Liebe Frau Do, seit Wochen trommelt die deutsche Wirtschaft, es dürfe keinen zweiten Lockdown geben. Aber angesichts der steigenden Infektionszahlen bleibt die Sorge, dass es doch noch so kommen könnte. Der Dax schloss deswegen gestern Abend mit einem Minus von 4,4 Prozent. In NRW verschärfen jetzt erste Städte die Corona-Regeln, so hat Remscheid ein Maskengebot für das ganze Stadtgebiet verhängt. Wie die Politik jetzt reagieren sollte, versuche ich, in einem Leitartikel zu beantworten. Anknüpfend an die martialische Rhetorik der ersten Corona-Wochen spreche ich von einer asymmetrischen Kriegsführung. Weil die genaue Kenntnis der Fakten und Daten jetzt wieder so wichtig ist, haben wir unseren Corona-Blog mit den aktuellen Nachrichten neu gestartet. Falls Sie mit etwas Abstand auf die Lage schauen wollen, kann ich Ihnen auch den Artikel unseres Korrespondenten André Anwar über die Lage in Schweden empfehlen. Am Anfang stand das skandinavische Land in der Kritik, weil es die Pandemie weniger strikt bekämpfte als Deutschland und höhere Totenzahlen in Kauf nahm, jetzt sieht es sich als Vorbild. In der Düsseldorfer Altstadt tut sich die Polizei besonders schwer, die Corona-Regeln durchzusetzen. Es gibt regelmäßig Zoff und Übergriffe, meist sind es junge Männer aus dem Umland und aus dem Ruhrgebiet, laut Polizei häufig mit Migrationshintergrund, wie Arne Lieb berichtet. Ich habe in diesem Newsletter schon geschrieben, dass dieses Wort für mich schwer zu fassen ist. Wo fängt Migrationshintergrund an, wo hört er auf? Friedrich Merz hat jüngst getwittert, er stamme „aus einer ganz normal bürgerlichen Familie in Westfalen, mit eingewanderten Hugenotten aus Frankreich als Vorfahren mütterlicherseits“. Ihn würde trotzdem wohl niemand mit dem M-Wort belegen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will nicht vor den Realitäten die Augen verschließen. Aber ich glaube, dass es besonders oft junge alkoholisierte Männer jeglichen Hintergrunds sind, die für Unfrieden und Leid sorgen, ob nun in der Düsseldorfer Altstadt, in Kasernen, in Fußballstadien (früher jedenfalls…) oder im Straßenverkehr. Womit wir bei der Angst wären. Mulmige Momente kenne ich aus der Düsseldorfer Altstadt, aber meine allergrößte Angst gilt der Altersarmut. Das mag paradox klingen, schließlich zahle ich seit fast 30 Jahren ununterbrochen in die Rentenkasse ein und verdiene ordentlich. Aber mein Großvater väterlicherseits hat in Berlin durch Inflation und Krieg fast alles verloren, und die Familie meiner Mutter aus Mecklenburg ist 1945 auf einem Flüchtlingstreck Richtung Westen gezogen und hat alles hinter sich gelassen. Mit dem Satz „Die Rente ist sicher“ kann ich relativ wenig anfangen. Angesichts der aktuellen Lage wird diskutiert, die Renten zu senken. In einem Interview, das Birgit Marschall geführt hat, stellt nun Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für 2021 klar: „Es wird in jedem Fall keine Rentensenkung geben. Aber alles andere wäre jetzt Spökenkiekerei.“ Diese plattdeutsche Formulierung würde Gerhard Polt nie wählen, aber der bayerische Berufsskeptiker hat uns viel zu sagen. Philipp Holstein hat ein Interview mit dem 78-jährigen Kabarettisten geführt, in dem es um dessen Arbeit mit den Toten Hosen und den Begriff der Heimat geht. Mich hat die Passage zum „Wir“ besonders beschäftigt. Der Begriff, also die erste Person Plural, taucht schließlich auch in diesem Newsletter gelegentlich auf. „Es kommt darauf an, wer ,wir‘ sagt und in welchem Zusammenhang“, gibt Polt zu bedenken. Und da ist viel dran, ein „wir“ an der falschen Stelle schließt andere aus. Ich wünsche uns – also Ihnen persönlich, aber auch mir – einen Tag voller anregender Begegnungen. Danke, dass Sie die „Stimme des Westens“ lesen! Herzlich Moritz Döbler Mail an die Chefredaktion senden P.S.: Wenn Ihnen dieser Newsletter gefällt, empfehlen Sie die "Stimme des Westens" weiter! |