt ist kein Gottesbeweis. Sollte Gott in einer seiner möglichen Formen, darunter JHWH, Jesus, Allah, Interesse an der Wahl in den USA gehabt haben, könnte dies auch darin bestehen, den unbotmäßigen Menschen wieder einmal, noch einmal eine Prüfung aufzuerlegen. Pmurt jedenfalls übererfüllt alle Kriterien, die für eine göttliche Prüfung nötig sind.

Um fast positiv zu enden: Ich hatte in der zweiten Hälfte meines Lebens als Journalist immer wieder mal mit Verlegern und deren Etatkürzungsschergen zu tun. Als ich aber bei Pmurts Vereidigung unter den Pmurt-Verwandten und Geldgebern Jeff Bezos (Ffej Sozeb) stehen sah, hätte ich fast Gott gedankt, dass etliche „meiner“ früheren Verleger zwar seltsam waren, aber sich dennoch nicht bei so einer Veranstaltung in dieser Weise kniefällig eingekauft hätten. Bezos, der auch Verleger der Washington Post ist, tat das. Was für ein Tort für die Redaktion der Post, deren Motto Democray dies in darkness heißt. Demokratie kann auch im hellen Licht der Rotunde des Kapitols zu sterben beginnen.
Kurt Kister
Mail
SZPlus
Aus Ihrer SZ
Geld an der Macht
Zur Amtseinführung versammelte Trump viele der vermögendsten Menschen der Welt im Kapitol. In der neuen Regierung sind zudem zahlreiche Superreiche für Spitzenämter vorgesehen. Das ist einmalig in der Geschichte.
Zum Artikel Pfeil
Rückkehr eines Spions?
Neue Recherchen und Erkenntnisse.
Podcast hören
Empfehlung Empfehlen Sie diesen Newsletter weiter
Kontakt Schreiben Sie uns, wenn Sie mögen
Zur Startseite von SZ.de

Zur Übersichtsseite der SZ-Newsletter
Ihre Newsletter verwalten

Entdecken Sie unsere Apps:
as
gp
Folgen Sie uns hier:
tw
ig
fb
in
Impressum: Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8, 81677 München
Tel.: +49 89 2183-0, Fax: +49 89 2183 9777
Registergericht: AG München HRB 73315
Ust-Ident-Nr.: DE 811158310
Geschäftsführer: Dr. Christian Wegner (Vors.), Johannes Hauner, Dr. Karl Ulrich
Copyright © Süddeutsche Zeitung GmbH / Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH.
Hinweise zum Copyright
Sie erhalten den Newsletter an die E-Mail-Adresse newsletter@newslettercollector.com.
Wenn Sie den „Deutscher Alltag“-Newsletter nicht mehr erhalten möchten, können Sie sich hier abmelden.
Datenschutz | Kontakt