finden Sie nicht auch, dass im Vergleich zu manch anderen Ansprachen unsere täglichen Newsletter geradezu leger formuliert sind? Nehmen Sie nur einmal die Newsletter des Vatikans, im guten Kirchenlatein auch „Allokution“ genannt. Vor auf den Tag genau 160 Jahren begann der damalige Newsletter von Papst Pius IX. mit folgenden alarmierenden Worten: „Schon lange sehen wir, verehrte Brüder, durch welchen heftigen Kampf zwischen den konkurrierenden Prinzipien Wahrheit und Irrtum, Tugend und Laster, Licht und Finsternis, die Zivilgesellschaft, besonders in unserer unglücklichen Zeit, beunruhigt wird.“ Gegen das kräftiges „Verehrte Brüder“ wirkt das genderneutrale „Liebe Leserinnen und Leser“ doch geradezu freundlich, inkludierend und im christlichsten Sinne allumfassend. Doch man lasse sich nicht täuschen: Die Botschaft, die Pius IX. in der historischen „Iamdudum cernimus“ vom 18. März 1861 in die Welt hinaus schickte, ist noch immer brandaktuell. Mögen die Worte sich auch geändert haben, die Inhalte können sie noch immer in jeder Tageszeitung nachlesen: Irrtum, Laster, Finsternis. So könnte doch auch ein Kommentar über die Fehler von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei der gegenwärtigen Impfstrategie betitelt sein. Männer sind Schweine Natürlich würde das niemand machen. Das Interview etwa, das Sina Schiffer mit dem FDP-Gesundheitsexperten Andrew Ullmann zum besagten Thema für Cicero geführt hat, trägt den Titel „Das politische Versagen bringt uns an den Rand des Ertrinkens“. Das klingt moderner, ist aber mindestens so apokalyptisch wie die biblische Sintflut. Von Lastern und Sünden handelt übrigens auch jenes erbärmliche Treiben, das sich derzeit an der Berliner Volksbühne beobachten lässt. Intendant Klaus Dörr soll dort Mitarbeiterinnen sexuell belästigt haben. Was genau vorgefallen ist, davon berichtet Cicero-Kulturredakteur Jens Nordalm. Und dann wird die Zivilgesellschaft, um den Kirchen-Sprech von Papst Pius noch einmal aufzugreifen, in unseren unglücklichen Zeiten natürlich auch noch von der Kirche selbst beunruhigt: Heute morgen hat das Erzbistum Köln das lang erwartete Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche veröffentlicht. Zwei namhafte Bischöfe werden darin schwer belastet. Die Sprache aus dem „Iamdudum cernimus“ wäre vermutlich nicht antiquiert genug, um die in dem jetzigen Gutachten offenbar gewordene Denkungsart von manch einem kirchlichen Amtsträger auf den Punkt zu bringen. Wir arbeiten derzeit an einer zeitgemäßen Übersetzung. Auch diese wird im Laufe des Tages noch auf cicero.de erscheinen. Bleiben Sie also dran, und bleiben Sie in der Wahrheit! Ihr Ralf Hanselle, stellvertretender Chefredakteur |